Nicht nur Jugendstil: Das Kunstgewerbemuseum stellt europäische Plakate vor
In den Städten kann man sie nicht meiden, sie hängen einfach überall, nicht nur an Litfasssäulen, wo sie hingehören. Nachts schleichen dunkle Gestalten durch die Gassen und kleben sie nahezu überall ungefragt hin: die Plakate. Im 19. Jahrhundert waren sie noch nicht so verbreitet wie heute und manchmal waren es richtige Kunstwerke, die von namhaften Meistern entworfen wurden. Die größte Sammlung von Plakaten in Tschechien befindet sich im Prager Kunstgewerbemuseum. Eine Auswahl der schönsten, interessantesten oder auch kuriosesten Plakate aus dieser Sammlung kann man zurzeit in einer Ausstellung besichtigen.
In den großen Industriestädten lebten schon immer die kauflustigsten Bevölkerungsschichten. Bei den kauf- und unterhaltungssüchtigen Bewohnern der Großstädte weckte gerade die Werbung massenhaft die entsprechenden Begierden. Plakate sind ein Phänomen der Großstädte geworden. Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verbreiteten sie sich und bestimmten allmählich das Straßenbild mit.
In den Sammlungen des Prager Kunstgewerbemuseums gibt es zahlreiche Plakate von hoher künstlerischen Qualität. Deren Schöpfern ging es im 19. Jahrhundert darum, die Öffentlichkeit ästhetisch zu kultivieren. Andererseits findet man in den Museumssammlungen viele Plakate aus den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, die sich vor allem auf die Werbung für Waren und Dienstleistungen konzentrierten. Bei ihnen war der Druck auf den potenziellen Verbraucher wichtiger als der künstlerische Wert des Plakats. Solche Plakate sollten nicht erziehen, sondern verkaufen. Eine Auswahl von diesen beiden Plakatarten stellt das Museum zurzeit im Palais Clam-Gallas unter dem Titel „Das europäische Plakat“ aus. Die europäische Dimension wird nicht zufälligerweise unterstrichen, sagt der Kurator der Ausstellung, Petr Štembera:
„Die Ausstellung wurde anlässlich der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft vorbereitet. Sie bot uns eine geeignete Gelegenheit, unsere Sammlungen zu durchstöbern und auszuwerten. Wir haben als Land den Vorteil, dass wir Bestandteil von Österreich-Ungarn waren. Aus dem Grund haben wir viele Plakate der Wiener Sezession, des Jugendstils, sowie viele Werke deutscher Künstler in unseren Sammlungen. Zudem hatten wir das Glück, dass es bei uns auch in der Zeit der Ersten Republik einige Kunstsammler gab, die Kontakte mit Frankreich hatten und Plakate sammelten. Viele Plakate von berühmten Künstlern wie Toulouse-Lautrec oder von Jules Chéret haben wir zwar nicht, aber die Sammlung der Plakate aus den 20er Jahren und vom Anfang der 30er Jahre gehört zu den wertvollsten Sammlungen dieser Art in Mitteleuropa.“
Das Museum hat in seinen Sammlungen herrliche Plakate aus Italien, Deutschland und vor allem aus Frankreich. Es wundere ihn nicht, dass es passionierte Sammler von Plakaten gebe, meint Kurator Štembera. Denn insbesondere Exponate aus Paris hätten ihren ganz besonderen Charme.
Insgesamt 50 Plakate kann man im Palais Clam-Gallas bewundern. Sie stellen nur einen Bruchteil der Museumssammlungen dar. Im Ausstellungskatalog findet man jedoch auch Abbildungen von einigen weiteren Plakaten aus dem Kunstgewerbemuseum. Diese konnten wegen Mangel an Raum oder wegen ihres Erhaltungszustands nicht ausgestellt werden. Gibt es bestimmte Genres oder Stilrichtungen bei den Plakaten?„Ich unterscheide zuerst zwischen der so genannten ´Vorgeschichte´ - das heißt den Anfängen des Plakats in den Jahren 1850-1890 - und der Geschichte. Zur Geschichte gehören beispielsweise die herrlichen graphischen Blätter im Stil der deutschen Neo-Renaissance. Die spätere Auswahl von Plakaten habe ich als ´Koexistenz´ bezeichnet. Denn ich akzeptiere nicht die Meinung, dass Plakate aus den Jahren 1895-1900 nur Jugendstilsachen waren. Dies wäre aus kunsthistorischer Sicht eine große Vereinfachung.“
Es gibt nach Meinung des Kurators verhältnismäßig wenige echte Jugendstilplakate, teilweise durch Japan inspiriert. Man konnte nach Petr Štemberas Worten zur selben Zeit Plakate verschiedener Stilrichtungen erleben. Für die meisten Tschechen ist mit dem Plakat vor allem Alfons Mucha verbunden. Mucha ist jedoch in der jetzigen Ausstellung nicht vertreten.
„Mucha habe ich hier nicht gezeigt, weil Mucha inzwischen überall ist. Man könnte es mit dem Phänomen Kafka vergleichen: In jedem Touristenshop kann man Ansichtskarten mit Muchas Motiven kaufen. Dies ist ein wenig bizarr, denn den Touristen werden eigentlich französische Ansichtskarten verkauft. In seiner Zeit war Mucha für ein oder zwei Jahre ein Novum. Aber sobald man entdeckt hatte, dass es nicht schwer ist, ihn nachzuahmen, hat man es auch gemacht. Die meisten Leute, die Plakate entwarfen, hatten an einer Malerakademie studiert. An der Akademie hatte man immer Anfangs das Zeichnen geübt. Die meisten Absolventen waren sehr geschickt, und es war für sie kein großes Problem Plakate auf diese höchst dekorative Weise wie Mucha zu entwerfen.“
Eigentlich interessiere ihn nicht so sehr, ob ein Plakat aus künstlerischer Sicht Erfolg gefeiert hat, sagt Petr Štembera. Denn Plakate müssten nicht schön sein, sie müssten ihren Zweck erfüllen. Mit Plakaten wusste man Jahre lang im Museum nicht viel anzufangen, scheint es. Dennoch haben einige sie gesammelt, worüber der Kurator sehr erfreut ist:
„Das Museum hatte einst keine selbständige Sammlung von Plakaten. Sie gehörten zu den graphischen Entwürfen und lagen irgendwo in der Ecke zusammengerollt und man schenkte ihnen kaum Aufmerksamkeit. Erst seit den 60er und 70er begannen sich meine Vorgänger im Museum mit den Plakaten näher zu beschäftigen. Erst seit etwa 30 Jahren weiß man, was für einen Schatz die Sammlung darstellt.“
Bei Plakaten kann man kaum davon ausgehen, dass es sich um Einzelstücke handelt. Von den besonders wertvollen alten Plakaten sind meistens zwei-drei Exemplare erhalten geblieben. Nach neuen Ausstellungs-Exemplaren suchen die Museen sowie die Privatsammler bei den Plakatauktionen. Zu den wertvollsten Exponaten in der jetzigen Ausstellung gehört das Plakat mit der berühmten Tänzerin Josephine Baker. Auf dem Plakat aus dem Jahr 1923 ist sie in Lebensgröße zu sehen. Wie der Kurator erklärt, hatte er bei den Vorbereitungen die Vorstellung, dass dieses enorm große Plakat direkt gegenüber dem Eingang hängen soll. Danach musste er diese Idee aufgeben, denn diese Platzierung war aus technischen Grünen nicht möglich. So wartet die schöne Josephine auf die Besucher im letzten Ausstellungssaal als echtes Sahnehäubchen. Die Plakat-Ausstellung aus den Sammlungen des Prager Kunstgewerbemuseums ist im Palais Clam-Gallas in der Prager Altstadt zu sehen und zwar bis zum 7. Juni.