Václav-Havel-Bibliothek

Inspiriert durch die Bibliotheken der US-Präsidenten wurde vor kurzem in Prag die Václav Havel-Bibliothek errichtet. Über die Aufgaben und Vorhaben der neuen Institution erfahren Sie mehr von Martina Schneibergova und Thomas Kirschner im folgenden Spaziergang durch Prag.

 Vaclav Havel  (Foto: Autorin)
Die Öffentlichkeit wurde über die Errichtung der Bibliothek, die den Namen des tschechischen Ex-Präsidenten trägt, am Vorabend des 15. Jahrestags der Wende von 1989 informiert. Václav Havel war seinen eigenen Worten zufolge nicht der Initiator der Gründung dieser Institution. Auf die Idee kam seine Frau Dagmar und sie wurde von einigen Freunden Havels unterstützt:

"Erst ungefähr vor einem Dreivierteljahr habe ich mich mit der Idee dann identifiziert, und zwar aus einigen Gründen. Der Hauptgrund ist der folgende - ich wurde mir dessen bewusst, dass ich älter werde und dass meine Gesundheit nicht gerade besser wird. Ich wurde mir dessen bewusst, wie viele verschiedene Schriftstücke ich in den Schubladen aufbewahre - seit den fünfziger Jahren - wie z. B. meine Korrespondenz mit bekannten tschechischen Dichtern oder verschiedene Entwürfe von Gesetzen und Verfassungen. Es schien mir, dass es schade ist, dass das irgendwo nur herumliegt und das es nützlich wäre, wenn es jemand als ein Dokument nicht über mich, sondern eher über die Zeit, in der ich lebte bearbeiten würde. Es handelt sich eigentlich um die Geschichte der letzten fünfzig Jahre. Es wäre nützlich, wenn das alles auch für Interessenten aus den Reihen der Öffentlichkeit zugänglich wäre."

'Prag - Washington - Prag'  (Foto: Autorin)
Der Ex-Präsident räumte ein, dass es gar nicht einfach sein wird, eine solche Bibliothek aufzubauen. Er betonte, er sehe in der Idee eine Herausforderung. Das Projekt der Bibliothek wurde am Vorabend des 15. Jahrestags des Novembers 1989 präsentiert. Václav Havel wies darauf hin, dass sich in diesem Zusammenhang viele Zeitzeugen mit vielen verschiedenen Erinnerungen zu Wort melden:

"Dies erinnert an die Zeiten der Ersten Republik. Ferdinand Peroutka schrieb darüber, wie anlässlich jedes runden Jubiläums neue Schöpfer und Beschreiber der Geschichte auftauchen. In der Situation, wo einige dazu neigen, die Geschichte umzuschreiben, sie zu vergessen oder sie teilweise zu verschweigen, ist es gut, wenn es mehrere voneinander unabhängige Quellen gibt, aus denen man Kenntnisse schöpfen kann. Wenn es neben den bestimmt notwendigen, vom Staat geförderten Institutionen - wie z. B. den historischen Instituten - auch eine vom Staat unabhängige Non-Profit-Institution gibt, die über ausreichend Materialien verfügt, dann ist es gut, denn diese kann zur Selbstreflexion der Gesellschaft beitragen. Ohne die eigene Vergangenheit zu kennen, kann man über keine Identität sprechen."

Welche Aufgaben soll die Bibliothek nach Meinung von Václav Havel erfüllen? Sie soll die erwähnten historischen Quellen auswerten und bearbeiten. Sie soll ein Archiv zusammentragen und es wissenschaftlich nutzbar machen. Die Bibliothek könnte auch eine Diskussionsplattform bieten. Für Studien-, Popularisierungs- oder Informationszwecke könnte sie Materialien ausleihen - ähnlich - so Havel - wie es in einem viel größerem Maß bei den Bibliotheken der US-Präsidenten der Fall sei.

Die Václav Havel-Bibliothek hat ihren Sitz im Palais Schwarzenberg in der Vorsilská Nr. 10. Anna Jezková von der Gesellschaft Atkins und Langford, die das Gebäude renoviert hatte, sagte:

Anna Jezková  (Foto: Autorin)
"Der Palast war im Besitz der Familie Schwarzenberg bis 1945. Seit 1948 bis in die sechziger Jahre hatte die israelische Botschaft hier den Sitz. Die Mehrheit der Räume im Erdgeschoss steht Václav Havel zur Verfügung, es befinden sich hier seine Kanzlei und das Büro der vom Ehepaar Havel gegründeten Stiftung "Vize 97". Seit dem 1. Oktober dieses Jahres ist hier auch die Václav Havel-Bibliothek untergebracht."

Das Palais wurde in den Jahren 1992 - 1996 renoviert, seitdem werden seine Räumlichkeiten vermietet. Im Palais wohnt der ehemalige Kanzler von Präsident Havel, der vor kurzem für den sechsten Prager Stadtbezirk in den Senat gewählte Karel Schwarzenberg.

Die Bibliothek stellte sich mit dem ersten von ihr herausgegebenen Buch vor, in dem unter dem Titel "Prag - Washington - Prag" Telegramme veröffentlicht wurden, die im Herbst 1989 von der US-Botschaft in Prag nach Washington geschickt wurden. Darin hieß es z. B.:

"Alexander Dubceks Rolle in den Ereignissen der letzten Tage bleibt unklar. Auch wenn er Kontakte zu dem neu gegründeten Bürgerforum aufrecht hält, ist er bislang noch nicht nach Prag gekommen, um auf den öffentlichen Versammlungen zu sprechen, obwohl er vom Bürgerforum eingeladen wurde."

So sah die US-Botschaft in Prag die Ereignisse vom November 1989. Sie stützte sich dabei auf Berichte, die ihr von ihren Informanten geliefert wurden. In einem Telegramm nach Washington prophezeite die damalige US-Botschafterin in Prag, Shirley Temple-Black, auch die politische Zukunft von Václav Havel:

"Er versprach, zurückzutreten, sobald freie Wahlen durchgeführt werden. Sein Ziel ist es - wie er sagt - zum Schreiben und zum Theater zurückzukehren. Jedoch die Art, in der er die Politszene glatt betrat, führt uns zur Vermutung, dass er am Präsidentenamt Gefallen finden könnte, sodass es dann für ihn schwer wäre, das Amt zu verlassen."

Soweit eines der 120 Telegramme, die von der US-Botschaft im Herbst 1989 nach Washington geschickt wurden und die nun im zweisprachigen Buch erschienen, das von der Václav Havel-Bibliothek herausgegeben wurde.

Die vorher geheim gehaltenen Papiere wurden vom US-Außenministerium freigegeben und sie stellen ein einzigartiges Zeugnis über die bewegte Zeitetappe vor 15 Jahren dar. Über das Buch sprach mit seinem Herausgeber, dem Historiker Vilem Precan:

Herr Professor, wie entstand die Idee, ein solches Buch herauszugeben? Haben Sie einige dieser Telegramme bereits früher gekannt?"

"Sie waren mir und einem kleinen Kreis von Historikern bekannt, denn wir haben diese Serie von Telegrammen in den Jahren 1997-98 gekannt und haben Kopien davon 1999 bekommen, als das Tschechoslowakische Dokumentationszentrum im Oktober 1999 eine Konferenz über die demokratische Konferenz im Jahre 1989 organisiert hat. Wir haben einen kleinen Teil - 28 Telegramme - für die Konferenzteilnehmer damals publiziert. Ich habe den Direktor der Bibliothek, Václav Bartuska, darüber informiert, dass diese Telegramme existieren und dass auch eine erste Version der Übersetzung existiert. Er hat sie gelesen und hat dem Verwaltungsrat der Bibliothek vorgeschlagen, diese Telegramme als die erste Publikation der Bibliothek herauszugeben. Es war nicht nur Arbeit, aber Wette um die Zeit, es war eine mörderische Arbeit, alles in beiden Sprachen vorzubereiten. Erstens existieren die Telegramme in keinem normalen Text - alles ist mit großen Buchstaben geschrieben, also allein die Transkription in einen normalen Text war schon mühsam. In den Telegrammen wimmelt es von verschiedenen Abkürzungen und Fachbegriffen, dann kam die Übersetzung und Redaktion der Übersetzung. Es ist - ich würde nicht sagen wissenschaftliche, aber eher eine Fachedition."

Ich kann mir aber ganz gut vorstellen, dass diese Berichte nicht nur für Historiker, sondern auch für Laien, die das alles miterlebt haben, einen großen Wert haben können.

"Das schon, wenn sie schon Geduld aufbringen, 360 Seiten des Textes zu lesen. Aber es ist eine faszinierende Lektüre."

 Vaclav Havel,  Dagmar Buresova und Vaclav Bartuska  (Foto: Autorin)
Was war für Sie am meisten überraschend?

"Es war für mich überraschend, wie viel Aufmerksamkeit die Botschaft den Ereignissen in der Tschechoslowakei gewidmet hat und wie umfangreich und vielseitig diese Berichterstattung ist. Zweitens hatten sie auch gute Informationen, sie hatten ein Netz von Informanten in allen Schichten der Bevölkerung. Drittens ist es beachtenswert, wie schnell sie verstanden haben, dass es jetzt schon die Zeit des Umbruchs ist, während bis zum 17. November - wenn man die Berichterstattung bis zum 17.11. 1989 liest, sieht man, wie sie in Verlegenheit waren, wenn sie erklären sollten, warum in der Tschechoslowakei nichts solches passiert, wie es in Polen, Ungarn und der DDR der Fall war. Dann haben sie aber schon am 18. November verstanden, dass jetzt der Umbruch ist, sie haben auch die Rolle des Bürgerforums sehr schnell verstanden und dass es eine Volksrevolution, eine Volkserhebung ist."

Die Vaclav Havel-Bibliothek wurde im Sommer dieses Jahres als eine gemeinnützige Organisation gegründet. Jetzt bemühen sich ihre Mitarbeiter, die Bibliothek in der Öffentlichkeit bekannter zu machen und vor allem finanzielle Mittel für das Projekt zu sammeln. Ans Mikrofon bat ich die Mitarbeiterin der Bibliothek, unsere ehemalige Redaktionskollegin Dagmar Keberlova:

Seit der Präsentation des ersten Bandes der Václav-Havel-Bibliothek ist eine Woche vergangen. Wie groß ist das Interesse an dieser Publikation?

Dagmar Keberlová  (Foto: Autorin)
"Enorm groß. Wir haben schon erwartet, dass es ein interessantes Buch sein wird und dass es Menschen und Institutionen geben wird, die es kaufen werden, aber das Interesse und die Rezensionen haben unsere Erwartungen vielfach überboten. Jeden Tag kommen Vertreter von Buchhandlungen, um 40-50 Exemplare abzuholen. Wir haben die ersten Bestellungen aus den USA und aus Großbritannien bekommen. Das Buch kommt wirklich sehr gut an und das freut uns natürlich sehr."

Kann man sagen, dass es jetzt im Moment die Hauptaufgabe ist, das Buch der Öffentlichkeit - und damit auch die Bibliothek - vorzustellen?

"Ja, das ist klar, das ist unsere Präsentation. Wir haben darauf gewartet, bis wir das Buch haben und damit haben wir auch die Bibliothek vorgestellt. Wir wollten etwas in der Hand haben, was wir schon geleistet haben. Wir stellen das Buch vor und damit stellen wir uns auch vor. Das ist so zu sagen unsere Visitenkarte."

Zum Abschluss des heutigen Spaziergangs durch Prag bleibt nur noch die übliche Quizfrage zu stellen, für deren richtige Beantwortung Sie ein Buch gewinnen können. In der heutigen Sendung stellten wir Ihnen die Vaclav- Havel-Bibliothek vor. Wenn Sie wissen, wann Václav Havel nach dem Fall des kommunistischen Regimes zum tschechoslowakischen Staatsoberhaupt gewählt wurde, können Sie es uns schreiben, denn so lautet die heutige Quizfrage. Ihre Antworten richten Sie, bitte, an Radio Prag, Vinohradska 12, PLZ 120 99 Praha 2, Tschechien.

Vor vier Wochen fragten wir Sie danach, wo sich in Prag die Mozart-Gedenkstätte befindet. Sie ist in der Villa Bertramka im Stadtteil Smichov untergebracht. Eine CD geht diesmal an Hermann Heyne-Pietschmann aus Erfurt.