Buchmuseum in Zdar nad Sazavou

Keinem konkreten Dichter, Schriftsteller oder Dramatiker, keinem konkreten literarischen Werk bzw. dessen Protagonisten gilt unsere heutige literarische Tour im Rahmen der Sendreihe "Reiseland Tschechien". Heute werden wir uns mit dem Buch an sich beschäftigen. In den folgenden Minuten begleiten wir Sie nämlich ins ehemalige Kloster und spätere Schloss in Zdar nad Sazavou. Dort ist seit fast 50 Jahren eine Abteilung des Nationalmuseums von Prag, nämlich das Buchmuseum untergebracht.

Für den Ruhm der an der böhmisch-mährischen Grenze liegenden Stadt Zdar nad Sazavou (Saar) sorgt vor allem die Johann-Nepomuk-Kirche auf dem Grünberg, einem Hügel, der sich über dem Städtchen erhebt. Als einzigartiges Zeugnis der Baukunst des Architekten Giovanni Santini Eichel wurde die Kirche sogar in die UNESCO-Liste des Weltkulturerbes eingetragen. Santini hat jedoch nicht nur oben auf dem Berg gearbeitet, sondern auch unten seine Spuren hinterlassen: im Zisterzienserkloster in Zdar nad Sazavou, das im 18. Jahrhundert in ein Schloss umgewandelt wurde. Heute wird es vom Radslav Kinsky bewohnt. Nachdem der nun 75jährige Schlossherr Anfang der 90er Jahre aus dem Exil in Frankreich in seine Heimat zurückkehrte, hat er das Schloss und die umliegenden Landgüter, die einst seiner Familie gehörten, im Zuge der Restitution zurückbekommen. Im Schloss fand er damals u.a. auch das Buchmuseum vor, das er nun gerne weiter beherbergt.

"Das Buchmuseum ist ein Teil des Prager Nationalmuseums. Das haben eigentlich schon meine Eltern mit dem Nationalmuseum so besprochen. Aber dann kamen die Jahre verschiedener Prozesse, und sie haben andere Sorgen gehabt. Und erst dann später... Seit ungefähr 45 Jahren gibt es nun dieses Museum hier. Und wir haben es natürlich hier gelassen. Wir haben eine sehr gute Zusammenarbeit mit dem Nationalmuseum, der Generaldirektor hat mich in den Rat des Nationalmuseums ernannt und wir haben keinerlei Probleme. Wir möchten allen Touristen aus Deutschland oder aus Österreich sagen, dass es wirklich dafür steht, dieses Museum zu besichtigen."

Soweit Radslav Kinsky. Was genau in diesem Museum besichtigt werden kann, davon erzählt dessen Leiterin Alena Jakubcova.

"Das Museum teilt sich in acht chronologisch aneinander anknüpfende Ensembles. Es beginnt mit dem Altertum - dort wird die Entwicklung der Schrift aus der nichtgrafischen, nichtschriftlichen Mitteilung gezeigt. Dann geht das Altertum zur mittelalterlichen Buchkultur über, weiter zur Entdeckung des Buchdrucks und Johannes Gutenberg. Im 16. Jahrhundert werden bedeutende Buchdrucker Europas vorgestellt. Im 17. Jahrhundert geht es um die Ausschmückung der Barock- und Rokokobücher. Im 19. Jahrhundert wird das Buch zu einem harmonischen Kunstwerk, und zwar hinsichtlich der Bindung, des Drucks, des Papiers, der Illustrationen. Daran hat sich der englische Buchdrucker William Morris verdient gemacht, bei dem auch die tschechische Malerin Zdenka Braunerova lernte. Und die Ausstellung endet mit dem 20. Jahrhundert; es werden dort die heutigen Buchverlage präsentiert."

Die Besucher bummeln selbst durch das Museum, wo die einzelnen Vitrinen und Ausstellungsobjekte durch Informationstafeln in vier Sprachen ergänzt werden. Nur am Anfang werden sie von einer Mitarbeiterin des Museums auf die Innenräume aufmerksam gemacht, in denen sie sich befinden. Mich hat im ehemaligen Klosterrefektorium Marta Nejedla begrüßt:

"Guten Tag, ich begrüße Sie im Buchmuseum in Zdar nad Sazavou. Dieses Buchmuseum ist das einzige in der Tschechischen Republik und eines der größten auf der Welt. Es wurde am 22. September 1957 gegründet. Wir befinden uns nun im Refektorium. Auf der Decke sehen Sie ein Fresko aus dem Jahr 1734. Dieses Fresko malte Karl Franz Töpper, und es wurde nie restauriert. In der Mitte oben sehen Sie den 'Himmelbrand der Zisterzienser und Benediktiner' und auf diesen vier Bildern sehen Sie Szenen aus der Bibel."

Im Refektorium finden jedes Jahr verschiedene Ausstellungen statt, die diesjährige gilt den Sammlern und Gönnern der Bibliothek des Nationalmuseums in Prag. Wir verlassen aber das Refektorium, und die Besichtigung geht weiter.

"Auf diesem Bild sehen Sie Vaclav Vejmluva. Vejmluva lud den Architekten Giovanni Santini Eichel nach Zdar nad Sazavou ein. Santini Eichel baute die Kirche auf dem Grünen Berg, die seit 1994 zu UNESCO-Denkmälern gehört. Und in diesem Flur sehen Sie bereits die eigentliche Ausstellung des Buchmuseums. Ich wünsche Ihnen schöne Besichtigung."

Machen wir uns nun also auf den Weg durch die Jahrhunderte und beobachten wir, wie sich das Medium Buch entwickelte. Alena Jakubcova:

"Die ständige Ausstellung des Buchmuseums ist eher technisch als literarisch orientiert. Der Besucher macht sich hier mit der Entwicklung des Buches im Hinblick auf dessen äußere Form bekannt, in Bezug auf die Geschichte und Entwicklung der Schrift, der Bindung, der Schreibinstrumente u.ä. Die Ausstellung unterscheidet sich vom Nationalen Schrifttumsmuseum in Prag, das nur literarisch gestaltet ist."

Der Anfang gilt der Schrift. Sie entstand im Altertum in einigen Gebieten: in Ägypten, Mesopotamien und in China. Gezeigt werden die Bilderschrift der Ägypter und die Keilschrift der Sumerer, die dann die Babylonier, Assyrer und Hethiter sowie weitere Völker von ihnen übernahmen. Es wird auch auf die chinesische Schrift hingewiesen, ebenso wie auf die Phönizier, die Erfinder des Alphabets - also der Laut- bzw. Buchstabenschrift. Im frühen Mittelalter wurde das Christentum zum Kultur- und Bildungsträger. Die Büchererzeugung war in Mittelalterlichen Klöstern und Kapiteln konzentriert. Wie ein sog. Skriptorium, d.h. ein Kämmerchen, in dem die vorwiegend geistlichen Zwecken dienenden Handschriften entstanden, aussah, darüber kann man sich im Museum eine Vorstellung machen. In Zusammenarbeit mit den Filmateliers in Prag-Barrandov wurde dort eine treue Nachbildung gebaut. Eine weitere Nachbildung finden wir einige Schritte und einige Jahrhunderte weiter: die Rekonstruktion einer Buchdruckoffizine des 15. Jahrhunderts mit zeitgenössischer Einrichtung. Im 16. Jahrhundert erreichte der Buchdruck auch in Böhmen einen hohen Standard. Unter die Namen, die bis heute allgemein bekannt sind, gehört Jiri Melantrich von Aventinum und sein Schwiegersohn Daniel Adam von Veleslavin. Außer Ausgaben von Übersetzungen, die berühmteste unter ihnen ist Mathiolis "Pflanzenbuch", druckten die beiden ursprüngliche tschechische Werke. Eine reiche Produktion von Büchern wiesen auch die Druckereien der Union der böhmischen Brüder auf. Von einem weiteren Teil der Ausstellung spricht Frau Jakubcova:

"Das wertvollste Ensemble im ganzen Museum ist die Kapuziner-Bibliothek. Es handelt sich um eine originale barocke Klosterbibliothek, die im historischen Mobiliar aufbewahrt wird. Sie beinhaltet 1700 Bände, gebunden im weißen Schweineleder. Man kann daran sehen, dass man bereits in der Barockzeit begann, die Bücher alphabetisch zu ordnen. Meistens handelt es sich um lateinisch geschriebene Bücher. Die Bibliothek stammt aus Roudnice nad Labem (Raudnitz)."

Zur Zeit der tschechischen nationalen Wiedergeburt waren tschechische Verlage Institutionen von großer Bedeutung. 1831 wurde beim Nationalmuseum in Prag die Matice ceska gegründet, eine Korporation für die Pflege der tschechischen Sprache und Literatur. Aufgrund ihrer Tätigkeit wurden die Hauptwerke der Wissenschaft und Literatur des 19. Jahrhunderts herausgegeben: Werke von Palacky, Safarik, Jungmann. Dieser Verlag war auch Herausgeber einer wissenschaftlichen Zeitschrift namens "Zeitschrift des Nationalmuseums", die bis heute erscheint. An die Zeit der nationalen Wiedergeburt erinnern in den Vitrinen des Museums mehrere Bücher:

"Wir haben hier sehr einzigartige Bücher. Hier etwa eine originale Erstausgabe der 'Großmutter' Bozena Nemcovas mit der Unterschrift der Autorin und einer Widmung: 'Meiner werten Freundin, Frau Laura Hanusova, gewidmet von Bozena Nemcova.'"

Doch auch in technischer Hinsicht ist das 19. Jahrhundert interessant:

"Im 19. Jahrhundert entstehen neue Drucktechniken. In dieser Zeit beginnt man das Buch eigentlich maschinenmäßig zu produzieren. Diese Maschinenproduktion ermöglichte einen riesigen Schwall von Büchern, Zeitungen und Zeitschriften. Gleichzeitig kam es jedoch zum Stagnieren des Niveaus des Buches. Die Worte vom Niedergang gelten dabei nur für Buchillustrationen nicht. Dank Josef Manes und Mikolas Ales kam es zu einer deutlichen Modernisierung und Verbesserung der Bücher in Bezug auf deren Illustrationen. Wir zeigen hier z.B. eine Fibel für die kleinsten Kinder mit Bildern von Mikolas Ales."

Da der Besucher bei der Besichtigung mit einer Menge von Informationen überhäuft wird, wartet am Ende des Rundgangs eine Auflockerung auf ihn. Er kommt in eine kubistische Bibliothek, die vom bedeutenden kubistischen Architekten Josef Gocar für den Literaturkritiker Jarmil Krecar entworfen wurde. Außerdem werden dort Möbel gezeigt, die der bekannte Künstler, Schriftsteller und Mystiker Josef Vachal bemalt hat. Nachdem Sie diese Möbel selbst besichtigt haben, werden Sie mir wohl darin recht geben, dass sie wirklich bizarr aussehen.

Natürlich wird im Museum auch an Josef Jungmann erinnert, von dem wir letztes Mal erzählt haben. Die richtige Antwort auf die Quizfrage, die wir damals gestellt haben, lautet: Sein großes tschechisch-deutsches Wörterbuch besteht aus fünf Bänden. Diese Antwort schickte uns u.a. Fritz Andorf aus Meckenheim, der ein Buch von uns erhält. Ein weiteres Buch kann derjenige Hörer bzw. diejenige Hörerin bekommen, der bzw. die uns schreibt, von wem, wann und wo der Buchdruck mit beweglichen Lettern erfunden wurde. Dies ist nämlich unsere Quizfrage von heute. Also wer, wann und wo hat den Buchdruck erfunden?

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