Die Republik ohne Präsidenten - Symbolisches "Vakuum" nimmt konkrete Züge an

Die letzten Ausgaben unserer Rubrik "Schauplatz" waren, wie könnte es in diesen Tagen anders sein, hauptsächlich der Person Vaclav Havel gewidmet, sowie den bisher fehlgeschlagenen Versuchen des tschechischen Parlaments, seinen Nachfolger im Präsidentenamt zu bestimmen. Auch heute soll dies nicht anders sein. Denn erstmals meldet sich nun die Schauplatz-Redaktion aus einer Republik ohne Präsidenten. Welche symbolischen, welche politischen und welche verfassungsrechtlichen Auswirkungen hat nun jenes Machtvakuum für Tschechien? Hören Sie dazu mehr von Gerald Schubert:

Das riesige rote Neonherz des Künstlers Jiri David, das für mehr als zwei Monate hoch über der Prager Burg und weit über die tschechische Hauptstadt hin geleuchtet hatte, ist am vergangenen Wochenende erloschen. Am Sonntag, dem 2. Februar nämlich, endete die Amtszeit von Vaclav Havel, zu dessen Abschied das teils heftig umstrittene Kunstwerk im vergangenen November installiert worden war. Das Herz hatte sich übrigens bereits einmal zuvor verfinstert, allerdings nur zur Hälfte. Und das kam so:

In der Nacht vom 14. auf den 15. Januar, also am Vorabend des ersten Versuches, in einer gemeinsamen Sitzung beider Parlamentskammern einen neuen Präsidenten zu wählen, hatten mehrere Mitglieder einer Künstlergruppe mit dem Namen "Z toho ven!", zu deutsch etwa "Nichts wie raus hier!", das Gerüst erklommen, an dem die Leuchtstoffröhren befestigt waren, und die Hälfte davon mit dunklem Stoff abgedeckt. Knapp darunter montierten die jungen Leute dann noch einen mitgebrachten Scheinwerfer.

Wer sich nun das halbe Herz und den durch den Scheinwerfer entstandenen Punkt bildlich vor Augen führt, der erkennt die Intention der Künstlergruppe: Ein riesiges Fragezeichen leuchtete in dieser Nacht für einige Minuten hoch über der Moldau und drückte die Frage aus, die sich seit längerer Zeit viele Menschen hierzulande stellen: Wer wird der nächste tschechische Präsident?

Als die Burgverwaltung den Streich übrigens bemerkte, schaltete sie die Stromzufuhr für das Herz vorübergehend ganz ab. Dabei aber wäre das Fragezeichen dort nach wie vor ein passendes Symbol an passender Stelle. Denn noch immer gibt es keinen Nachfolger für Havel.


Über die verschiedenen Verhandlungen zwischen den Parteien und die Bemühungen, sich letztlich auf einen Kandidaten zu einigen, haben wir schon des öfteren an anderer Stelle berichtet. Heute befassen wir uns mit dem momentanen Status quo und stellen die Frage, welche Auswirkung die Tatsache eigentlich hat, dass die Tschechische Republik derzeit ohne Staatsoberhaupt ist.

Lubomir Zaoralek,  Foto: CTK
Die wichtigsten Bestimmungen sind in der Verfassung eindeutig geregelt: Die Vollmachten des Staatsoberhauptes gehen nämlich in der präsidentenlosen Zeit automatisch auf den Premierminister und auf den Vorsitzenden der Abgeordnetenkammer über. Im konkreten Fall sind dies also Vladimir Spidla und Lubomir Zaoralek, beide von der Sozialdemokratischen Partei CSSD.

Die konkrete Aufteilung der Kompetenzen: Der Premierminister, also Spidla, ist nun Oberbefehlshaber der Streitkräfte, kann staatliche Auszeichnungen erteilen, Richter ernennen, Amnestien aussprechen sowie Botschafter berufen und auch wieder abberufen. Der Vorsitzende der Abgeordnetenkammer, gegenwärtig Zaoralek, kann zu gegebenem Zeitpunkt die Mitglieder des Verfassungsgerichts sowie des Bankenrates der Tschechischen Nationalbank ernennen, und er kann Referenden ausrufen, wie etwa das über den EU-Beitritt Tschechiens. Außerdem würde im Ernstfall auch die Ernennung der Regierung und ihres Vorsitzenden in seine Kompetenz fallen.

Manche der präsidialen Vollmachten gehen jedoch verloren, weil sie nun weder von Spidla noch von Zaoralek ausgeübt werden können. Vaclav Havel hat zu dieser Tatsache bereits vor seinem Abgang Stellung genommen, und dabei durchblicken lassen, dass seiner Ansicht nach dennoch keine Verfassungskrise droht:

"Einige Kompetenzen gehen auf niemanden über, und verfassungstechnisch hat dies seine guten Gründe. Es sind das auch keine Kompetenzen, deren Erfüllung nicht bis zum Augenblick des Antritts eines neuen Präsidenten warten könnten."

Zu den nun quasi brach liegenden Vollmachten hat Radio Prag den Juristen Radek Motzke befragt:


Welche Kompetenzen sind es, die jetzt weder in der Hand des Premierministers Spidla, noch in der Hand des Vorsitzenden der Abgeordnetenkammer, Lubomir Zaoralek liegen?

Motzke: "Für die wichtigsten Kompetenzen halte ich das Recht, Wahlen anzuberaumen, weiter das Vetorecht, das heißt das Recht des Präsidenten, einen Gesetzesentwurf des Parlaments abzuweisen, und drittens das Recht des Präsidenten, eine strafrechtliche Ermittlung gegen eine konkrete Person anzuhalten."

Sind da Punkte dabei, wo es zu ernsthaften Schwierigkeiten kommen könnte, oder sind das eher Verfassungspunkte, die mehr symbolischen Wert haben und in der Praxis kaum zur Anwendung kommen? Anders gefragt: Lauern hier ernsthafte Gefahren, wenn niemand mit diesen Vollmachten betraut ist?

Motzke: "Ich sehe hier keine unmittelbaren Gefahren, weil wir in einer verhältnismäßig stabilen politischen Lage sind. Gefährlich wäre die Situation, wenn wir keinen Senat hätten. Die Verfassung hat immer einen Senat und ein Abgeordnetenhaus vorausgesetzt; und dies seit dem wir die Verfassung haben, also seit 1993. Jedoch wurde nur das Abgeordnetenhaus gewählt. Den Senat hatten wir lange Jahre nicht. Er wurde zum ersten Mal 1998 gewählt. Also in dieser Zwischenzeit, von 1993 bis 1998, hätte es zu einer politischen Krise kommen können. Denn es hätte passieren können, dass der Vorsitzende das Abgeordnetenhaus auflöst, und noch kein neuer Präsident gewählt ist. Dann hätten wir kein Abgeordnetenhaus gehabt, und es wäre niemand da gewesen, der Neuwahlen ausschreiben hätte können. Wir hätten dann eigentlich keine gesetzgebende Macht im Staat, und das wäre natürlich gefährlich gewesen. Das kann jetzt nicht passieren. Denn der Senat wurde gewählt, und wir haben auch ein Abgeordnetenhaus. Wir haben nur den Präsidenten nicht. Also wenn jetzt der Vorsitzende des Abgeordnetenhauses das Abgeordnetenhaus auflösen würde, hätten wir immer noch den Senat. Und der Senat kann gesetzesähnliche Maßnahmen erlassen. Die gesetzgebende Macht ist also erhalten."


Auch der Historiker Jan Barta vom tschechischen Institut für Staats- und Rechtswesen nimmt auf die Vergangenheit Bezug und weist darauf hin, dass bereits einmal, nämlich vor der Teilung der Tschechoslowakei und der Neuwahl Havels als tschechischer Präsident ein ähnlicher Zustand geherrscht habe. Auch damals sei das Land ohne Präsident gewesen, auch damals habe man die Situation ohne Probleme gemeistert:

"Selbstverständlich richtete sich das nach der damaligen tschechoslowakischen Verfassung, die ganz anders war, aber die Lösung dieser Situation, das heißt ein Ersatz für den Präsidenten, beruhte auf dem selben Prinzip wie heute. Und ich glaube, die historische Erfahrung hat gezeigt, dass diese Lösung problemlos funktionierte."

Auch wenn also die verfassungstechnische Materie nur wenig Anlass zur Furcht vor einer ernsthaften Krise bietet, gelobt Premierminister Spidla Bescheidenheit im Umgang mit den neu erworbenen Kompetenzen:

"Zwischen mir und dem Herrn Vorsitzenden Zaoralek herrscht selbstverständlich absolute Übereinstimmung darüber, dass wir die Vollmachten, die uns für eine bestimmte Zeit anvertraut sind, in kleinstmöglichem Umfang wahrnehmen werden. Eben gerade so, dass das System in verfassungstechnischer Hinsicht glatt weiterläuft, aber mit keinerlei Absicht, diese Kompetenzen irgendwie auszuweiten oder die ungewöhnliche Situation in einer anderen Form zu nutzen, als dies die Verfassung oder die guten Sitten vorsehen."

Bei all diesen beruhigenden Worten darf man jedoch eines nicht vergessen: Die formalrechtlichen Angelegenheiten sind nur die eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite befindet sich das Abbild der politischen Praxis eines Landes. Und nach den zwei fehlgeschlagenen Wahlrunden im Parlament gibt es durchaus Anzeichen dafür, dass die politischen Amtsträger einen Teil des Vertrauens der Bevölkerung erst wieder zurückgewinnen müssen: Beispielsweise die Tatsache, dass nun bereits der Schlagerstar Karel Gott und der ehemalige Eishockeytormann Dominik Hasek als mögliche Präsidentschaftskandidaten gehandelt werden.