Klein und uninteressant? Das Tschechienbild der Deutschen
In dieser Woche wurde sie in Prag noch einmal gefeiert, die Deutsch-Tschechische Erklärung. Insgesamt war sie ein großes Thema hierzulande. Aber auch viele Einzelthemen stehen immer wieder im Fokus, von der Wirtschaft bis zur Flüchtlingspolitik. Doch wie schauen die Deutschen eigentlich auf das kleine Land im Osten?
„Trotzdem ist es eine gedämpftere Berichterstattung über Tschechien in Deutschland. Da hört man eher selten etwas über das Nachbarland. Es kommt aber auch darauf an, welche Medien man verfolgt. Auf nationaler Ebene ist es tatsächlich sehr zurückhaltend. In den Grenzregionen, also in Bayern und Sachsen, ist die Berichterstattung viel intensiver.“
Viele regionale Medien hätten tatsächlich „Nachbarschaftsredaktionen“, die sich mit Tschechien beschäftigten, so Nuck. Und auch die Themen hätten sich geändert. Bad News seien nicht mehr so aktuell, eher bewundere man die Tschechen für ihre wirtschaftlichen Leistungen in den vergangenen Jahren, meint der Journalist.
Zwei Länder – gleiche Sorgen
Doch sind die Tschechen der Mehrheit der Deutschen tatsächlich so egal? Oder noch schlimmer: Haben die Deutschen immer noch Angst vor den Autodieben und Drogenschmugglern aus dem Osten? Ganz so sei das nicht, sagt Steffen de Sombre vom Meinungsforschungsinstitut Allensbach. Zwar gebe es keine detaillierten Studien zu dem Thema in Deutschland, doch der erfahrene Demoskop wagt doch eine Einschätzung:„Ich kann nur mein Bauchgefühl aus deutscher Perspektive hier zu Protokoll geben. Da würde ich sagen, dass insgesamt die Haltung der Deutschen zu den östlichen Nachbarn positiver geworden ist.“
Und das unabhängig vom Alter, wenn auch die jüngere Generation generell etwas offener ist. Vor allem in letzter Zeit zeigen sich aber neue Herausforderungen, die das Bild der Tschechen in Deutschland beeinflussen:
„In Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise und vor allem, was die Verteilung der Flüchtlinge in Europa betrifft, gibt es aktuell eine gewisse Verstimmung. Das würde ich ganz stark vermuten.“Was das Institut Allensbach aber klar mit Zahlen belegen kann, ist eins: Deutsche und Tschechen unterscheiden sich nicht so sehr, wie es auf den ersten Blick vielleicht scheinen dürfte. Das ist bei einer großangelegten Studie herausgekommen, die Allensbach auch mit den tschechischen Meinungsforschern von Stem durchgeführt haben. Gefragt wurde nach der Einstellung zu Europa:
„Erstaunlich ist, dass die Urteile von Deutschen und Tschechen sehr ähnlich ausfallen, obwohl die Standpunkte ja andere sind: Von beiden Bevölkerungen gibt es klare Hausaufgaben für Europa. Man sieht zum Beispiel, dass die Defizite sehr klar wahrgenommen werden. Man befürchtet in beiden Ländern eine Re-Nationalisierung der Politik. Vor allem, dass gemeinsame Entscheidungen zurückgedrängt werden für nationale Alleingänge. Das sind die wesentlichen Befürchtungen.“
Angst vor der Zukunft ist das große Stichwort, das Tschechen und Deutsche in Bezug auf die EU verbindet:„Bemerkenswert sind auch die Ergebnisse, wenn es um die Wirtschaft geht. Obwohl in Deutschland und in Tschechien die wirtschaftliche Entwicklung gut war in den vergangenen Jahren, sehen die Menschen in beiden Ländern die wirtschaftliche Zukunft der EU pessimistischer. Insgesamt gibt es eine große Skepsis, was die weitere politische und wirtschaftliche Entwicklung angeht.“
Liebesgrüße aus München
Auch wenn das Interesse der Deutschen an Tschechien nicht so groß ist, das der deutschen Politiker ist dafür umso größer. Emilia Müller ist Sozialministerin in Bayern:
„Tschechien spielt für Deutschland eine große Rolle. In Europa ist es derzeit notwendig, dass sich alle stärken und zusammenhalten. Vor allem, damit Europa im Globalisierungsprozess bestehen kann.“Dass gerade auch Emilia Müller für gute Beziehungen zu Tschechien steht, ist eigentlich ein kleines Wunder – denn die Staatsministerin ist von der CSU. Gerade für die Christsozialen, und damit auch für Bayern, war das östliche Nachbarland lange ein rotes Tuch. Die Beziehungen würden sich normalisieren, man rede und arbeite miteinander und mache gemeinsame Geschäfte, so Emilia Müller. Und das auch auf höchster Ebene zwischen den Regierungschefs. Doch in Zukunft sei viel Arbeit nötig am Verhältnis zueinander:
„Die Bayern wollen das gute Miteinander mit den Tschechen haben, und das muss sich auch zur Selbstverständlichkeit entwickeln. Wir haben viele Hochschulpartnerschaften und Partnerschaften auf kommunaler Ebene sowie in der Wissenschaft. Da ist es gerade die junge Generation, für die es selbstverständlich ist, gute Kontakte zu pflegen.“
Alte Heimat: Brücken oder Ressentiments?
Emilia Müller betont, dass Bayern vor allem in Abstimmung mit den Sudetendeutschen handelt. Das Land sieht sich nämlich traditionell als Schirmherr seines „vierten Stammes“. Nach dem Zweiten Weltkrieg nahm der Freistaat über eine Million Deutsche aus der Tschechoslowakei auf. Und diese fingen bald an, das Land mitzugestalten.Viele Jahrzehnte lang haben die Vertriebenen verhindert, dass sich das Verhältnis zu Tschechien beziehungsweise der Tschechoslowakei verbessern konnte. Und auch die Deutsch-Tschechische Erklärung wurde von den Sudetendeutschen damals schlecht aufgenommen, sie hatten sich übergangenen gefühlt bei den Verhandlungen, heißt es oft. Wie die Stimmung bei den Sudetendeutschen heute ist, weiß Bernd Posselt. Er ist Bundesvorsitzender der Sudetendeutschen Landsmannschaft:
„Die Stimmung ist ausgesprochen positiv, fast so wie Anfang der 1990er Jahre. Wenn man damals in eine Versammlung der Sudetendeutschen gekommen ist und den Namen Václav Havel erwähnt hat, sind die Leute aufgestanden und haben applaudiert. Dann kam aber der Rückschlag Mitte der 1990er Jahre durch die Auseinandersetzungen rund um die Deutsch-Tschechische Erklärung. In den letzten Jahren hat es mit den beiden tschechischen Premierministern Nečas und Sobotka eine großartige Entwicklung gegeben. Sie haben die bayerisch-tschechische Annährung vorangetrieben, bei der wir Sudetendeutschen eigentlich Vorreiter waren. Wir haben sie nämlich eingeleitet und nicht nur begleitet. Das ist auch der Unterschied zu den Zeiten um die Unterzeichnung der Deutsch-Tschechischen Erklärung: Wir haben uns damals nicht mit einbezogen gefühlt. Jetzt sind wir es aber.“ Bernd Posselts Politik der Annährung und Offenheit nimmt aber bei Weitem nicht alle Sudetendeutschen mit. Es gibt große Widerstände in den eigenen Reihen bei der Normalisierung der Beziehungen zur alten Heimat:„Es sind die Wurzeln, die uns mit diesem Land verbinden. Man kann sogar sagen, es ist Liebe. Diese wirkt sich aber unterschiedlich aus bei den Menschen. Die einen sehen in dieser Liebe etwas Positives und versuchen Freundschaften zu schließen und Brücken zu schlagen. Diesen Kurs vertrete ja auch ich. Andere wiederum leiten aus dieser Liebe einen Schmerz ab und haben daher Ressentiments. Die Mehrheit der Sudetendeutschen unterstützt unseren Kurs der Offenheit und Verbundenheit. Es gibt aber eine kleine Gruppe, die dem heftig opponiert und uns mit Gerichtsverfahren und Kampagnen überzieht. Damit muss man aber leben.“