Durch den Schlüsselgang zum Tresor: das unterirdische Pilsen
Ein Tourist, der sich die St. Bartholomäus-Kathedrale auf dem Pilsner Marktplatz oder das gegenüber stehende historische Rathaus anschaut, ahnt meistens nicht, dass es da Sehenswertes auch unter der Erdoberfläche gibt. Denn unter dem ganzen historischen Stadtkern von Pilsen führt ein verwinkeltes und kompliziertes Netz von Gängen, die einstige Kelleranlagen der ältesten Pilsner Häuser mit einander verbinden. In den Untergrund von Pilsen kann man sich begeben, jedoch nur mit einem erfahrenen Begleiter.
Die Temperatur war unter der Erde während des ganzen Jahres gleich. Die Räumlichkeiten waren darum ein idealer Ort für die Lagerung verschiedener Vorräte von Nahrungsmitteln. Während der Führung kann man unter der Erde auch eine Reihe von Brunnen sehen. Aus diesen Brunnen haben die Pilsner Jahrhunderte lang das Trinkwasser geschöpft, weil das Wasser aus den Flüssen nicht besonders rein war. In den unterirdischen Gängen wurden früher auch Bierfässer gelagert. Dazu diente immer eine Bierfassbank, die in den Felsen gemeißelt wurde. Bis heute ist eine solche Bank in einem der Gänge erhalten geblieben. In einem der Räume kann sich der Besucher die Vorstellung darüber machen, wie die unterirdischen Gänge und Schächte im Mittelalter erbaut wurden. Auf einem der Gemälde ist ein Bergmann in der typischen Arbeitskleidung abgebildet: Er hatte eine Kapuze und hielt eine Fackel in der Hand, mit der er den Weg beleuchtete.
„Die Bergarbeiter zogen eine Art kleinen Trog hinter sich her, auf dem sie das abgebaute Material transportierten. Um das Material einfacher nach oben zu bekommen, wurden an mehreren Orten Schächte errichtet, durch die ein anderer Arbeiter den Trog hinaufzog.“
Ende des 20. Jahrhunderts haben die Archäologen die unterirdischen Gänge in Pilsen erforscht. Viele der Funde sind heutzutage in den Gängen ausgestellt. Die Mehrheit der Ausgrabungen stammt aus den Abfallgruben und den zahlreichen Brunnen, die sich bis heute unter der Erde befinden.Die Stadt Pilsen wurde fast nie erobert. Die Lage der Stadt am Zusammenfluss von vier Flüssen sowie eine mächtige Stadtbefestigung trugen dazu bei, dass die Mehrheit der Angreifer nach einer Zeit erfolglos abziehen musste. Während der hussitischen Kriege gab es insgesamt vier Versuche um die Eroberung von Pilsen, die alle scheiterten. Erst während des dreißigjährigen Kriegs gelang es dem Heerführer Mansfeld, in die Stadt einzudringen und sie unter Kontrolle zu bekommen. In den unterirdischen Räumlichkeiten hatten sich die Bewohner von Pilsen damals sowie während anderer Kriege versteckt. Das System der Gänge hatten zudem geheime Boten während der Belagerung der Stadt genutzt. An die Versuche um die Eroberung der Stadt erinnern in den Kellerräumen ausgestellte historische Waffen. In den Wänden einiger der kleineren Räumlichkeiten sind immer noch kleine Löcher zu sehen. Das seien jedoch keine Spuren von Kugeln, erzählt Šárka Zemanová:
„Die Löcher zeugen davon, dass an der Stelle einst eine große schwere Eichentür hing und der Raum höchstwahrscheinlich als Tresor genutzt wurde. In gefährlichen Zeiten versteckte der Besitzer hier wertvolle Sachen, Dokumente sowie Schmuck. Es wurden hier einige solche Tresorräume gefunden. Es kann sein, dass einst die Gänge nicht alle miteinander verbunden waren, wie es heute der Fall ist. Die Experten sind der Meinung, dass die Gänge einst durch Gitter voneinander getrennt waren. Denn fremde Leute sollten keinen Zugang zu den Vorräten oder wertvollen Sachen haben.“ In einem der größeren Kellerräume ist eine Druckpresse installiert. Sie habe hier, so Šárka Zemanová, natürlich nie gestanden. Sie solle aber daran erinnern, dass in Pilsen das erste tschechisch geschriebene Buch gedruckt wurde. 1468 erschien nämlich in Pilsen die Trojanische Chronik. Unweit der Druckmaschine macht Šárka Zemanová auf eine Rarität aufmerksam: Tief in die Dunkelheit führt ein Gang, den man nicht betreten kann, der aber einen besonderen Querschnitt hat.„Wenn man in den Gang hineinschaut, sieht man, dass er einen Querschnitt wie ein Schlüsselloch hat. Darum wird er auch ´Schlüsselgang´ genannt. Es soll hier noch mehrere ähnliche Gänge geben. Sie wurden als eine Art Wasserkanäle erbaut, die das überflüssige Wasser aus den Kellern ableiten sollten. Der besondere Querschnitt des Gangs entstand dadurch, dass der Bergarbeiter, der ihn ausgegraben hatte, bei der Arbeit aufrecht stand und sich mit einer Holzvorrichtung auf den Schultern an den Wänden abstützte. Sein Körper mit der Holzvorrichtung hinterließ dann beim Graben diese ungewöhnliche Form des Ganges. Sie erinnert an ein Schlüsselloch.“
Die Führung durch die unterirdischen Gänge und Kelleranlagen von Pilsen endet im Wasserturm, den die Pilsner im 16. Jahrhundert erbauten. Vom Wasserturm geht es wieder zurück bis in die einstige Eisgrube, in der der Spaziergang begonnen hat. Die historischen unterirdischen Räumlichkeiten von Pilsen sind außer Januar das ganze Jahr hindurch zugänglich. Es empfiehlt sich, den gewünschten Besichtigungstermin reservieren zu lassen. Nach vorheriger Absprache sind auch Besichtigungen außerhalb der Öffnungszeiten möglich.