Moderne Ästhetik und Weltklasse-Akustik: Prags neue Pläne für eine „Moldau-Philharmonie“
Hamburg, Los Angeles, Sydney und nun Prag? Auch die Hauptstadt an der Moldau wird ein modernes Philharmoniegebäude bekommen. Vor Kurzem stellte das Prager Institut für Planung und Entwicklung das finale Konzept vor: die Moldau-Philharmonie.
Ein gläserner Hügel erhebt sich am Moldauufer. Orange-goldenes Licht strömt durch die Glasfassade. Umgeben ist der Glaskasten von riesigen Terrassen, die an die Blätter einer Urwaldpflanze erinnern. Überall wimmelt es von Menschen, die auf den Terrassen herumlaufen.
So stellt sich die Stadt Prag ihre neue Philharmonie vor. Direkt an der Metrostation Vltavská im Stadtteil Bubny, an der Moldau soll das neue Konzerthaus entstehen. Zurzeit findet man dort nur einen trostlosen Umsteigepunkt. Hier treffen Bus, Bahn, Tram und Metro aufeinander. Der Platz hat nicht einmal einen Namen. 2032 soll das ganz anders aussehen. Über 115 Bewerber aus dem In- und Ausland haben an der Ausschreibung der Stadt Prag teilgenommen. Am Ende hat das Konzept des Architekturbüros Bjarke Ingels Group (BIG) das Rennen gemacht. Michal Sedláček ist Leiter der Jury rund um den Bewerbungsprozess. Gegenüber Radio Prag International lobt er das Konzept aus Dänemark:
„Das Gebäude hat eine sehr gute Anbindung an den Fluss. Es gibt keine Barriere zwischen dem Gebäude und dem Gewässer. Man kann sich also bücken und das Wasser berühren. Westlich der Philharmonie, gleich an der Bubenská-Straße, wird sich ein großer Platz befinden. Die Philharmonie ist umgeben von einem System aus Terrassen, die vom Fluss zum Platz führen und am Gebäude entlang weiter bis aufs Dach. Auf dem Weg nach oben lässt sich Prag von verschiedenen Perspektiven aus überblicken. Besonders ist dabei, dass man von außen in das Innere des Hauses blicken kann, denn die Fassade des Gebäudes ist aus Glas. Dadurch sind die Besucher nicht nur mit der Stadt verbunden, sondern auch mit dem Inneren des Gebäudes. Das ist eine sehr besondere und interessante Idee.“
Zwar beeindruckt die neue Philharmonie mit ihrem Äußeren, doch das Herzstück sind die Konzertsäle.
„Das Wichtigste ist natürlich die Akustik. Laut den Experten soll sie Weltklasse werden. Auch die Anordnung der drei Säle ist sehr ausgeklügelt. Der große Saal fasst 1800 Besucher, der kleine 700 und der multifunktionale 500 Personen. Der Hauptsaal ist sehr groß, aber durch die Positionierung der Zuschauerränge und der Verkleidung aus Holz wird er sich intim und angenehm anfühlen. Man wird die Größe gar nicht richtig spüren, was sehr wichtig ist, wenn es sich um klassische Musik dreht“, so Sedláček.
Ein Gebäude nicht nur für Klassikliebhaber
Brian Yang ist Projektpartner bei BIG, dem Architekturbüro hinter dem Entwurf. Er hat als einer der Hauptverantwortlichen das Konzept für die Moldau-Philharmonie erstellt. Seit dem ersten Schritt begleitet er die Entwicklung. Yang weiß mehr über die akustischen Herausforderungen:
„Natürlich stellen die Metrolinie unter dem Gebäude sowie die anliegenden Zugstrecken eine große Herausforderung dar. Zuallererst haben wir die Säle so platziert, dass sie möglichst abseits der Metrolinie liegen. Dann müssen sie isoliert werden. Dafür haben wir eine Methode gewählt, die den isolierten Saal wie eine Box in einer Box nochmals gegen jegliche Geräusche abschirmt.“
Errichtet wird die Philharmonie im Stadtteil Holešovice. Das Konzerthaus ist Teil einer kompletten Umgestaltung des Viertels. Auf der Brachfläche soll ein Wohngebiet für etwa 25.000 Menschen entstehen. Sedláček verrät, wie die beiden Projekte zusammenhängen…
„Im Grunde handelt es sich hier um die größte Industriebrache Prags. Dort soll ein multifunktionales Wohnviertel entstehen, das wie eine 15-Minuten-Stadt aufgebaut sein wird. Das bedeutet, dass man innerhalb des Viertels leben, arbeiten und seine Freizeit verbringen kann. Solch ein Konzept gibt es schon in anderen Städten, nicht aber in Tschechien. Die Philharmonie wird dieses neue Viertel maßgeblich mitbestimmen. Für die geplante 15-Minuten-Stadt ist ein wichtiges öffentliches Gebäude eine Bereicherung. Die beiden Projekte ergänzen sich sehr gut. Wir werden einen sehr zentralen neuen Stadtteil haben und ein Gebäude von hohem kulturellem Wert.“
Mit der neuen Philharmonie erhofft sich Oberbürgermeister Zdeněk Hřib (Piraten), anspruchsvollere Touristen nach Prag locken zu können. Die Moldau-Philharmonie soll zudem frischen Wind in das ansonsten sehr historische Stadtbild bringen. Sie wird ein kultureller Dreh- und Angelpunkt für die Stadt Prag, verspricht Sedláček. Zugleich werden aber auch Menschen angesprochen, die sich nicht für klassische Musik begeistern lassen. Das Konzerthaus verspricht, ein beliebter Treffpunkt zu werden. Da die Terrassen barrierefrei zugänglich sind, kann draußen ein schöner Blick über Prag die Besucher entzücken, während im Inneren Klassikliebhaber den Klängen etwa von Smetana lauschen.
Brian Yang, Projektpartner bei BIG:
„In unserem Team haben wir einen Tschechen, Jan Magasanik, der seit 15 Jahren bei BIG arbeitet. Er ist einer der Schlüsselpersonen in unserem Projekt. Ich erinnere mich daran, dass er bei einem unserer ersten Designmeetings darauf bestand, dass wir Smetanas Moldau im Hintergrund hörten, während wir uns den Auftrag anschauten. Wir sollten die kulturelle Bedeutung der Musik für Tschechien verstehen. Und wir sollten uns klar machen, wie wichtig die Moldau ist, die maßgeblich in Beziehung steht mit der neuen Philharmonie.“
Die „Wunde“ am Moldauufer heilen
Wo morgen Smetanas Musik in moderner Umgebung erklingen soll, befindet sich heute jedoch ein Transitraum, der nicht gerade zum Verweilen einlädt.
„Als wir den zukünftigen Standort besichtigten, haben wir genau gewusst, was wir mit dem Projekt anstellen müssen. Die neue Philharmonie wird kein Wahrzeichen im Zentrum der Stadt sein, sondern ihre Aufgabe wird darin bestehen, eine Wunde am Flussufer zu heilen. Außerdem wird sie wie ein Katalysator an der Entwicklung der gesamten Nachbarschaft mitwirken“, erläutert Yang.
Das neue Konzerthaus soll einmal die Heimat der Prager Symphoniker und der tschechischen Philharmoniker werden. Dafür ist natürlich eine optimale Akustik vonnöten. Ein schweres Unterfangen. Und weiter der Projektpartner:
„Wir arbeiten mit der japanischen Firma Nagata Acoustics zusammen. Man könnte behaupten, sie sind die Begründer des Weinberg-Prinzips für Symphoniehallen. Das sind Menschen, die wirklich verstanden haben, wie das Design eines Saals auszusehen hat, um einen perfekten Klang zu erzielen. Wir haben bereits eine sehr klare Vorstellung für das Akustikdesign. Es ist ein sehr komplexes Themengebiet, und wir müssen die weitere Entwicklung in Kooperation mit den Orchestern abstimmen, um ihre Bedürfnisse, Wünsche und Träume zu erfüllen. Wir wollen einen Saal bauen, der Zuhörer, Orchester und die Dirigenten maximal erfreut.“
Emmanuel Villaume ist Chefdirigent der Prager Philharmoniker. Er hat einige Vorbehalte:
„Unser Orchester spielt den Großteil seiner saisonalen Konzerte im Rudolfinum, einem der schönsten Säle der Welt. Es herrscht ein ideales Verhältnis zwischen Bühne und Saal, eine großzügige, aber ehrliche Akustik. Wir haben auch das Vergnügen, im Smetana-Saal zu spielen. Das ist ein größerer Saal mit einer halligeren Akustik. Es ist kompliziert, denn je nach Saal muss man sich für ein bestimmtes Repertoire entscheiden. Es wäre ja schön, einen neuen Saal zu haben. Da die Akustik in Konzertsälen das A und O ist, ist sie aber auch immer eine heikle Angelegenheit. Im Gegensatz zu dem, was einem die Akustiker weismachen wollen, ist es keine Wissenschaft, sondern eine Kunst, den richtigen Klang zu erzeugen. Das heißt, dass einige Daten zwar messbar sind, aber es ist vor allem eine Sache der Einstellung, des Geschmacks, des Gefühls, der Resonanz und des Affekts. Ich persönlich finde, dass im Allgemeinen alle modernen Konzertsäle der Welt nach zu restriktiven akustischen Prinzipien gebaut wurden. Über einen neuen Saal würden sich die Philharmoniker aber sicher sehr freuen. Und der städtische, soziale und menschliche Aspekt ist auch wichtig: Ein neuer Konzertsaal zieht ein anderes Publikum an, und das traditionelle Publikum wird aus dem Stadtzentrum in ein anderes Stadtviertel gelockt. Dieser politische Aspekt, im wahrsten Sinne des Wortes, ist für die Stadtplanung sehr wichtig.“
Doch ein paar Jahre wird es noch dauern. Frühesten 2032 werden die Philharmoniker in den neuen Räumlichkeiten spielen können. Für den Bau des neuen Konzerthauses werden die Kosten auf sechs Milliarden Kronen geschätzt, das sind umgerechnet 240 Millionen Euro. Doch die Rechnung wurde vor dem Krieg in der Ukraine gemacht. Juror Sedláček dazu:
„Die Verantwortlichen für das Projekt haben betont, dass die sechs Milliarden Kronen eine Schätzung aus dem Jahr 2021 sind. Seitdem hat sich viel verändert. Wir haben nun die Inflation und den Krieg in der Ukraine. Daher arbeiten wir bereits an einer neuen Preiseinschätzung. Die wird genauer sein, aber die Kosten werden höher liegen. Die Organisatoren nehmen das Ganze sehr ernst und sind sehr professionell. Sie bereiten alles akribisch vor. Auch wenn das Projekt teurer sein wird, denke ich, dass die Verantwortlichen die Kontrolle behalten werden.“
Bereits eine konkretere Einschätzung vom 13. Juni hat ergeben, dass sich die Kosten wohl eher auf 9,4 Milliarden Kronen – also etwa 380 Millionen Euro – belaufen werden. Bleibt zu hoffen, dass die Rechnung am Ende nicht aus dem Rahmen fällt. Die Elbphilharmonie in Hamburg kostete seinerzeit letztlich das Elffache des veranschlagten Preises.