Musik der Zukunft in der EU: Vereinheitlichung der Regeln für den grenzüberschreitenden Austausch von Spenderorganen

Einen neuen Hoffnungsschimmer gibt es seit kurzem europaweit für Patienten, die auf eine Organtransplantation warten: Die Wartezeiten in den EU-Ländern sollen künftig kürzer werden. Entsprechende Richtlinien wurden im vergangenen Jahr durch das Europäische Parlament verabschiedet. Ziel ist die Vereinheitlichung der Regeln für den Umgang mit den Spenderorganen. Innerhalb von zwei Jahren soll sich jeder der 27 EU-Staaten auf das neue System vorbereiten. Die Umsetzung wird aber bestimmt viel länger dauern. Die tschechische Regierung hat bereits einen so genannten nationalen Aktionsplan für Transplantationen gebilligt, der nun schrittweise umgesetzt werden soll.

Lebertransplantation  (Foto: IKEM)
In der gesamten EU warten derzeit etwa 60.000 Menschen auf eine Organtransplantation. Laut Statistik sterben jeden Tag zwölf Menschen wegen Organmangels. Von den rund 800 tschechischen Anwärtern muss jeder dritte ohne das benötigte Spendeorgan sterben. Die Situation in der EU unterscheidet sich allerdings von Land zu Land wesentlich. Der Hauptgrund ist die unterschiedliche Legislative. Die von der Europäischen Kommission beschlossene und vom Europäischen Parlament gebilligte Vereinheitlichung der Regeln soll zu einer höheren Effektivität der Transplantationsmedizin in allen EU-Staaten führen. Der tschechische „Aktionsplan für Transplantationen“ ist für den Zeitraum 2010 bis 2016 verfasst worden. Wie ist die heutige Situation auf diesem Gebiet in Tschechien?

Derzeit werden Transplantationen in Tschechien in insgesamt sieben medizinischen Zentren durchgeführt. Es geht vor allem um Verpflanzungen lebensrettender Organe – also von Herz, Niere, Lungen und Leber. Außerdem werden auch Organe transplantiert, die die Lebensqualität in erheblichem Maße verbessern können. Die Wartezeit auf ein Spenderorgan beträgt im Schnitt zwölf Monate. Das größte der sieben tschechischen Transplantationszentren ist das „Transplantcentrum“ des Prager Instituts für klinische und experimentelle Medizin, kurz IKEM. Sein Chef Pavel Trunečka informierte dieser Tage die Journalisten:

Pavel Trunečka  (Foto: ČT24)
„In unserem Institut werden 60 Prozent aller Transplantationen in der Tschechischen Republik durchgeführt. Darunter auch eine ganze Reihe von besonders komplizierten Organverpflanzungen, die die Möglichkeiten der kleineren Transplantationszentren in unserem Land übersteigen. Das einzige Organ, das bei uns nicht einzeln verpflanzt wird, ist die Lunge. Das ist Fachgebiet des Universitätsklinikums Motol in Prag. Zu unserem Programm gehört aber die kombinierte Herz-Lungen-Transplantation.“

In Tschechien werden jährlich 500 bis 600 Transplantationen durchgeführt. Die höchste Zahl - ungefähr 300 bis 350 - entfällt auf die Nieren. Rund 100 Lebertransplantationen, weiter sind es 60 bis 80 Herztransplantationen, 20 bis 30 Speicheldrüsen, bis zu 10 Speicheldrüseninseln und 20 Lungentransplantationen. Derzeit bereitet sich ein Team von Spitzenmedizinern auf eine Darmtransplantation vor. Im internationalen Vergleich sieht Trunečka die tschechische Transplantationsmedizin auf hohem Niveau:

„In Tschechien haben die Patienten im selben Umfang die Chance auf eine Organtransplantation in derselben Qualität und mit adäquaten Erfolgsaussichten wie in den westlichen Nachbarländern Tschechiens.“

Im Hinblick auf die Qualität der Transplantationsmedizin sowie auf die Transplantationszahlen liegt Tschechien nach Meinung des Transplantcentrum-Chefs über dem europäischen Durchschnitt - etwa im ersten Drittel der EU-Länder. Trotzdem bestünde großer Bedarf für Verbesserungen. Pavel Trunečka:

Lebertransplantation  (Foto: ČT24)
„Mit dem ´Aktionsplan für Transplantationen´ soll vieles verbessert werden. Die medizinische Praxis bei Transplantationen wird der Plan aber kaum ändern, schon gar nicht von einem Tag auf den anderen. Wichtig ist die geplante Optimalisierung des Weges, der zum Spenderorgan führt. Aus der Sicht der Fachmediziner geht es vor allem um eine bessere Organisierung des Organspendeprogramms, das insbesondere auf Organe von Verstorbenen hinzielt. In Zukunft ließe sich also mit einem viel größeren Austausch zwischen Krankenhäusern und verschiedenen Institutionen rechnen, auch im Rahmen europäischer Strukturen, die für das System der Zertifizierung und Fürsorgequalität zuständig sind. Darauf wird immer mehr Wert gelegt.“

Lebertransplantation  (Foto: ČT24)
Gerade hier liegt offenbar der Hund begraben. Um die europäische Vision umsetzen zu können, nach der ein geeignetes Spenderorgan so schnell wie möglich in einem Land auch für einen im anderen Land lebenden Patienten gefunden werden soll, muss sich sehr viel ändern. Im Rahmen der erforderlichen Harmonisierung der Transplantationsregeln müssen in den EU-Ländern zum Beispiel die Sicherheits- und Qualitätsstandards für Transplantationen vereinheitlicht werden. Oder: Die 27 Länder werden auch ein einheitliches System für den Umgang mit den Spenderorganen einführen, um diese über die Grenzen des jeweiligen Staates hinaus verwendbar zu machen. Dabei geht es meistens um Stunden, in denen ein Menschenleben gerettet werden kann.

IKEM
Tschechien selbst steht aber auch vor einer Reihe von elementaren Problemen im Transplantationsbereich. Allen voran ist es der Mangel an Spenderorganen. Immer weniger Tschechen spenden Organe, und so will man sich hierzulande zunehmend auf das Potential von Spenderorganen Verstorbener konzentrieren. In Bezug auf die Organentnahme für eine Transplantation wurde im tschechischen Transplantationsgesetz die so genannte „Widerspruchslösung“ verankert. Demnach gilt jeder tschechische Bürger als potenzieller Organspender, wenn er zu Lebzeiten dem nicht ausdrücklich widersprochen hat. In die offizielle Widerspruchsliste haben sich bisher aber nur rund eintausend Organspendegegner eingetragen. An diese Regelung soll eine Neuigkeit anknüpfen, die der Aktionsplan vorsieht:

Lungentransplantation
„In den großen Krankenhäusern mit großen Intensivstationen soll der Posten eines so genannten Transplantationskoordinators eingerichtet werden. Seine Aufgabe wird sein, unter den Todkranken potentielle Organspender ausfindig zu machen.“

Dies ist das so genannte spanische Modell. In Spanien werden europaweit am meisten Transplantationen erfolgreich durchgeführt.

Der Leiter des Prager IKEM-Transplantationszentrums sieht aber noch ein anderes und kaum allgemein bekanntes Problem:

Herztransplantation
„Uns als Fachleute bedrückt vor allem, dass die Organe der hierzulande verstorbenen Ausländer unter keinen Umständen zur Verfügung stehen. So will es nämlich das Gesetz. Es geht um rund zehn oder etwas mehr Ausländer, die in tschechischen Krankenhäusern jährlich sterben. In der Summe handelt es sich um einige Dutzend Organe im Jahr, die wegen der ungünstigen - und ich würde sogar sagen - für tschechische Bürger nachteiligen Gesetzesregelung keine Verwendung finden.“

Das tschechische Transplantationsgesetz, das 2002 verabschiedet wurde, also noch vor dem EU-Beitritt Tschechiens, enthält auch eine entsprechende Klausel über die Ausländer. Über eine Gesetzesänderung könnte daher vielleicht schon bald gesprochen werden.

Alle Bereiche zu nennen, die der nationale Aktionsplan für Transplantationen umfasst, ist an dieser Stelle kaum möglich. Abschließend noch ein Beispiel, das für das Gelingen der Zukunftspläne von genauso hoher Relevanz ist wie das Aufsuchen der potenziellen Organspender. Noch einmal Pavel Trunečka:

Foto: ČT24
„Sehr wichtig ist auch die Vermittlung von Kenntnis und Wissen nicht nur an Fachkreise, sondern auch an die Öffentlichkeit. Eine positive Wahrnehmung von Transplantationen und Organspenden durch die Gesellschaft ist nämlich von großer Bedeutung.“

Eines steht aber fest: Auch die Transplantationsmedizin leidet unter dem größten Problem der heutigen gesellschaftlichen Entwicklung: unter der immer älteren Bevölkerung, die die Kehrseite der steigenden Lebenserwartung ist. Mit ihr werden nämlich auch die potentiellen Spenderorgane älter und damit immer weniger geeignet für die Transplantation.