Außergewöhnlicher Fund: Tonaufnahme von T. G. Masaryk
An seinem 80. Geburtstag hat der damalige tschechoslowakische Staatspräsident Tomáš Garrigue Masaryk eine Rede gehalten. Er richtete seine Worte am 7. März 1930 an Politiker und Volk. Bisher war nur eine schriftliche Übertragung dieser Ansprache bekannt. Doch vor einiger Zeit ist eine Tonaufzeichnung aufgetaucht mit der Originalstimme von Masaryk. Es ist ein alter Wachszylinder, der mit einem Phonographen beschrieben worden war.
Tomáš Garrigue Masaryk steht 1918 an der Wiege des eigenständigen tschechoslowakischen Staates. Folgerichtig wird er auch zum Präsidenten gewählt und dreimal als solcher bestätigt. Er stirbt am 14. September 1937 im Amt.
Bereits zu seinem 80. Geburtstag kann man von einem Kult rund um den Staatsgründer sprechen. Dementsprechend sehen auch die Feiern zu dem Jubiläum aus, wie der Historiker Marek Junek vom Nationalmuseum in Prag weiß:
„Das ganze Land feierte Masaryk. In jeder Stadt und in jedem Dorf gab es öffentliche Veranstaltungen dazu. Die Feiern am 7. März 1930 dauerten von der Früh bis in den Abend. Masaryk empfing Bürger aus seiner Heimatstadt Hodonín, die Vertreter vieler Firmen und Institutionen, Politiker unterschiedlicher Couleur, aber auch ausländische Botschafter. Unter anderem gratulierte ihm auch eine Delegation aus Frankreich inklusive Angehörigen der Armee, denn das Land war einer der engsten Partner der Tschechoslowakei nach dem Ersten Weltkrieg. Der Staatspräsident erhielt unzählige Glückwünsche und Geschenke. Den Tag schloss er übrigens bei einem Dinner mit seiner Familie ab. Und bei dieser Gelegenheit holte er tief Luft und merkte mit seinem trockenen Humor an, dass die Feiern riesig gewesen seien, aber was wohl nach seinem Tod los sein werde.“
Folgen der Weltwirtschaftskrise
Einige Tage vor dem Geburtstag verabschiedet das tschechoslowakische Parlament zwei Resolutionen. Das erste sagt, dass sich Tomáš Garrigue Masaryk um den Staat verdient gemacht hat. Und mit dem zweiten erhält der Präsident 20 Millionen Kronen, diese soll er für wohltätige Zwecke verwenden.In seiner Ansprache am 7. März bedankt sich das Staatsoberhaupt bei den Senatoren und Abgeordneten für diesen „Vertrauensbeweis“, wie er sagt. Im Weiteren geht er in der rund halbstündigen Ansprache auf die Lage im Land ein. Dazu der Historiker Junek:
„Im Jahr 1930 begannen sich auch in der Tschechoslowakei die Folgen der Weltwirtschaftskrise zu zeigen. Tomáš Garrigue Masaryk konzentrierte sich in seiner Rede daher auf die Rolle des Staates, den Bereich Soziales und forderte Reformen im Bildungswesen. Er interessierte sich auch für die städtebauliche Entwicklung Prags und die Arbeit der Journalisten, die er für das politische Leben in einem demokratischen Staat wichtig hielt. Mich fasziniert die Aktualität seiner Gedanken von damals. Was Masaryk vor 90 Jahren sagte, könnte auch heute noch gelten. Unter anderem betonte er, dass man nicht jeden Tag große Taten vollbringen müsse. Auch die tägliche Arbeit bringe die Gesellschaft schrittweise voran. Das, denke ich, ist seine Botschaft für die heutige Zeit.“
Seine Rede hält der Staatspräsident im Wladislaw-Saal auf der Prager Burg. Und sie wird damals aufgezeichnet. Und zwar mit einem sogenannten Phonographen. Dieses Gerät ist von Edison entwickelt worden, aber eigentlich schon ab 1910 überholt, denn Grammophon und Schallplatte erweisen sich als deutlich praktischer. Allerdings verwendet die tschechoslowakische Presseagentur ČTK den Phonographen noch bis in die 1950er Jahre. Der Klang wird dabei mit einer Nadel auf einem Wachszylinder eingraviert. Filip Šír ist beim Nationalmuseum in Prag für die Digitalisierung von historischen Tonaufnahmen zuständig. Er hat vergangene Woche der Öffentlichkeit den entsprechenden Wachszylinder präsentiert, der zwar schon vor einigen Jahren gefunden wurde, aber erst jetzt überprüft werden konnte.„Ursprünglich muss es zwei Wachszylinder gegeben haben, denn Masaryk sprach insgesamt 30 Minuten lang. Der zweite Teil ist leider nicht aufgetaucht. Wir haben also nur die ersten gut zwölf Minuten der Ansprache. Aber auch da ist es ein Wunder, dass sich der Zylinder mit der Gravur erhalten hat. Denn normalerweise wurden die Aufnahmen wie bei einem Diktaphon nach der Verschriftlichung wieder überschrieben. Auch diese Einspielung wurde wohl für die Presseagentur ČTK gemacht“, so der Fachmann.Wachszylinder von 1930
Konkreter Fundort waren die Archivbestände des tschechischen Musikmuseums in Prag, wie Filip Šír weiter ausführt:
„Das Museum hat unseren Recherchen nach im Jahr 1966 eine Sammlung von insgesamt 1100 Wachszylindern vom Tschechoslowakischen Rundfunk erhalten. Wir wissen nicht, warum diese aufbewahrt wurden. Denn viele sind kommerzielle Einspielungen, weitere aber auch einzigartige Aufnahmen von Anfang des 20. Jahrhunderts. Beispielsweise sind das die ersten Aufführungen der Oper ‚Rusalka‘ mit damals herausragenden Sängerinnen und Sängern. Für den Rundfunk war das aber nicht mehr interessant, und er hat daher diese Sammlung dem Musikmuseum überantwortet.“Nach dem Fund des Wachszylinders konnte der Inhalt zunächst aber nicht überprüft werden. Das ist erst seit vergangenem Jahr möglich. Denn das Nationalmuseum hat einen sogenannten Endpoint angeschafft – das ist ein modernes Gerät, das sich unter anderem wie ein alter Phonograph verwenden lässt.
„Wir nennen dieses Gerät ‚Nummer fünf lebt‘, nach dem Film aus den 1980er Jahren. Es ist das einzige in Europa, die anderen vier gibt es in Amerika“, erläutert Šír.
Mit diesem Endpoint können nun auch weitere Bestände an Wachszylindern durchgehört werden. Laut Filip Šír lagern die Rollen unter anderem in den Tonarchiven des Prager Konservatoriums, der Prager Karlsuniversität und des tschechischen Technik-Museums.