Experiment mit offenem Ausgang: Präsidentschaftswahlkampf läuft an
Auch wenn noch ein so genanntes Durchführungsgesetz und eine Einigung über die Begrenzung der Wahlkampfkosten fehlen, kommt der tschechische Präsidentschaftswahlkampf auf Touren. Wer hat die größten Erfolgsaussichten? Parteikandidaten, oder unabhängige Bewerber?
Zwei frühere Regierungschefs, ein amtierender Außenminister, zwei Senatoren, zwei Europaabgeordnete und eine Populistin – sie alle haben ihre Kandidatur bei der historisch ersten Direktwahl des tschechischen Präsidenten im Frühjahr 2013 angekündigt. Und in den kommenden Tagen und Wochen könnten noch weitere Bewerber folgen.
Auch wenn die Präsidentenwahlen noch in relativ weiter Ferne liegen und juristisch immer noch nicht alle technischen Details geklärt sind, kommt der Wahlkampf langsam in Fahrt. Einige Kandidaten haben bereits ihre Teams zusammengestellt und sind dabei, die notwendigen 50.000 Unterstützungserklärungen einzusammeln. Das gibt ihnen auch eine erste Gelegenheit, mit ihren potentiellen Wählern in direkten Kontakt zu treten.
Schenkt man den tschechischen Politikexperten, wie auch den veröffentlichten Umfragen Glauben, hat sich schon jetzt im Feld der Präsidentschaftsanwärter eine Gruppe von Kandidaten herauskristallisiert, denen die meisten Chancen zugestanden werden, das Rennen für sich zu entscheiden. Der Politikwissenschaftler Zdeněk Zbořil vom Institut für internationale Beziehungen ist der Auffassung, dass sich die bisherigen Favoriten nicht zuletzt anhand ihres unterschiedlichen Temperamentes und ihrer Ausstrahlung stark voneinander unterscheiden:„Ich denke, dass letztlich vier oder fünf Typen von Kandidaten die meiste Unterstützung erhalten werden. Zum einen ist das der Typus des eher farblosen, aber korrekten und anerkannten Beamten – dafür steh der frühere Regierungschef Jan Fischer. Der zweite Typ ist ein Kandidat, der von außerhalb Tschechiens kommt und mit seinen Auslandserfahrungen punkten könnte – das würde auf den Wirtschaftsprofessor Švejnar zutreffen. Ein weiteres Angebot an die Wähler ist der einstige Premierminister Miloš Zeman, der sich selbst in der Rolle eines politischen Underdogs gefällt. Und zu guter Letzt sollten noch jene Präsidentschaftsbewerber erwähnt werden, die mit ihrem bekannten Namen punkten können. Das trifft etwa auf Außenminister Schwarzenberg zu, oder aber auch auf den jungen Sozialdemokraten Jiří Dienstbier.“
Und wer ist zurzeit Favorit im Rennen um die Präsidentschaft? Ist es eher jemand, der als unabhängiger Bewerber ins Rennen gehen und eine gewisse Distanz gegenüber den etablierten Parteien pflegen wird, oder eher ein Kandidat, mit der starken Unterstützung einer konkreten politischen Gruppierung?Hier zeigt die Wählerschaft doch ziemlich auffallend eine starke Vorliebe für unabhängige Kandidaten. Sowohl der frühere Premier Jan Fischer, als auch der tschechisch-amerikanische Wirtschaftsprofessor Jan Švejnar – der allerdings seine Kandidatur formal noch nicht erklärt hat – können rund zwanzig Prozent der Stimmen auf sich vereinen und führen somit das Feld an. Doch viele Experten meinen, dass man die Aussagekraft dieser Zahlen zum jetzigen Zeitpunkt nicht überschätzen sollte. Hören Sie dazu den Politologen Josef Mlejnek von der Prager Karlsuniversität:
„Die Umfrageergebnisse, die wir bisher kennen, sind eine Momentaufnahme und zwar nur in Bezug auf die erste Runde der Präsidentschaftswahlen. Ich selbst wäre gespannt, wie es wohl aussehen würde, wenn man immer zwei Kandidaten nehmen und deren Chancen in einer direkten Konfrontation vergleichen würde, so wie das dann in einer Stichwahl der Fall wäre. Also zum Beispiel Fischer gegen Zeman, oder Zeman gegen Švejnar. Es kann nämlich passieren, dass ein Kandidat zwar lange in Führung liegt und sicher den Einzug in die Stichwahl schafft, es dann aber nicht gelingt, zusätzliche Wähler anzusprechen und am Ende dann verliert. Die jetzigen Umfragen sagen also vielmehr etwas darüber aus, wer die besten Aussichten hat, in die Stichwahl zu gelangen, nicht aber, wer neuer Präsident wird.“ Interessant ist das Verhalten der beiden größten Parteien des Landes bei der Nominierung ihrer Präsidentschaftskandidaten.Die Führungsgremien der Sozialdemokraten und der Bürgerdemokraten haben kein eindeutiges Votum für einen bestimmten Kandidaten oder eine Kandidatin abgegeben und wollen die Parteibasis mit in die Auswahl einbeziehen.
Bei den rechtsliberalen Bürgerdemokraten haben vor wenigen Tagen interne Vorwahlen begonnen, bei denen sich die beiden Kandidaten – Senatsvizepräsident Přemysl Sobotka und der Europaparlamentarier Evžen Tošenovský – der Basis vorstellen. Der Kandidat soll im Juni feststehen.
Die Sozialdemokraten wollen ebenfalls ihre Bewerber – den Senator Jiří Dienstbier und den Wirtschaftsprofessor Jan Švejnar - zunächst ihren Parteimitgliedern vorstellen, bevor Ende Mai der Parteivorstand eine Entscheidung trifft.Wie ist es zu erklären, dass beide Parteien gerade in dieser Frage zögern? Der Politikwissenschaftler Zbořil glaubt eine Erklärung zu haben:
„In gewisser Weise ist das logisch. Diese beiden Parteien stehen seit den frühen 90er Jahren im politischen Geschäft an vorderster Front, haben Höhen und Tiefen erlebt und schleppen diese Vergangenheit immer mit sich. Gleichzeitig kommt es aber in beiden Parteien zu großen Umbrüchen, die teilweise generationsbedingt sind. Es zeigt sich, dass einfach auch starke Persönlichkeiten mit integrativen Fähigkeiten fehlen, die von allen Parteimitgliedern akzeptiert werden und die man als Kandidaten ins Reden um das Präsidentenamt schicken könnte.“
Diese These wird auch von Pavel Šaradín aus Olmütz / Olomouc unterstützt. Er ist Politikwissenschaftler an der dortigen Palacký-Universität und zeigt sich insbesondere vom Angebot der Bürgerdemokraten wenig angetan:„Die Demokratische Bürgerpartei stellt ihren Mitgliedern zwei Politiker zur Auswahl, die klassische Parteikandidaten sind und kein klares Profil haben. Die breite Öffentlichkeit wird weder mit dem einen noch mit dem anderen Namen etwas anfangen können, auch wenn sowohl Sobotka wie auch Tošenovský lange politisch aktiv sind und bereits verschiede Ämter innehatten. Der Zeitpunkt für die Kandidatenkür scheint auch bewusst so getroffen worden zu sein, dass jetzt darüber entschieden wird, wenn eigentlich andere politische Themen im Vordergrund stehen.“
Dennoch könnte sich laut Šaradín aus dieser Profillosigkeit noch etwas Positives entwickeln, wie er abschließend hinzufügt:
„Wir kennen immer noch nicht die Namen aller Bewerber für das Präsidentenamt. Sollte es vor allem auf der rechten Seite des politischen Spektrums noch weitere Kandidaten geben und sich die Wähler aufteilen, ist es unter gewissen Umständen möglich, dass der Bewerber der ODS den Einzug in die Stichwahl schaffen könnte. Deshalb stehen auch diese beiden Politiker zur Auswahl: Man hat die Erwartung, dass sie gegebenenfalls in einer Stichwahl auch die unentschiedenen Wähler erreichen könnten. Deshalb ist es egal, wer von ihnen beiden letztlich das Rennen für sich entscheidet.“