Neues Ghetto in Josefov? Das Geschäft mit dem „sozialen“ Wohnen
Das ostböhmische Josefov, 1780 erbaut als eine kompakte Festungsanlage mit spitzzackigen Ringanlagen, hat ein Wohnungsproblem – zu viele Wohnungen für Menschen, die man nicht will. Dabei sind sie ein Riesengeschäft. Unternehmer haben das „soziale“ Wohnen entdeckt für Roma. Dazu ein Bericht und ein Interview mit dem Autor über die Recherchen zu dem Beitrag.
Jiří Klepsa ist Bürgermeister der ostböhmischen Stadt Jaroměř-Josefov. Achselzuckend sagt er:
„Armee weg, Kaufkraft weg – keine Bank wollte mehr einen Geldautomaten in Josefov installieren.“
Die Festung Josefov wurde eigens für Soldaten erbaut. Millionen roter Ziegel hatte Kaiser Josef II. im 18. Jahrhundert gegen die Preußen hochziehen lassen. 15 Meter hohe Wälle, dazwischen Verteidigungsgräben, so groß, dass beim Death-Metal-Festival „Brutal-Assault“ darin 15.000 Fans Platz finden. In diesen vier Tagen im August gibt es in Josefov sogar einen Geldautomaten, mobil auf einem Lkw, so dass die Sparkasse ihn schnell wieder abtransportieren kann. Und Josefov hat noch ein Problem, seit auch die tschechische Armee vor Jahren die Stadt verlassen hat - Leerstand. Und dennoch:
„100 Wohnungen, ein Drittel des städtischen Bestandes, werden gezielt nicht vermietet. Wir wollen damit verhindern, dass weitere problematische Familien die Stadt überschwemmen“, erklärt der Bürgermeister.
Gemeint sind Roma-Familien. In Josefov spricht man von „Weißen“ und „Schwarzen“. Jeder Dritte der rund 3000 Einwohner ist Rom. Eine „Zigeunerstadt“, sagen die meisten „Weißen“, Zeitungen schreiben von einem Ghetto. Der tschechische Sommer 2013 stand im Zeichen anhaltender, gewaltsamer Anti-Roma-Proteste. In den über 400 Ghettovierteln im Land sind Sozialleistungen das täglich Brot. Die Festung Josefov scheint noch kein Pulverfass zu sein. Aber Jiří Klepsa spielt mit Streichhölzern:
„Wenn sie meinen Kindern etwas antäten, würde ich zuerst von meinem Bürgermeisterposten zurücktreten und dann bis auf den letzten Millimeter mit demjenigen abrechnen – persönlich.“
Ein einziger Satz, und das staatliche Gewaltmonopol ist zu Fall gebracht.
In der Garnisonskirche verliert sich an einem herbstlichen Sonntagmorgen ein gutes Dutzend Menschen. Weiße Hemden, schwarze Hosen, rosa Rüschenblusen – eine Roma-Familie lässt drei Kinder auf einmal taufen.
„Ich habe 50 solcher Taufen im Jahr, so viel wie sonst nur in großen Bezirksstädten. Es gibt Zuzug von Roma, aber die meisten stellen kein Problem dar. Wenn es eine Schlägerei gibt, dann werden alle in Sippenhaft genommen“, erzählt Pfarrer Boháč.
Viele bröckelnde Gebäude in Josefov sind ausschließlich von Roma bewohnt. Vermieter sei ein Unternehmer aus Hradec Králové, sagt ein Mann um die 40 in einem schäbigen Hinterhof. Mehr will er nicht sagen.
„Sehen Sie, so läuft das,“ meint Jiřina Jelínková und schüttelt den Kopf.
Jelínková arbeitet im Amt für Denkmalschutz und war vor vielen Jahren auch einmal Bürgermeisterin. Die sogenannten „Unternehmer“ sollte man an den Pranger stellen, die seien das größte Übel hier, sagt sie. Jiřina Jelínková holt tief Luft und erzählt: Statt zu vermieten, verkaufe die Stadt - oft zu Spottpreisen - ihre Immobilien an Geschäftsleute, und die würden die Räume manchmal in kleinere Einheiten zerstückeln. Ihre Klientel: sozial schwache Roma, die keine Arbeit haben und anderswo unerwünscht sind. Damit sie Sozialhilfe und Wohngeld bekommen, muss der Vermieter ihnen einen festen Wohnsitz bestätigen. Die Gegenleistung: horrende Mieten für Wohneinheiten, die mitunter nicht mal ein Bad haben. Wenn die Miete Mitte des Monats nicht bar auf der Hand ist, sitzen die Mieter am nächsten Tag auf der Straße - mit ihren Kindern. Diese Leute lebten in einer Art Sklavenhaltung, sagt die ehemalige Bürgermeisterin.
Miroslav Baloun war mit seiner Familie drei Monate im Sommer ohne Wasser:
„Wir haben bei den Leuten um Wasser gebettelt und dafür bezahlt“, klagt er.
Der Vermieter komme nur ein Mal im Monat vorbei, halte die Hand auf und kassiere umgerechnet 600 Euro Miete. Als sie ausziehen wollten, drohte er, die Kaution von stolzen 1300 Euro einzubehalten:
„Aber wir bekommen woanders ohnehin keine Wohnung. Wir sind Zigeuner.“
Per Gesetz können die Sozialleistungen vom Staat sogar direkt auf das Konto des Vermieters umgeleitet werden, wenn der Mieter Schulden hat. Ein lukratives Geschäft, auch woanders in Tschechien, bestätigt das örtliche Sozialamt. Heißt: ein Geschäft mit der Armut. Ein Konzept für soziales Wohnen gibt es in Josefov nicht. Man arbeite daran. Arbeitstitel: „Wohnung als Belohnung“.
Christian, Du warst für Deine intensiven Recherchen mehrere Male in Josefov. Die Robert-Bosch-Stiftung hat das Projekt gefördert. Sonst wäre es wahrscheinlich schwierig, sich über einen längeren Zeitraum so einem Thema zu widmen, oder?
„Ja, es war ein Recherche-Stipendium von der Bosch-Stiftung, ´Journalisten vor Ort´ heißt das. Das hat ganz sicher geholfen. Denn einen Ort, seine Atmosphäre und das, was dort vor sich geht, kennenzulernen und zu verstehen, das erfordert schon Zeit. Aber nicht nur Zeit, sondern auch eine ganze Menge Interviews und Gespräche mit den Menschen. Und Zeit ist Geld – das gilt natürlich auch im Journalismus, wobei heute sehr oft die Recherche dem schnellen Infotainment zum Opfer fällt. Und von dem, was man dann mit nach Hause bringt von so einer Recherche, kann man leider immer nur einen Bruchteil in den Reportagen unterbringen. So sind nun mal die Formate. Aber es fließt natürlich vieles von dem ein, was man dort erlebt hat.“
Wir haben die Reportage ja noch im Ohr. Das ist schon heftig, was der Bürgermeister von Josefov da von sich gibt…
„Ja, ist es. Aber zugleich fallen solche Äußerungen im tschechischen Kontext nicht so sehr auf wie im deutschen. In Tschechien kehrt man seine Abneigung gegenüber Roma einfach unverblümter nach außen. Das hat aber auch ein Gutes, wenn man das so sagen kann: Man weiß einfach, woran man bei seinen Interviewpartnern ist. Das Problem liegt offen, ohne die Gefahr, dass sich alle einen Mantel von politischer Korrektheit überstreifen.“
Wie hast Du denn diesen Ort, die Festung Josefov, erlebt, als Du dort im August zum ersten Mal warst? Da hattest Du auch schon eine Reportage mitgebracht…
„Dieser Ort wirkt schon wuchtig und wehrhaft durch diese massigen Festungswälle. Ansonsten liegt er aber im Dornröschenschlaf, hat man den Eindruck. Nur einmal im Jahr eben erobern zigtausend Deathmetal-Fans beim Festival Brutal Assault die Festung. Und dann schlägt einem auf der einen Seite die Begeisterung der Bewohner für die Friedfertigkeit der teilweise furchteinflößend gekleideten Fans entgegen. Auf der anderen Seite schlägt einem – oft im direkten Vergleich mit den Metal-Fans – ein regelrechter Roma-Hass entgegen. In den Kneipen, am Kiosk, in den Interviews. Da reibt sich etwas, das merkt man sofort.“
Der Ort Josefov ist eigentlich nicht bekannt als einer der schlimmsten Brennpunkte in Tschechien. Warum bist Du dennoch gerade dorthin gegangen?
„Es hieß in einigen tschechischen Medien, dass dort ein Roma-Ghetto entsteht, dass viele Roma kommen und viele Alteingesessene deswegen wegziehen. Es ging darum, zu verstehen, wie so eine Entwicklung abläuft, welche Mechanismen wirken und welche Interessenlage herrscht, wenn langsam so ein Ghetto entsteht. So hat zum Beispiel der Verkauf einer Kaserne durch die Stadt den Protest der Bewohner hervorgerufen. Sie haben mit einer Petition den Verkauf ohne Nutzungsbedingungen verhindert. Sie haben einfach befürchtet, dass Unternehmer das Gebäude zu einem weiteren Roma-Wohnheim umbauen.“
Diejenige, die die Petition organisiert hat, kam in Deiner Reportage auch zu Wort, Jiřina Jelínková…
„Ja, ich dachte zuerst, diese Proteste und ihre Organisatoren hätten auch einen starken Anti-Roma-Einschlag. Aber Jiřina Jelínková kann doch auch recht gut die Roma verstehen. So war es zum Beispiel eine Überraschung, dass sie diese so genannten Unternehmer als das schlimmste Übel ansieht. Dieses Problem muss in Tschechien unbedingt gelöst werden. Und zwar nicht dadurch, dass die Sozialleistungen direkt auf das Konto des Vermieters gehen, weil die Empfänger das Geld verspielen und vertrinken könnten. Das braucht sicher ein ganz speziell zugeschnittenes Konzept, um die Roma besser in die Mehrheitsgesellschaft zu integrieren. Aber da sind beide Seiten gefragt, mehr Engagement aufzubringen.“
Du hast am Anfang gesagt, Du hast eine Unmenge von Interviews geführt. Welche Erlebnisse waren denn für Dich eindrücklich, konnten aber leider nicht in die Reportage einfließen?
„Das waren ganz verschiedene Sachen. Die Band Crushing Caspars aus Rostock zum Beispiel hat bei ihrem Auftritt ein leidenschaftliches Statement gegen Rassismus abgegeben. Das wirkte für mich wie ein Fremdkörper in Josefov nach meinem Gespräch mit dem Bürgermeister. Die Band ahnte gar nicht, dass sie damit ins Schwarze getroffen hatte. Dann gibt es in Josefov auch noch Menschen wie Robert Prchlík, der Hocharbeiten an Fassaden macht, aber die Festungsanlage und das Bürgerengagement als so wichtig ansieht, dass er sich Schafe zugelegt hat, damit sie den Grasbewuchs auf den Wällen in Ordnung halten. Und außerdem gibt es Jirous, den Modellbauer. Er baut seit Jahren an einem maßstabsgetreuen Modell der Festung Josefov, auch weil er die Stadt als einzigartig ansieht. Das sind alles Menschen und Erlebnisse, die eigentlich auch ihren Platz in den Reportage verdient hätten.“
Wirst Du Josefov weiterverfolgen?
„Ja, ganz sicher werde ich die weitere Entwicklung verfolgen. Und vielleicht wird Josefov ja zu einem Ort, an dem man neue Wege des Zusammenlebens von Roma und Mehrheitsgesellschaft ausprobiert. Wir werden sehen.“