Neue europaweite Plattform nimmt totalitäre Diktaturen in den Fokus

Eine neue europaweite Plattform soll die Aufarbeitung der Geschichte der totalitären Diktaturen des 20. Jahrhunderts vorantreiben. Der Gründungsvertrag ist am Freitag im Beisein der Ministerpräsidenten von Tschechien, Polen und Ungarn in Prag unterzeichnet worden.

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Daniel Herman
ie neue „Plattform für das Gedächtnis und das Gewissen Europas“ wurde vom tschechischen Institut für das Studium totalitärer Regime initiiert. Über die Ziele der Initiative spricht der Direktor des Instituts, Daniel Herman:

„Es ist sehr wichtig, dass wir in eine neue Epoche der Zusammenarbeit jener Institutionen eintreten, die in Europa für die Aufarbeitung der Vergangenheit zuständig sind. Ich finde diese Koordination sehr wichtig. Es ist also vor allem ein Koordinationsorgan, und sein Hauptthema wird die Aufarbeitung der Vergangenheit sein, und zwar der totalitären, das heißt der nationalsozialistischen und der kommunistischen Vergangenheit.“

Aus Deutschland reiste der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Roland Jahn, zu dem Festakt an. Über die Bedeutung der neu gegründeten Plattform sagte er gegenüber Radio Prag:

Roland Jahn  (Foto: Archiv der Robert-Havemann-Gesellschaft)
„Es soll ein deutliches Zeichen sein, dass Europa sich nicht nur über den Euro definiert, sondern Europa definiert sich über ein Bekenntnis für Demokratie und Menschenrechte. Und die Aufarbeitung der Diktaturen in Europa ist dabei sehr hilfreich. Je besser wir Diktatur begreifen, umso besser können wir Demokratie gestalten. Besonders ist das ein Zeichen an die Angehörigen der jungen Generation, die die Diktatur in Europa nicht miterlebt hat, dass sie hier von der Betrachtung der Diktatur in Europa etwas lernen können, für ihren Alltag, für ihr Leben in der europäischen Gemeinschaft.“

Insgesamt 19 Partnerinstitute aus 13 Ländern Europas sind an der Plattform beteiligt, und zwar sowohl ost- als auch westeuropäische.

„Es geht nicht darum, nur den Blick nach Osteuropa zu richten. Es geht darum, Werte zu formulieren, Werte von Demokratie und Menschenrechten, die universell sind. Und auch in Spanien oder Griechenland gab es Diktaturen, die gilt es natürlich genauso zu betrachten. Wichtig ist, dass die europäische Gemeinschaft hier ein Zeichen setzt, dass es so etwas wie Diktatur nicht geben darf, dass hier die europäische Idee von Demokratie und Menschenrechte getragen wird.“

Die europaweite Aufarbeitung der totalitären Geschichte ist das Hauptanliegen der „Plattform für das Gedächtnis und das Gewissen Europas“. Wie weit ist die Arbeit in Tschechien fortgeschritten? Der Direktor des Prager Instituts für das Studium totalitärer Regime, Daniel Herman:

„Natürlich braucht ein solcher Prozess seine Zeit. Meiner Meinung nach ist es nicht eine Aufgabe für eine Generation, sondern für mindestens zwei Generationen. Vieles wurde aber bereits getan, und die Situation in der Tschechischen Republik ist sehr gut. Zum Beispiel sind die Archive breit geöffnet worden. Das ist wichtig, dass praktisch jeder Forscher Zugang zu den Archivalien hat.“

Die Plattform soll mit Büros in Prag und später auch in Brüssel vertreten sein. Eines der ersten konkreten Projekte sieht vor, Unterrichtsmaterialien zu erarbeiten, die grenzüberschreitend einsetzbar sind.

„In der näheren Zukunft werden wir höchstwahrscheinlich eine Ausstellung über die totalitäre europäische Geschichte vorbereiten und auch ein Lesebuch der Geschichte für die Zeit vor der Wende für die jüngere Generation.“