Manipuliert Babiš die Presse? Europaparlament diskutiert über Medien in Tschechien
Andrej Babiš spaltet die Meinungen. Auf der einen Seite liegt der Unternehmer mit seiner Partei Ano schon länger in Tschechien deutlich vorne in der Wählergunst, auf der anderen Seite versuchen mehrere Institutionen, seine unternehmerische Tätigkeit beleuchten. Auch dem Europaparlament sind die Kontroversen um den Politiker nicht verborgen geblieben. Und deswegen hat die Europäische Volkspartei den Antrag durchsetzen können, dass in Straßburg über den Mann diskutiert wird, der nächster Premier hierzulande werden könnte. Konkret geht es um die Frage, ob und wie Medien in Tschechien missbraucht werden oder werden könnten.
Woher die Video-Aufnahmen stammen, ist nicht bekannt. Als sie Anfang Mai veröffentlicht werden, bestärken sie Premier Bohuslav Sobotka (Sozialdemokraten) in seiner Entscheidung: Andrej Babiš als Finanzminister abzuberufen.
Aber sie haben auch Europapolitiker beunruhigt. Manfred Weber ist Fraktionschef der Europäischen Volkspartei (EVP) im Europäischen Parlament. Gerade seine konservative Fraktion hat eine Diskussion initiiert, in der es in dieser Woche um die Lage der tschechischen Medien gehen soll. Gegenüber Radio Prag sagte der CSU-Politiker Weber am Rande des Parteitags der Christdemokraten in Prag am vergangenen Wochenende:„Die Tschechische Republik hat heute eigentlich eine sehr liberale und offene Medienlandschaft, in der viele Journalisten frei berichten. Darin ist die Tschechische Republik auch international führend. Trotzdem gibt es offene Fragen. Dazu gehören zum Beispiel die Berichte, dass Babiš in seinen Medien Einfluss genommen haben soll auf die Berichterstattung oder auf bestimmte Artikel. Diese Fragen stehen im Raum. Sie werden hier in Prag diskutiert – und sie müssen auch in Europa diskutiert werden, weil die Medienfreiheit ein wichtiges Grundprinzip in Europa ist.“
Anruf beim Redakteur
Andrej Babiš ist Milliardär und besitzt mit Agrofert einen der größten Wirtschaftskonzerne in Tschechien. Auch in Deutschland gehören ihm einige Firmen. Vor vier Jahren entschließt sich Babiš zum Kauf des Medienhauses Mafra. Als er im Juni 2013 bereits als neuer Eigner feststeht, gibt er eine Pressekonferenz, bei der er sagt:
„Ich schwöre hier öffentlich auf die Gesundheit meiner vier Kinder und zwei Enkelkinder, dass ich niemals in die Arbeit der Redakteure des Verlags Mafra eingreifen werde. Sie sollen schreiben, was sie wollen.“Schon am Morgen des nächsten Tages klingelt es bei einem Redakteur der Zeitung Lidové noviny, diese gehört zum Verlagshaus Mafra. Babiš beschwert sich bei dem Redakteur, dass dieser nicht über seine Pressekonferenz berichtet habe, obwohl er dort gewesen sei. Als der Redakteur an seine Chefs verweist, fragt Babiš ihn aus, wer genau hinter der Entscheidung stecke, keinen Beitrag über die Pressekonferenz zu veröffentlichen.
Der Anruf wird publik, und der Unternehmer muss sich noch am selben Tag in der Zeitungsredaktion vielmals entschuldigen.
Vor diesem Hintergrund wurde in den vergangenen Wochen über die geheimen Video-Aufnahmen diskutiert, auf denen Babiš mit dem Journalisten Pribil spricht. Tatsächlich hat der Ano-Chef den Mafra-Verlag im März an eine Treuhand überführt. Ob damit der Einfluss des Politikers geschwunden ist, das fragen sich auch hierzulande viele Kritiker. Zum Mafra-Verlag gehört neben den genannten Tageszeitungen unter anderem auch eines der meistbesuchten Nachrichtenportale hierzulande.EU-Gelder fürs Storchennest
In Brüssel werden die Video-Aufnahmen als eine weitere bedenkliche Affäre von Andrej Babiš wahrgenommen. Das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (Olaf) beschäftigt sich ohnehin schon mit der Vergabe von EU-Fördergeldern an den Konzern Agrofert. Es geht unter anderem um das Luxus-Konferenzzentrum Čápí hnízdo (Storchennest) in Mittelböhmen. Dessen Bau hat Brüssel mit Geldern für kleine und mittlere Unternehmen gefördert. Doch eigentlich gehört es wohl zum agrochemischen Konzern von Babiš. Das Pikante dabei: Als Finanzminister hat der Politiker selbst darüber gewacht, wohin die EU-Gelder fließen.
Der tschechische Europaabgeordnete Miroslav Poche von den Sozialdemokraten sagt daher:„Die Mitglieder des Europaparlaments sind keineswegs überrascht von der derzeitigen Lage in Tschechien. Ich gehöre dem Kontrollausschuss an, der sich regelmäßig mit den Nachrichten über mögliche Interessenskonflikte von Andrej Babiš bei der Schöpfung von EU-Fördergeldern beschäftigt. Das betrifft das Storchennest, aber auch weitere Bereiche. Und hinter der jetzigen Sache, bei der es um die Lage der Medien in Tschechien geht, stehen dieselben Europaabgeordneten aus Deutschland, die bereits 2013 bei einer Kontrolle Tschechiens durch das Europaparlament dabei waren.“
So wenig erstaunlich also die aktuelle Initiative aus Straßburg ist, so geringen Anklang fand sie bei einigen tschechischen Europaabgeordneten. Und das sogar bei jenen, die zur Fraktion der Europäischen Volkspartei von Manfred Weber gehören. Michaela Šojdrová von den Christdemokraten hat an Manfred Weber einen Protestbrief geschickt. Denn sie ist der Meinung:
„Wir müssen die Probleme vor allem selbst hier in Tschechien lösen. Man kann doch nicht den Untersuchungen vorgreifen, die wir hierzulande derzeit vornehmen, und im Plenum eine Debatte führen.“Das tschechische Abgeordnetenhaus hat nämlich beschlossen, eine Untersuchungskommission einzusetzen. Sie soll vor allem prüfen, wie Auszüge aus Akten zu laufenden polizeilichen Ermittlungen in die Hände des Journalisten Přibil kommen konnten.
Auf einer Linie mit Polen und Ungarn?
Auch weitere tschechische Europaabgeordnete kritisieren, dass nun am 1. Juni über die Lage der Medien in ihrem Land diskutiert werden soll. Damit befinde man sich zu Unrecht in der Gesellschaft von Polen und Ungarn, denen die Verletzung demokratischer Prinzipien vorgeworfen werde, heißt es. Doch EVP-Chef Manfred Weber versucht die Gemüter zu beruhigen:
„Eine Debatte im Europäischen Parlament ist zunächst eine Plattform, in der wir die Themen miteinander diskutieren. Und da kann jeder seine Meinung dazu äußern, wie problematisch er die Lage sieht. Für uns als EVP ist klar: Die Tschechische Republik hat heute eine freie und offene Medienlandschaft, die Menschen sind breit informiert. Aber es gibt in Bezug auf Herrn Babiš einige Fragen, die man stellen muss. Und das genau wird das Thema sein, das wir auf den Tisch legen wollen.“
Am Dienstag stand bereits der erste Teil der Diskussion an: eine Anhörung im zuständigen Ausschuss des Europäischen Parlaments für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres. Dazu waren auch Fachleute aus Tschechien geladen, darunter der Vorsitzende des tschechischen Journalistenverbandes, sowie die Leiterin von „Reporter ohne Grenzen“ in Brüssel. Laut dem Europaparlamentarier Luděk Niedermayer ist die Diskussion teils sehr turbulent gewesen. Dem Tschechischen Fernsehen schilderte der Politiker der konservativen Top 09 am Dienstagabend seine Eindrücke:„Die Lage in Tschechien ist durchaus ernst, weil sich die Versuche wiederholen, die Medien zur Beeinflussung des politischen Kampfes zu missbrauchen. Das ist nicht nur der Fall, bei dem Babiš abgehört wurde. Früher ging es beispielsweise auch darum, dass die Berichterstattung der privaten Fernsehsender Prima und Nova beeinflusst wurden. Dazu kommen Angriffe auf das öffentlich-rechtliche Tschechische Fernsehen. Die Anhörung hat jedoch gezeigt, dass vergleichbare Probleme auch in einer Reihe weiterer EU-Länder bestehen. Deswegen ist es meiner Meinung nach höchste Zeit, sich darüber zu unterhalten. Wobei aber noch überhaupt nicht klar ist, welche Haltung dazu eingenommen werden sollte und welche Rolle die EU dabei spielen könnte.“
Ein EU-weites Problem
Der zuständige Vertreter der Europäischen Kommission gab nach der Anhörung eine Erklärung ab. Demnach stellt die Struktur der Medien in Tschechien keine systematische Bedrohung der Demokratie dar. Gelobt wurde sogar das neue Gesetz gegen Interessenskonflikte. Auch der Vorsitzende des tschechischen Journalistenverbandes, Adam Černý, formulierte im Fernsehen seine Erkenntnisse:„Ich hatte befürchtet, dass hier Tschechien kalt abgeduscht wird. Das wäre etwas ungerecht gewesen, wenn man die relativ gute Bewertung der Pressefreiheit durch ‚Reporter ohne Grenzen‘ nimmt. Allerdings wurde daran erinnert, und das war wichtig, dass die Freiheit eine gemeinsame Sache aller ist. Mein Eindruck ist dennoch, nach all dem, was ich hier gehört habe, dass dies vor allem eine Aufgabe für uns zu Hause sein muss. Die Kommission hat betont, dass sie selbst nicht viele Mittel besitzt, um solche Probleme zu lösen.“
Tatsächlich liegt Tschechien aktuell bei der Pressefreiheit auf Rang 21 von 180 Staaten. Das klingt nicht schlecht. Doch die Reporter ohne Grenzen haben das Land gegenüber dem Vorjahr um zwölf Plätze heruntergestuft. Am Donnerstag wird die Diskussion über die Medien in Tschechien fortgesetzt – und zwar im Plenum des Europaparlaments. Man darf gespannt sein über den Verlauf.