Die Liechtensteiner und die Böhmischen Länder
Erinnern Sie sich noch an die Nachrichten: das Fürstentum Liechtenstein blockiert den EWR-Erweiterungsvertrag? Grund für die Unterschriftsverweigerung sind die bisher ungelösten Eigentumsfragen zwischen Vaduz und Prag. Diese sind auch Grund dafür, dass sich die beiden Staaten seit der Entstehung der Tschechischen Republik vor über 10 Jahren gegenseitig offiziell noch nicht anerkannt haben. Was steckt hinter den schlechten tschechisch-liechtensteinischen Beziehungen? Eigentumsfragen, Restitutionen, die Benes-Dekrete und eine Menge Geschichte.
Karl von Liechtenstein entstammte einer ursprünglich österreichischen Adelsfamilie. Bereits im 13. Jahrhundert erhielten die Liechtensteiner vom böhmischen König Premysl-Otakar II. erste Besitzungen in Mähren für ihre treuen Dienste. Im Verlauf der folgenden drei Jahrhunderte vergrößerten die Liechtensteiner ihren Besitz nördlich und südlich der österreichisch-mährischen Grenze zielstrebig. Die "Barone von der Grenze" spielten in den zahlreichen Auseinandersetzungen zwischen Böhmischen und Habsburger Herrschern oft eine Vermittlerrolle und wurden dafür stets belohnt. Die Liechtensteiner bekleideten sowohl in Mähren als auch am Wiener Hof hohe Ämter und gehörten bereits im 16. Jahrhundert zu den einflussreichen Familien. Ihr endgültiger Aufstieg in die High Society des Habsburger Reiches erfolgte unter Karl von Liechtenstein.
Ende des 16. Jahrhundert konvertierten Karl und seine Brüder Maximilian und Gundakar zum katholischen Glauben. Zuvor waren die Liechtensteiner wie die überwiegende Mehrheit der Bewohner der Böhmischen Länder zu jener Zeit protestantischen Glaubens. Die Annahme des Katholizismus öffnete den Brüdern den Weg an den Kaiserhof. Karl bekleidete zu Beginn des 17. Jahrhunderts nicht nur das Amt des obersten Hofrates, er war auch einer der engsten Vertrauten von Kaiser Rudolf II. Sowohl Karl als auch Maximilian von Liechtenstein hatten zu jener Zeit durch ihre Ehen umfangreichen Grundbesitz in Mähren erhalten. 1608 erhielt Karl von Kaiser Matthias für seine treuen Diensten den erblichen Fürstentitel.
Während des böhmischen Ständeaufstands 1618 bis 1620 standen die Liechtensteiner auf Seiten der Habsburger. Maximilian war einer der Befehlshaber des erfolgreichen Habsburger Heeres. Karl wiederum stand nach der Niederschlagung des Aufstands an der Spitze des Gerichts, das die Rebellen verurteilte. Sein Name steht unter dem Todesurteil von 27 böhmischen Adeligen, die am 21. Juni 1621 auf dem Prager Altstädterring hingerichtet wurden. Karl von Liechtenstein leitete außerdem die mit Konfiskationen beauftragte Kommission. Kaiser Ferdinand II. hatte ihn zudem zum böhmischen Vizekönig und seinen Statthalter ernannt.
Neben anderen katholischen, den Habsburger treu ergebenen Adelsfamilien profitierten vor allem die Liechtensteiner von den Konfiskationen jener Zeit. Nach 1620 gehörte der Familie knapp ein Fünftel Mährens, in Böhmen nahmen sie Rang acht in der Großgrundbesitzertabelle ein. Fünf Herrschaftsgebiete hatten die Liechtensteiner vom Kaiser für ihre treuen Dienste erhalten, weitere sieben kauften sie billig, da diese zu den so genannten Rebellengütern gehörten, die enteignet worden waren. Es wird geschätzt, dass die Familie in den Jahren nach 1620 rund 40% ihres späteren Grundbesitzes erwarb.
Die Konfiskationen nach dem böhmischen Ständeaufstand werden noch heute als die größten Grundbesitztransaktionen in der Geschichte der Böhmischen Länder betrachtet - verbunden ist dieses Ereignis für viele mit dem Namen Liechtenstein. Karl von Liechtenstein, wird in Geschichtsbüchern eher negativ geschildert: fähig, aber skrupellos, habgierig und charakterlos, seine eigenen Ziele verfolgend, auch auf Kosten der Reichskasse, dazu von allen gefürchtet und gehasst.
Soweit die historischen Geschehnisse, die das Bild der Liechtensteiner hierzulande mit beeinflussen.
1633 entstand das erste, kurzlebige Fürstentum Liechtenstein auf mährischem Boden. Kaiser Ferdinand II. erhöhte die mährischen Besitzungen, die die Brüder zu Spotpreisen als Rebellengüter erworben hatten, zum Fürstentum, das den Namen Liechtenstein erhielt. Dieses war allerdings nur kurzlebig, nach 25 Jahren ging die Bezeichnung unter und es dauerte weitere 60 Jahre, bis ein Fürstentum Liechtenstein entstand - wenn auch an ganz anderer Stelle.
1712 konnte Johan Adam von Liechtenstein die verschuldeten Grafschaften Vaduz und Schellenberg erwerben. 1719 wurden diese zum Reichsfürstentum Liechtenstein ernannt. 1806 wurde das Fürstentum schließlich als souveräner Staat im Rheinbund aufgenommen. Die meisten Liechtensteiner kannten ihr fernes Fürstentum Liechtenstein allerdings gar nicht - die Familie residierte weiterhin in Wien und ihrem Hauptschloss in Feldsberg-Valtice.
Die Entstehung der selbständigen Tschechoslowakischen Republik 1918 brachte den Fürsten von Liechtenstein erhebliche Verluste. Ihre Herrschaft in Valtice, die bisher zu Österreich gehört hatte, wurde im Friedensvertrag von St. Germain dem neuen Staat zugeschlagen. Ihr Grundbesitz in Mähren und Böhmen verringerte sich von 1450 km2 auf 660 km2. Die Fürsten Liechtenstein gehörten während der ersten Republik immer noch zu den größten Großgrundbesitzern der jungen Republik, rund ein Dutzend Schlösser waren in ihrem Besitz. Während der Volksbefragung von 1930 gaben die in der Tschechoslowakei lebenden Liechtensteiner als Nationalität die deutsche an. In tschechischen Kreisen wird heute gemunkelt, dass Fürst Franz Josef II. zu jener Zeit mit den Nationalsozialisten sympathisiert haben soll. Doch dieser zog 1938 nach Vaduz und war damit der erste Fürst, der in Liechtenstein residierte.
1945 wurde der Liechtensteiner Besitz, der rund zehnmal größer war als das heutige Fürstentum, auf Grundlage der Benes-Dekrete konfisziert. Und damit sind wir bei der aktuellen Tagespolitik. Liechtenstein fordert die Anerkennung seiner Souveränität auch für die Zeit des Ersten und Zweiten Weltkriegs. Dies würde die Möglichkeit einer Entschädigung seiner Bürger, sprich der Fürstenfamilie, eröffnen. Der umstrittene Besitz umfasst Schlösser, Fabriken, Felder und Kunstwerke in einem geschätzten Wert von rund 100 Millionen Euro. Tschechien dagegen ist nur zu einer bedingungslosen Anerkennung der Souveränität für die Zeit seiner eigenen Existenz bereit - d.h. für die Zeit seit 1993. Die Verknüpfung des EWR-Erweiterungsvertrags mit einer Anerkennung der Souveränität Liechtensteins für die Zeit vor 1993, wie sie Vaduz nun gefordert hat, kommt für Prag nicht in Frage und so ist der Ausgang des Streites weiterhin offen.