Tschechisch-deutsche Kontakte in einem kleinen westböhmischen Ort

Willkommen zu Begegnungen sagt Ihnen, liebe Freunde, Jitka Mladkova. Diesmal möchte ich Sie in eine tschechisch-deutsche Grenzregion in der Nähe von Karlsbad einladen, wo seit etwa 10 Jahren nach einer jahrzehntelangen Pause eine Wiederbelebung der Kontakte zwischen ehemaligen sudetendeutschen und heutigen tschechischen Bewohnern stattfindet. Der Ort, den ich Ihnen dabei vorstellen will, heißt Valec, zu deutsch Waltsch.

Das Amt des Bürgermeisters von Valec/Waltsch bekleidet seit drei Jahren Dr. Petr Susanka. Er ist kein gebürtiger Waltscher, und doch ist ihm der Ort vertraut und bekannt. Hier lebten nämlich seine tschechischen Großeltern, bei denen Herr Susanka oft als Kind weilte. So verstand und sprach er einst die Sprache der Einwohner - das "Woltschdeutsch", wie er heute sagt. Das war vor dem 2. Weltkrieg, danach war jedoch alles anders. Seine Eltern wollten in der neuen Situation nicht, dass ihr Sohn deutsch spricht. Sein Leben verbrachte Petr Susanka zumeist in Prag, wo er Mathematik studierte und später im Forschungsbereich für Biodynamik im Bereich des Sports tätig war. Erst als Rentner siedelte er nach Waltsch um, kandidierte in den Kommunalwahlen und wurde zum Bürgermeister gewählt. Wird er heute an die problematischen Ereignisse der Vergangenheit erinnert, winkt er nur ab und sagt: "Es hat schon immer dumme Tschechen und dumme Deutsche gegeben, heute ist jedoch ausschlaggebend, welche Beziehung die Tschechen und die Deutschen zu dieser Region haben. Diese Beziehung fand auf der deutschen Seite bereits vor 35 Jahren in der Gründung des Vereins Waltsch ihren Ausdruck. Doch die faktische Zusammenarbeit datiert erst wieder seit 1993, als dieser Verein Kontakte mit dem Gemeinderat in Waltsch geknüpft hat. Die Situation der Gemeinde sieht Petr Susanka im Spiegel ihrer Geschichte bis hin in die Gegenwart sehr kritisch:

"Erst nach ein paar Monaten im Amt des Bürgermeisters habe ich begriffen, dass diese Gemeinde im Laufe der letzten 300 Jahre nie - wenn ich mich der Terminologie der Bolschewiki bedienen darf - so ausgebeutet wurde wie es derzeit der Fall ist, was auch für andere Orte im ehemaligen Sudetenland zutrifft. Und der Verfall dauert hier schon seit 100 Jahren an, ist also nicht nur auf die Kommunisten zurückzuführen!"

Diese Argumentation untermauert der Bürgermeister von Waltsch z.B. mit dem Verweis auf die wesentlich höher liegenden Fahrtkosten der Waltscher Schüler für eine Monatskarte im Vergleich zu ihren Prager Pendants, die im Schnitt in finanziell besser situierten Familien leben. Er hat auch konkrete Zahlen parat: Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert hätten in Waltsch rund 1000 Bewohner gelebt, heute seien es nur noch 262. Der Rückgang der Einwohnerzahl gehe nicht nur auf das Konto der Vertreibung, die als Höhepunkt der negativen Entwicklung gelte. Allein durch den 1.Weltkrieg habe der Ort 500 Einwohner verloren. Danach habe man sich aufgerappelt, aber die Erste Republik habe diese deutsch besiedelte Region kaum unterstützt. Hinzu sei außerdem noch die in die Hunderte gehende Anzahl von Menschenverlusten durch den 2. Weltkrieg gekommen. Des weiteren fügt Susanka an:

"Das Schlimmste, was meiner Meinung nach die Regierungen und das kommunistische Regime hier angestellt haben, war, dass die Grenzregionen nicht neu besiedelt wurden. Und was ich Präsident Benes vorwerfen würde, ist die Tatsache, dass er diese Regionen zwar neu besiedeln ließ, aber so, dass ich mich lieber nicht dazu äußern werde, um nicht impertinent gegenüber den in Wellen eingeströmten Zuwanderern zu sein. Man nannte sie "die roten Garden", und die haben hier auch das Ihrige getan."

Ja, auch solche - sagen wir in Anführungsstrichen - Neusiedler gab es, die in den ersten Nachkriegsjahren aus weiter Ferne nur mit dem Ziel kamen, um Eigentum billig, sprich gratis, zu erwerben und wieder schnell zu verschwinden, nach dem Motto: Was wir nehmen können, das nehmen wir mit. Aber auch viele von den späteren Ankömmlingen, die zwar geblieben sind, schlugen im neuen Wohnort nicht so recht ihre Wurzeln, was dem Besucher mancherorts auch heute noch ins Auge fällt. Allein in Waltsch und Umgebung sind rund 120 Häuser letzten Endes verfallen. Auf meine Frage, ob er sich mit dem Amtsantritt als eine der Aufgaben vorgenommen habe, die tschechisch-deutschen Kontakte zu neuer Blüte zu beleben, antwortete mir Petr Susanka:

"Ja, absolut! Eine Sache ist, was auf beiden Seiten extremdenkende Funktionäre bzw. Regierungs- und Parlamentsvertreter den Leuten erzählen, und die andere Sache ist das eigentliche reale Leben. Dazwischen besteht ein großer Unterschied! Wir pflegen hier höchst freundschaftliche Beziehungen. Natürlich läuft nicht alles reibungslos. Immer gibt es Leute, die nach Konflikten suchen. Aber die Geschichte wird nicht die Frage stellen, ob einer ein Tscheche oder ein Deutscher war, sondern ob er ein gutes Verhältnis zu seiner Region, zu seiner Gemeinde oder zu seinem Haus hatte. Für mich ist ein Waltscher derjenige, der Waltsch liebt, und dabei muss er nicht unbedingt in Waltsch wohnen."

Nach Waltsch kommen seit mehreren Jahren ehemalige Ortsbewohner aus Deutschland zu Besuch. Wie werden diese Besucher von denjenigen wahrgenommen, die sich hier als Einheimische betrachten?

"Ich will nicht vertuschen, dass ihre Befürchtungen groß waren. Es gibt Situationen, dass heutige Hausbesitzer zu Hause sitzen und ehemalige Besitzer vorbeispazieren. Ich glaube, es passiert nicht, dass der ehemalige Hausbewohner das Haus nicht betreten darf. Man beschenkt sich gegenseitig. Die einen kommen mit einer Schokoladenschachtel oder einer Flasche Wein, die anderen wiederum bieten z.B. ihre eigenen Produkte an. Das gegenseitige Verhältnis entwickelt sich. Ist beim ersten Treffen mit ehemaligen deutschen Ortsbewohnern außer dem Bürgermeister niemand anders gekommen, so waren beim jüngsten Treffen mit 50-60 Deutschen genauso viele Einheimische da, so dass wir alle kaum noch in die Dorfgastwirtschaft reinpassten."

Der Prozess der tschechisch-deutschen Annäherung läuft in Waltsch weiter und findet in Formen einer Zusammenarbeit Ausdruck. Über ein ganz konkretes Beispiel dieser Zusammenarbeit möchte ich Ihnen, liebe Freunde, bei unserer nächsten Begegnung erzählen. Für heute bedanke ich mich fürs Zuhören und sage tschüss bis zum nächsten Mal!