Mary Duras – deutschsprachige Bildhauerin in der tschechoslowakischen Kunstwelt
Deutschsprachige Künstler aus der Ersten Republik wurden nach dem Krieg in der Tschechoslowakei meist tabuisiert. Erst in der Folge der Samtenen Revolution sind sie hierzulande wieder ins öffentliche Bewusstsein zurückgekehrt. Seit den 1990er Jahren helfen Publikationen, Ausstellungen wie auch Fachkonferenzen, die hierzulande entstandenen Wissenslücken zu schließen. Zu jenen, die fast vergessen wurden, gehört auch die außergewöhnliche Bildhauerin Mary Duras.
Mary Duras wurde am 10. Mai 1898 in Wien als Tochter eines Offiziers der österreichischen Armee geboren. Mütterlicherseits lagen die Wurzeln der Familie vermutlich in der Gegend des mittelböhmischen Kladno / Kladen. Die spätere Künstlerin verbrachte einen Großteil ihres Lebens in der Tschechoslowakei.
Schon früh zeigte sich bei ihr die künstlerische Begeisterung. Drei Jahre lang ging Mary Duras in Prag an die höhere Kunstgewerbeschule. Mit 19 Jahren schrieb sie sich dann für das Fach „Bildhauerei“ an der Prager Akademie der bildenden Künste ein. Diese Hochschule war europaweit als eine der ersten, die auch Frauen zuließ. Mary Duras gehörte zu den ersten acht Studentinnen im Atelier des renommierten tschechischen Bildhauers Jan Štursa. Der Kunsthistoriker Ivo Habán aus Liberec / Reichenberg hat über das Leben und Werk der Bildhauerin geforscht und darüber auch eine wissenschaftliche Abhandlung verfasst. Die zweisprachige Ausgabe in Tschechisch und Deutsch erschien 2014 anlässlich der Ausstellung „Mary Duras (1892-1982)“ in der Regionalgalerie Liberec. Habán zufolge nahm der am französischen Neoklassizismus orientierte Štursa eine zentrale Rolle ein für den Werdegang der angehenden Künstlerin:
„Štursas Einfluss auf Mary Duras war in der Tat groß. Er vermittelte ihr seine Ausrichtung auf Figuren im klassischen Stil. Zugleich aber ließ er ihr den nötigen Freiraum für die eigene künstlerische und persönliche Entfaltung. Duras´ Stil balancierte zwischen Realität und den antiken Idealen beziehungsweise einer abstrahierten, verträumt lyrischen Darstellung.“
An der Kunsthochschule lernte Duras den Maler Maxim Kopf kennen, der ihr Lebenspartner wurde. 1923 gingen sie gemeinsam nach Dresden, um dort weiter zu studieren. Dann erhielt der etwas ältere und bereits kommerziell erfolgreiche Kopf einen gut bezahlten Job im Ziegfeld Theatre in New York. Und Duras folgte ihm. Kurz darauf zog sie aber nach Paris. Und Maxim Kopf kam später nach, zuvor unternahm er noch eine Reise nach Ozeanien. 1927 kehrten beide nach Prag zurück und heirateten. Im selben Jahr hatten sie eine gemeinsame Ausstellung im Prager Künstlerhaus Rudolfinum.
Durchbruch und Unabhängigkeit
Mit dem Verkauf einiger Werke an die Nationalgalerie gelang Mary Duras der Durchbruch im institutionellen Kunstbetrieb. Mit den Einnahmen konnte sie sich unabhängig machen und auf ihr eigenes Schaffen konzentrieren. Damit trat sie auch aus Kopfs Schatten heraus. 1933 ging die Ehe der beiden ambitiösen Künstler aber in die Brüche. Mary Duras kämpfte in der Folge mit schweren Depressionen. Ivo Habán sieht dahinter aber nicht so sehr die Scheidung, als vielmehr die Angst vor der Zukunft, hervorgerufen durch ihren Besuch bei der Schwester in Deutschland.
„Mary Duras war absolut schockiert über die dortigen Zustände nach Hitlers Machtergreifung. In den Jahren zuvor hatten sich ihr gute Perspektiven für ihre weitere Laufbahn eröffnet. Sie präsentierte damals ihre Plastiken in Berlin auf der internationalen Ausstellung der ‚Berliner Secession‘ und wurde auch Mitglied dieser bedeutenden Künstlergruppe. Mit Unterstützung des renommierten Prager Galeristen Hugo Feigl und des prominenten Berliner Kunsthändlers Albrecht Flechtheim liefen nachfolgend Planungen zu einer monografischen Ausstellung von Duras in Berlin. Diese hätte vieles in ihrem Leben verändern können. Doch wegen der neuen Kulturpolitik in Hitlerdeutschland entschied sich Flechtheim 1933 zur Emigration. Der große Traum von Mary Duras ging deswegen nicht in Erfüllung“, so der Kunsthistoriker.
Nach ihrer Rückkehr aus Paris 1927 hatte die Künstlerin Erfolge in der internationalen sowie der heimischen Kunstszene verbucht. Viermal nahm sie an der Biennale in Venedig teil. Bei der Kollektivausstellung „Moderne tschechoslowakische Kunst“ von 1934 im Wiener Künstlerhaus erhielt sie sogar einen Preis. Im selben Jahr eröffnete sie in Prag ihre erste Einzelretrospektive. Dabei präsentierte sie in der angesehenen Privatgalerie Hugo Feigl mehrere Dutzend ihrer Plastiken und Zeichnungen. Dass sie sich als Frau in der männerdominierten Welt der Bildhauerei durchsetzen konnte, zeigte auch ihre Goldmedaille auf der Weltausstellung 1937 in Paris. Unter den zwölf Künstlern, die dort die tschechoslowakische Bildhauerkunst vertraten, war sie nur eine von zwei Frauen. In der Regel waren Duras‘ Werke auch bei den Ausstellungen des Künstlervereins „Prager Secession“ zu sehen.
Das dominierende Thema in ihrem Schaffen waren ab 1921 Frauenfiguren in unterschiedlichen Abbildungsformen. Die eher introvertierte Künstlerin habe durch die Frauenkörper ihre Gefühle und innere Verfassung wie Freude, Trauer oder Ernsthaftigkeit ausgedrückt, sagt Ivo Habán:
„In der überwiegenden Mehrheit sind es keine Portraits konkreter Personen. Vielmehr handelt es sich um Darstellungen anonymisierter verträumter Frauentypen, die auf den französischen lyrischen Stil hinweisen. Einiges verraten auch die Namen ihrer Werke. Sie heißen zum Beispiel ‚Sitzende Frau‘, auch ‚Musik‘ genannt, ‚Mädchen am Fenster‘, ‚Melancholie‘, ‚Die Sinnende‘ oder ‚Traurigkeit‘. Zur erwünschten Gestalt gelangte Duras oft durch mehrere Varianten. So war es auch bei ihrer Skulptur ‚Eva‘, an der sie in den Jahren 1929 und 1930 ausdauernd arbeitete. Es entstand eine exklusive, monumentale, antikisierende und zugleich moderne Gipsfigur. Danach meißelte ein Steinmetz die Skulptur aus Sandstein. Feine Details des Gesichts vervollkommnete die Bildhauerin aber eigenhändig. ‚Eva‘ war ein Werk für den Großunternehmer Alexander Schück, der sich eine luxuriöse Villa im Prager Stadtviertel Troja bauen ließ.“
Die Figur der „Eva“
Die monumentale, 2,10 Meter große Statue wurde auf der Terrasse des Hauses aufgestellt. Es handelte sich übrigens um eine Villa im funktionalistischen Stil von Le Corbusier. So seien Modernität und Exklusivität eine Verbindung eingegangen und hätten zum Philosophieren angeregt, findet Habán.
Nach einigen Jahren gelang es Mary Duras, ihre psychischen Probleme zu überwinden. 1938 heiratete sie den Sohn der deutschjüdischen Familie Schück. Arnold Schück war Geschäftsmann und Intellektueller mit einer Vorliebe für Theater, bildende Kunst und Musik. Duras war damals bereits wieder so stabil, dass sie sich intensiv ihrem Schaffen widmete. Dem Ehepaar stand allerdings eine schwere Zeit bevor…
„Im Februar und März 1939 war Mary Duras in Rotterdam, wo eine ihrer Ausstellungen stattfand. Am 15. März marschierten Hitlers Truppen in die Tschechoslowakei ein. Arnold Schück riet seiner Frau in einem Telefonat ausdrücklich, nicht zurückzukommen und sofort nach England zu reisen. Für ihn als jüdischen Großhändler war es hingegen nicht mehr möglich, außer Landes zu kommen. Duras gelang es nämlich nicht, für ihn und seine Familienangehörigen Visa für die Ausreise nach Südamerika zu besorgen“, schildert Kunsthistoriker Habán.
Die Villa Schück sowie das gesamte Vermögen der Familie wurden von der Gestapo konfisziert und die Angehörigen außer Arnold Schück ins Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau verschleppt. Schück musste vorerst in Prag bleiben. Ihm war von den Nationalsozialisten angeordnet worden, den Wert aller Gegenstände des beschlagnahmten jüdischen Eigentums zu berechnen. Danach wurde auch er ins Lager geschickt.
Mary Duras verbrachte die Kriegsjahre in London und arbeitete dort zunächst als Krankenschwester. Später konnte sie Kontakte zu einigen Persönlichkeiten der tschechoslowakischen Exilregierung anknüpfen. Darunter waren zum Beispiel Außenminister Jan Masaryk und Staatspräsident Edvard Beneš, von denen sie jeweils auch Büsten modellierte. Eines ihrer ersten Werke in London war eine aus Lindenholz gefertigte Plastik mit dem Titel „Meine Heimat“. Im Mai 1945 erhielt Duras das Angebot, an der prestigeträchtigen Kunstschule in Edinburgh zu unterrichten, doch sie sagte ab. 1945 kehrte sie nach Prag zurück. Dazu notierte sie in ihrem Tagebuch:
„Im August konnte ich endlich im Rahmen der ersten Rückflüge tschechoslowakischer Regierungsbeamter nach Prag zurückkehren. Es waren Bomber, in denen es nur Bretter zum Sitzen gab. Das machte mir aber nichts aus. Ich war glücklich, dass man mich mitgenommen hatte. Ich war wieder daheim.“
Ausstellungsverbot durch Kommunisten
Erst in Prag erfuhr Mary Duras, dass ihr Ehemann Arnold Schück im Mai 1945 als einziges überlebendes Mitglied seiner Familie aus dem KZ nach Prag zurückgekehrt war. Doch das Ehepaar durfte nicht mehr in seine Villa zurück und bezog eine von der Stadtverwaltung zugewiesene Wohnung. Mary Duras wurde zudem verboten auszustellen. Arnold Schück, dessen gesamter Besitz aufs Neue beschlagnahmt war, verdiente etwas Geld mit der Erstellung kleiner Grafiken. Die Lage beider verschlechterte sich noch weiter nach der Machtübernahme der Kommunisten 1948.
An dem Tag im Jahr 1963, als die tschechoslowakische Staatssicherheit (StB) das Atelier von Mary Duras und ihre Skulpturen konfiszierte, ging das Ehepaar offiziell auf eine Urlaubsreise. Tatsächlich war es aber der Gang in die Emigration. Die Werke der Künstlerin landeten in der Prager Nationalgalerie. Die umfangreiche Plattensammlung von Schück mit klassischer Musik sowie die Bibliothek mit vielen Büchern wurden ebenfalls konfisziert und sind bis heute spurlos verschwunden.
Bis 1974 lebte das Ehepaar in Hamburg, Nach dem Tod ihres Ehemanns zog Mary Duras zu ihrer Nichte ins österreichische Graz. Dort starb sie 1982 im Alter von 84 Jahren.