Wo steht Tschechien? Fünfjahres-Bericht über die Umwelt in Europa

Foto: Europäische Kommission

Alle fünf Jahre gibt die Europäische Union einen großen vergleichenden Bericht über den Zustand der Umwelt in den Mitgliedsstaaten heraus. Im Dezember wurde der Bericht, der von der Europäischen Umweltagentur erstellt wurde, auch in Prag vorgestellt – mit Erkenntnissen über die Entwicklungen bei Natur und Umwelt in Tschechien.

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Der Zustand der Umwelt in Europa bessert sich. Das ist die gute Nachricht. Doch geschieht dies längst nicht auf allen Gebieten. Immer noch zerstören auch wir Europäer weiter die biologische Vielfalt auf der Erde. Und das sei die andere Seite der Medaille, sagt der ehemalige tschechische Umweltminister Ladislav Miko, heute Leiter des Bereichs Naturschutz und Biodiversität der Europäischen Kommission:

„Das Wichtigste ist: Der Bericht weist darauf hin, dass die einzelnen Elemente der Umwelt miteinander verbunden sind und nicht getrennt voneinander bewertet werden können. Auch wenn es uns gelingt, die Emissionen zu senken und Abfall zu verwerten, kommt es am Ende noch immer zu einer Schädigung der Umwelt und des Ökosystems und zur falschen Bodennutzung.“

Dabei sei das Ziel der Umweltpolitik in den europäischen Staaten eigentlich, in allen Bereichen eine Besserung zu erreichen. Das sei aber nicht gelungen. Dennoch gibt es auch Fortschritte, wie Miko ausführt:

„Der Bericht konstatiert aufgrund der Trends der letzten zehn Jahre, dass die Umweltpolitik der europäischen Länder wirkungsvoll die Umwelt schützen kann, ohne dass sich das Wirtschaftspotenzial bedeutend verringert. Und das ist eine wichtige Erkenntnis.“

Auch der Leiter der tschechischen Umwelt-Informationsagentur (Cenia), Jiří Hradec liest diese Erkenntnis aus dem Bericht. Die Cenia hat die Daten aus Tschechien zur Umweltentwicklung der vergangenen fünf Jahre zusammengetragen und der Europäischen Umweltagentur zur Verfügung gestellt. Hradec spricht davon, dass sich die Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts vom Umweltschutz abgekoppelt hat. Beim Kampf gegen den Klimawandel, der in Europa in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen hat, weist er auf eine interessante Entwicklung gegenüber 1990 hin:

„Erstaunlicherweise - aber sicher auch unter großer Mithilfe der Wirtschaftskrise - lagen im Jahr 2009, dem letzten Jahr der Messungen für den Fünfjahresbericht, die durchschnittlichen Treibhausgasemissionen um 17,3 Prozent niedriger.“

Doch Tschechien hat ein besonderes Problem: Traditionell sind hierzulande die Treibhausgasemissionen außergewöhnlich hoch.

Jiří Hradec
„Die Tschechische Republik trägt an ihrem Erbe bereits seit dem Ende des 19. Jahrhunderts. Als 1918 die Tschechoslowakei entstand, befanden sich 70 Prozent der gesamten Industrieproduktion der ehemaligen Donaumonarchie auf tschechischem Boden. Kurz vor dem Zweiten Weltkrieg und dann auch während des Krieges wurde die Industrieproduktion noch ausgeweitet. Im Jahr 1945 haben wir es - anders als die meisten anderen europäischen Staaten - nicht geschafft, die militärische Produktion in eine zivile umzuwandeln. Das Ergebnis: Tschechien ist der größte Stahlproduzent und hat die höchsten Emissionen, jeweils pro Kopf gerechnet“, erläutert Hradec.

Und die Emissionen zeigen Folgen, wie im Bericht unter dem Kapitel „Gesundheit und Umwelt“ zu finden ist: Zum Beispiel haben sich in den vergangenen zehn Jahren Asthma und Allergien bei Kindern hierzulande ausgeweitet. Mittlerweile hat jedes dritte tschechische Kind zwischen 10 und 15 Jahren eine Allergie. Zudem kommt es den Statistiken in Tschechien nach quer durch alle Altersgruppen jährlich zu über 15.000 Todesfällen wegen Feinstaubemissionen. Diese Zahl liegt 20 Mal höher als die Zahl der Verkehrstoten im vergangenen Jahr.

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Allerdings hat die Struktur der Emissionen in Tschechien einen großen Wandel durchgemacht, vor allem wegen des Einbaus von Filtern gegen Schwefel und Stickoxid in die großen Kraftwerke, wie Cenia-Mitarbeiter Jan Mertl erläutert:

„Während noch in den 90er Jahren die Luftverschmutzung und die Umweltschädigung flächendeckenden Charakter hatten, sind sie nun auf mehrere Orte verteilt. Das liegt zum einen an den kleinen Heizanlagen, die schwer zu regulieren sind. In der Folge der Krise sind viele Leute auf billigere Brennstoffe übergegangen und belasten deswegen die Umwelt stärker. Zum anderen liegt das am Verkehrsaufkommen, das vor allem in den Ballungsräumen Brünn und Prag unglaublich ansteigt.“

Gerade die Emissionen durch den Verkehr sind in den vergangenen Jahren in ganz Europa zu einem neuen Problem geworden: Seit 1990 sind sie um rund ein Viertel gestiegen. Tschechien hat hier die gesamteuropäische Entwicklung kopiert, obwohl der Motorisierungsgrad immer noch leicht unter dem europäischen Durchschnitt liegt.

„Der Umfang des Verkehrsaufkommens je Einwohner liegt in Westeuropa immer noch höher als in der Tschechischen Republik, auch wenn wir uns ihm annähern. Doch die Umweltverschmutzung durch den Verkehr liegt in Westeuropa nicht höher, und da liegt das Hauptproblem: Tschechien hat einen deutlich veralteten Wagenpark und damit auch einen höheren Durchschnitt an Emissionen“, so Mertl.

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Doch was geschieht nun mit alle den Erkenntnissen über die Umwelt in Europa und in der Tschechischen Republik, von denen der Bericht noch eine weitere große Zahl bereithält? Schließlich hat allein die – wohl gemerkt: kürzere – tschechische Fassung über 200 eng bedruckte Seiten mit vielen Tabellen und Schaubildern. Sie sind zum einen als Informationen für die EU-Bürger gedacht. Doch wie weit wenden sie sich auch an die Politiker? Noch einmal der Brüsseler Umweltexperte Ladislav Miko:

„Der Bericht enthält Informationen, auf deren Grundlage man Entscheidungen treffen kann. Nichtsdestotrotz beurteilt der Bericht die Probleme aus Sicht einzelner Themen wie Klimawandel, Anpassung an diesen Wandel, die Frage von Hochwasser und so weiter oder die Frage der Biodiversität, des Ressourcenverbrauchs, der Gesundheit und der Grundressourcen wie Luft oder Wasser. Das ist die eine Betrachtungsweise. Die andere ist die Bewertung der einzelnen EU-Länder. Wenn man die beiden Herangehensweisen kombiniert, dann werden für jedes Land die Bereiche deutlich, auf die es sich stärker konzentrieren sollte. In diesem Sinn lässt sich in dem Bericht auch eine Anleitung finden. Der Bericht sagt aber nicht, dass die Tschechische Republik dies oder jenes machen soll. Darum geht es nicht, es ist eher ein Kompendium an Informationen.“

Pavel Drobil
Oder mit anderen Worten: Man darf gespannt sein, welche Schlussfolgerungen die tschechischen Politiker aus den Informationen ziehen. Zuerst jedoch muss wieder ein Chef für die Umweltpolitik her. Nach dem Rücktritt von Pavel Drobil wegen Korruptionsverdachts im Umweltfonds im Dezember ist der Posten des Umweltministers noch nicht wieder besetzt worden. Die Wahl des Nachfolgers und damit auch die zukünftige Qualität der Umweltpolitik liegt damit besonders in den Händen von Premier Petr Nečas. Denn der Regierungschef ist auch Vorsitzender der Demokratischen Bürgerpartei (ODS), die das Umweltressort aufgrund der Koalitionsvereinbarungen inne hat.