Tschechische Beobachter vergleichen Protestdemonstrationen in Kiew mit der Samtenen Revolution
In der ukrainischen Hauptstadt Kiew haben am Mittwoch erneut zehntausende Menschen gegen die Fälschung der Präsidentenwahl protestiert. Auf dem Platz der Unabhängigkeit kamen etwa 40.000 Anhänger des Oppositionsführers Viktor Juschtschenko zusammen. Martina Schneibergova hat sich erkundigt.
"Es hat allmählich wirklich die Charakterzüge unserer Samtenen Revolution. Was die Entwicklung anbelangt, ist es schwierig, eine Prognose anzudeuten. Da die Parlamentsverhandlungen gescheitert sind, ist eine große Verantwortung auf das bisherige Staatsoberhaupt Leonid Kutschma übertragen worden."
Ondrej Soukup arbeitet für die weltweit tätige tschechische Hilfsorganisation "Mensch in Not" und befasst sich mit der Lage in der Ukraine intensiv seit einigen Jahren. Die Lage war Soukup zufolge schon vor dem zweiten Wahlgang sehr angespannt, da es bereits vorher zu Fälschungen kam. Es zeigte sich, dass das Kabinett ein entsprechendes Szenario vorbereitet hatte, um die Wahl zu fälschen:
"Ich persönlich sah Busse, die Leute von einem Wahllokal zum anderen brachten, diese Leute haben natürlich einige Male gewählt. Die Opposition hatte keinen Zugang zur Mehrheit der Medien. Es waren Wahlen, die europäischen Standards überhaupt nicht entsprachen."Mit bestimmten Protesten hat man schon gerechnet, aber die Zahl der Demonstrierenden sowie deren Engagement waren einzigartig:
"Ich muss zugeben, dass ich überrascht war, wie hoch das Ausmaß der Politisierung der Gesellschaft ist. Darüber, wer der Wahlsieger ist oder sein sollte, unterhielten sich alle Menschen, von den Rentnern bis zu den Teenagern, die in den Computerklubs saßen. Alle sprachen nur über die Präsidentenwahl. Die Empörung der Menschen darüber, dass sie von der Regierung wieder betrogen wurden, die ist diesmal am allerhöchsten, wenn ich es mit den vergangenen fünf, sechs Jahren vergleiche, in denen ich die Ukraine immer wieder besuchte."
In der Berichterstattung der ukrainischen Medien konnte man in den letzten Tagen Soukup zufolge eine kleine Änderung beobachten. Die Art der offiziellen Berichterstattung verglich er mit der Lage, die einige Tage nach dem 17. November 1989 in der Tschechoslowakei herrschte, als das tschechische Fernsehen die ersten Aufnahmen von den Demonstrationen in Prag brachte:"Es wird immer noch mit den Worten kommentiert, es handle sich um unverantwortliche Elemente und um manipulierte Jugend, aber allein die Tatsache, dass in den staatlichen Medien Bilder vom Unabhängigkeitsplatz in Kiew zu sehen waren, wo seit dem Montag ununterbrochen demonstriert wird, ist schon eine Veränderung. Auch um 4 Uhr morgens (Mittwoch), als ich abreiste, haben dort noch einige Tausend Menschen demonstriert. Die Opposition hat leider nur einen einzigen Fernsehkanal zur Verfügung, der jedoch nur auf einem Drittel des ukrainischen Territoriums empfangen werden kann. Man kann immer noch von keinem Durchbruch sprechen."
Ondrej Soukup wollte am Mittwochvormittag keine Prognosen aussprechen, nach seiner Meinung gibt es mehrere Möglichkeiten, wie sich die Lage entwickeln kann.