Vom Erinnern und Vergessen der Jüdischen Kultur in Tschechien
In diesen Tagen eröffnete in der Robert Guttmann Galerie, der Galerie des Jüdischen Museums in Prag, eine Ausstellung des US-amerikanischen Künstlers Mel Alexenberg mit dem verheißungsvollen Titel "Kybernetictí andelé. Estetický koncept mírového resení pro blízký východ"/ "Kybernetische Engel. Ästhetisches Konzept einer friedlichen Lösung des Nah-Ost-Konflikts". Unsere freie Mitarbeiterin Karin Rolle besuchte die Ausstellung und ging der Frage nach, ob die Veranstaltungen des Jüdischen Museums in Prag auf das Interesse der tschechischen Bevölkerung stoßen, oder ob diese oft nur Programmpunkte touristischer Ausflüge bleiben.
Der alte jüdische Friedhof in Prag, die Legenden um Golem oder auch die Gedenkstätte Terezín/Theresienstadt sind Zeugen einer lebendigen und zugleich tragischen Tradition jüdischen Lebens auf dem Boden der heutigen Tschechischen Republik. Doch obwohl die jüdische Geschichte gerade in Prag nahezu allgegenwärtig ist, interessieren sich für diese nur wenige Tschechen. Sie machen lediglich 10 Prozent der Besucher des Jüdischen Museums in Prag aus, wie die Kuratorin der Ausstellung "Kybernetische Engel. Ästhetisches Konzept einer friedlichen Lösung des Nah-Ost-Konflikts", Michaela Hájková, berichtet.
Auf die Frage, ob das mangelnde Interesse vieler Tschechen mit einer antisemitischen Einstellung zu begründen ist, antwortete Michaela Hájková:
"Mit einem offenen Antisemitismus, wie er sich zum Beispiel in Frankreich zeigt, sind wir glücklicher Weise bisher nicht konfrontiert. Nichtsdestotrotz existiert ein großes Problem eines latenten, negativen Zugangs zu den Juden. Ich denke, dass die Ursachen dafür im Unwissen oder auch der Ignoranz vieler Tschechen zu suchen sind. Dieses Unwissen spielt meiner Meinung nach eine große Rolle. Es ist wirklich schade, dass man über die jüdische Kultur wenig weiß und wenig darüber gesprochen wird."
Dieses Unwissen zu überwinden und die jüdische Tradition bzw. das gegenwärtige jüdische Leben in Tschechien aber auch anderen Ländern zu diskutieren, ist das Anliegen der Robert Guttmann Galerie. Dass diese Bemühungen von Nöten sind, verdeutlichen auf alarmierende Weise Umfragen der jüngsten Vergangenheit, in denen mehrheitlich die Existenz Israels als der hauptsächliche Grund der Bedrohung des Weltfriedens gesehen wird, so Michaela Hájková.
Die Ausstellungsreihe der Robert Guttmann Galerie "Jüdische Präsenz in der zeitgenössischen visuellen Kunst", die 2002 ins Leben gerufen wurde, soll gerade die Sensibilität der tschechischen Bevölkerung für das Problem des latenten Antisemitismus schärfen, wie Michaela Hájková berichtet:
"Die Ausstellung Mel Alexenbergs ist innerhalb eines Zyklus entstanden, der gerade das tschechische Publikum mit unserem Museum verbinden soll. Denn wir bemerkten, dass 90 Prozent der Besucher des Jüdischen Museums ausländische Besucher sind, die nach Prag kommen, um die jüdischen Denkmäler und Sehenswürdigkeiten zu betrachten. D.h. der Zyklus "Jüdische Präsenz in der zeitgenössischen visuellen Kunst" soll am einheimischen Publikum orientiert sein. Er soll eine Plattform bilden, die einen Raum für Meinungs- und Erfahrungsaustausch schafft. Sie soll Ansichten von tschechischen Künstlern und denen, die im Rahmen des Zyklus gezeigt werden, diskutieren."
Der Ausstellungszyklus wird begleitet von einem reichen Bildungsprogramm, das aus Vorträgen, Diskussionsveranstaltungen und Lesungen besteht. Diese parallelen Veranstaltungen sprechen nicht nur die tschechische Bevölkerung an. Sie sollen auch gängige Vorurteile und Ressentiments verschiedener Prager Institutionen abbauen. Noch einmal Michaela Hájková:
"Wir versuchen mit diesem Zyklus auch ein wenig die traditionelle Barriere zwischen dem Jüdischen Museum und den übrigen Institutionen - Galerien und Museen - zu überwinden. Diese bestehen darin, dass man das Jüdische Museum als ethnografische Institution, die sich - negativ formuliert - mit einer toten Kultur beschäftigt, betrachtet. Aber wir wollen sagen, dass wir eine lebendige Institution sind."
Ein Ausschnitt des Werks Mel Alexenbergs, das im Rahmen des Zyklus "Jüdische Präsenz in der zeitgenössischen visuellen Kunst" in der Robert Guttmann Galerie zu sehen ist, reflektiert auf komplexe Weise die schwierigen theoretischen Diskussionen um die jüdische Kultur. Mit seinen Bildern greift der aus den USA stammende und heute in Israel lebende Künstler Mel Alexenberg die aktuellen Konflikte im Nahen Osten auf und fundiert diese zugleich mit seiner ästhetischen Theorie, die er vor der Ausstellungseröffnung auf einer Pressekonferenz an seinen Bildern beschrieb.
So zeigt das zentrale Werk "Ästhetischer Plan einer friedlichen Lösung für den Nahen Osten" aus dem Jahr 1989 eine Landkarte der islamischen Welt: Sie reicht von Marokko bis Pakistan. Sie ist überzogen mit einem symmetrischen Muster, das an die regelmäßig wiederkehrenden geometrischen Formen auf orientalischen Teppichen erinnert. Nur der Staat Israel bricht in einer anderen Farbigkeit und formalen Gestaltung mit der Regelmäßigkeit der geometrischen Muster. Islamische Fundamentalisten begreifen die arabischen Länder als ein Kontinuum, das lediglich vom Staat Israel unterbrochen wird. Israel wird verstanden als der Krebs im Körper der arabischen Nation, so Mel Alexenberg. Die moderne islamische Kultur identifiziert Israel als einen Makel. Einst jedoch war der Makel zentraler Bestandteil der Erfüllung des islamischen Glaubens. Betrachtet man beispielsweise die mit geometrischen Mustern überzogenen orientalischen Teppiche genau, so wird man immer wieder feststellen, dass die Symmetrie absichtlich unterwandert wird. Verschiebungen und Verzerrungen oder auch kreisförmige Muster durchbrechen die scharfe, kantige Anordnung. Denn dem islamischen Glauben zufolge kann nur Gott, kann nur Allah, perfekt sein. Das menschliche Schaffen ist hingegen von Fehlern gekennzeichnet, die zugleich die Existenz Allahs und seine Herrlichkeit immer wieder aufs Neue bezeugen. Mel Alexenberg begreift den Makel als eine notwendige Kategorie des Islams und verarbeitet diesen in seinem Bild, indem er den Makel Israel in blau-weißer Farbe aus dem Kontinuum der arabischen Welt hervorstechen lässt. Der Makel muss heute als positive Kraft umgedeutet werden. Israel ist die notwendige Bedingung der Erfüllung des islamischen Glaubens, so Mel Alexenberg.
Mel Alexenberg beschreibt den Konflikt im Nahen Osten als ein ästhetisches Problem, das mithilfe ästhetischer Kategorien gelöst werden kann. Sein ungewohnter Umgang mit künstlerischen Mitteln und sein Einsatz neuer Technologien, wie zum Beispiel Computeranimationen, sind konstitutiv für die Kunst, die nach dem 2. Weltkrieg und der Erfahrung des Holocaust entstand. Sie befreite sich von rigiden, autoritären Praktiken traditioneller Couleur und argumentierte dabei äußerst politisch - wenn auch auf subjektive Art und Weise: Eine Entwicklung, die in Tschechien bisher wenig rezipiert wurde. Dazu noch einmal Michaela Hájková:"Aber natürlich ist dies nur eine sehr subjektive Perspektive. Natürlich wissen wir, dass wir keine allgemeine Meinung und kein allgemeingültiges Rezept haben. Es ist eher ein Versuch, den Weg zur Diskussion dieses Problems auch auf dem Feld der Kunst zu öffnen. Ich denke, es ist nötig hier in Tschechien allgemein zu zeigen, dass Kunst auch politische Aspekte hat, und dass sich Künstler auch zu gängigen politischen Fragen äußern können."
Die kleine Ausstellung "Kybernetische Engel. Ästhetisches Konzept einer friedlichen Lösung des Nah-Ost-Konflikts" hält komplexe Diskussionsansätze auf kulturgeschichtlicher, politischer und ästhetischer Ebene bereit und spiegelt aus diesen verschiedene Perspektiven das Erinnern aber eben auch das Vergessen der Jüdischen Kultur in Tschechien. Die Ausstellung ist noch bis zum 12. September zu besichtigen.