Für gute Taten bedankt man sich - auch nach 60 Jahren
Vergangene Woche hat die Stiftung Charta 77 in Berlin und in Prag den Frantisek-Kriegel-Preis vergeben. Die Verleihung wurde diesmal zum symbolischen Akt - ausgezeichnet wurden all jene tschechoslowakischen Bürger der deutschen Nation, die sich für die Demokratie in der Tschechoslowakei eingesetzt haben. Im Rahmen der Veranstaltung wurde auch eine Erklärung gelesen, die einen Appell an die politische Repräsentanz in Tschechien richtete, einen Dank an diese Deutschen auszusprechen. Hintergründe dieser Initiative erfahren Sie nun in der Rubrik Begegnungen von Bára Procházková:
Der Anlass für diese Erklärung liegt einige Jahre zurück, denn am Anfang war ein Buch über diejenigen Sudetendeutschen, die als Kinder die Vertreibung erlebt haben. Dieses Buch hat Alena Wagnerova geschrieben und stieß während der Recherche nach Menschenschicksalen auf viele tschechoslowakische Bürger deutscher Nation, die immer zum tschechoslowakischen Staat gehalten haben:
"Bei dieser Gelegenheit bin ich immer wieder darauf gestoßen, dass es einige, nicht sehr viele aber doch einige Sudetendeutsche gab, die nicht bei der Henlein-Bewegung mitgemacht hatten und die gegen den Strom geschwommen sind. Ich dachte, diese Menschen standen zu unserem tschechoslowakischen Staat in seiner schweren Stunde. Und denen sind wir eigentlich zum Dank verpflichtet, weil diese Haltungen ihnen immer Schwierigkeiten gebracht haben."
Viele von den deutschen Antifaschisten kamen 1938 in Konzentrationslager oder wurden verfolgt. Nach dem Kriegsende wurden sie gezwungen, die Republik zu verlassen. Nun soll diesen Menschen Anerkennung und Dank ausgesprochen werden. Alena Wagnerova hat bereits Politiker angesprochen und dadurch versucht, das Thema in den Senat zu bringen - bis jetzt vergeblich. Sie haben zwar eine Anhörung im Senat zum Thema der deutschen Antifaschisten in der Tschechoslowakei beantragt, aber damals gab es im Senat keine Bestrebungen, dies zu bewilligen. Die Soziologin Jirina Siklova verspricht sich von der Initiative einen neuen Schub in der Diskussion:"Wenn unsere Abgeordnete und unsere Regierung nicht fähig waren, dies auf das Tagesprogramm zu geben, hoffe ich, dass es als eine Bürgerinitiative durchgehen könnte. Wir als Bürger sind nicht durch Termine oder irgendwelche politische Strategien gebunden. Wir müssen nicht zusehen, es dem einen oder anderen Recht zu machen. Wir verstehen es als unsere Initiative und werden es so oft wiederholen, bis unsere Regierung dies eingesehen hat und sich damit beschäfigt."
Obwohl es sich um ein historisches Thema handelt, sieht eine der Initiatorinnen des Unterschriftenaufrufes eine bedeutende Aufgabe der Aktion ganz klar in die Gegenwart und in die Zukunft gerichtet. Die Erklärung sollte eine Geste sein und gleichzeitig eine Aufforderung, zwischen den Deutschen zu differenzieren, so Siklova:
"Das ist keine Erklärung für die bereits Toten, sondern es ist eine Erinnerung an uns, die noch leben, dass es gewisse Taten gibt, die man nicht vergisst. In diesem Zusammenhang denke ich, dass es für das Erinnern an Moral nie zu spät ist, weil dies für Leute bestimmt ist, die noch leben."
Jirina Siklova ist davon überzeugt, dass die Initiative ihren festen Platz auch auf internationaler Ebene hat:
"Ich denke, dass dieses Thema im Zusammenhang mit der Europäischen Union wieder aktuell wird, weil wir Mitglied der Europäischen Union sind und somit auch dem nationalen Gedanken eine gewisse Idee, einen Gedanken voranstellen, dass wir dem europäischen Gedanken also mehr verbunden sind als dem Blutrecht oder der Tradition."
Die Erklärung richtet sich an beide Seiten der Grenze, sowohl an Tschechen als auch an Deutsche. Auf jeder der beiden Seiten soll jedoch etwas anderes gezeigt und bewirkt werden. Alena Wagnerova sagt, dass sich die Tschechen mit der Geschichte auseinander setzen müssen und beschreibt dabei die Intention der Unterzeichner und das Ziel der Unterschriftenaktion:
"Das wendet sich primär auf die tschechische Seite, weil es unsere tschechische Pflicht und unser tschechisches Versäumnis ist, sich diesen Menschen stellen und ihnen dafür danken, dass sie zu uns in einer kritischen Situation standen und dafür einen hohen Preis bezahlt hatten. Es soll auch der deutschen Gesellschaft zeigen, dass hier Prozesse in Gang kommen."
Mit der deutschen Seite meint Wagnerova auch die Sudetendeutsche Landsmannschaft, denn sie spricht sich ganz klar für eine Differenzierung der sudetendeutschen Frage und ihre offene aber zugleich faire Thematisierung aus:
"Ich denke, dass die Politik der Sudetendeutschen Landsmannschaft kontraproduktiv ist. Und zwar aufgrund ihres Drucks, dass die Tschechische Republik solange die Dekrete des Präsidenten der Republik die so genannten Benes-Dekrete gelten, nicht in die Europäische Union aufgenommen werden darf. Das ist sehr kontraproduktiv und das weckt Ängste. Wir sind eine kleine Nation und eine Nation, die sehr oft bedroht war. Unsere Ängste sitzen sehr dicht unter unserer Haut und die großen Nationen verstehen es nicht".
Es wird in den kommenden Wochen eine Internetseite mit den Unterschriften veröffentlicht, dann wird die Erklärung den Abgeordneten und Senatoren überreicht. Die Erstunterzeichner bleiben optimistisch und versprechen sich von den Politikern eine positive Reaktion mit Worten und Taten. Auch der Vorsitzende der Stiftung Charta 77 und Sympathisant der Initiative, Frantisek Janouch, hofft, dass die tschechische Regierung und beide Parlamentskammern dementsprechend reagieren. Seiner Vorstellung nach sollte das Ergebnis eine Resolution oder eine Erklärung sein, die einen Dank ausspricht, so Janouch:
"Ich glaube, dass sie eher unter die Kategorie der Moral fallen sollte. Gute Taten und faires Verhalten sollte immer erinnert werden und man sollte sich immer dafür bedanken. Und das ist gerade das, was wir machen wollen."
Auf der tschechischen Seite haben die Erklärung nach Angaben von Jirina Siklova bis heute rund 180 tschechische Bürger unterschrieben. Unter ihnen sind Politiker, Schriftsteller, Journalisten oder Wissenschaftler sowie Studenten. Diese Personen möchten nicht mehr schweigen, wie sie selber zum Ausdruck bringen, sondern daran erinnern, dass es im tschechischen Grenzgebiet viele tschechoslowakische Staatsbürger deutscher Nation gab, die eindeutig erklärt haben, die Tschechoslowakei verteidigen zu wollen. Diese Bürger haben statt dem Prinzip der Nationalität, einen überordneten Gedanken schützen wollen - die Idee eines gemeinsamen demokratischen Staates. Warum bis heute keine solche Erklärung veröffentlicht wurde, erklärt Frantisek Janouch:
"Leider ist bis heute nichts passiert, weil es nach dem Krieg hier eine hysterische Atmosphäre gab, und auch nach der Wende hat niemand daran gedacht. Jetzt wurde es uns bewusst und wir machen es wieder gut. Es ist eine Wiedergutmachung von alten Schulden."
Jetzt ist aber für die Unterzeichner die Zeit gekommen, die Zeit ist reif für Taten, sind sich alle einig, dies bestätigt auch der Vizepräsident des tschechischen Senats und ehemalige Dissident, Petr Pithart:
"Es musste wahrscheinlich eine gewisse Zeit vergehen, dagegen kann man nichts machen. Jetzt wird uns langsam klar, dass wir wirklich wertvollen Menschen eine Anerkennung und Hochachtung schuldig geblieben sind."