Zerstörte Landschaft in Tschechien: Wie der Mensch dem Hochwasser geholfen hat
In den letzten Jahren hat Tschechien immer wieder unter Hochwasser zu leiden, zuletzt war dies am zweiten Augustwochenende in Nordböhmen der Fall. Da schoss das Wasser einfach die kleinen Flüsse und Bäche runter und riss fast alles mit, was ihm in den Weg kam. Fünf Menschen kamen in den Fluten ums Leben und die Schäden an Häusern, Brücken, Straßen und Eisenbahnlinien betragen nach ersten Schätzungen umgerechnet 260 Millionen Euro. Das ist tragisch, doch wir Menschen sind auch selbst Schuld, dass wir so heimgesucht werden. Denn wir hätten die Landschaft extrem beschädigt seit Beginn der Industrialisierung, behaupten Umweltexperten.
„Die stärksten Eingriffe hat die Landschaft nicht erst in den letzten 50 Jahren erhalten, sondern bereits um die Mitte des 19. Jahrhunderts. Damals wurden die Wasserläufe auf harte Art der so genannten deutschen Schule reguliert. Das sollte verhindern, dass das Hochwasser uns Menschen erreicht. Das Flussbett wurde dabei sowohl auf freiem Land, wie auch hier in Prag und in anderen Großstädten reguliert. Und zwar wurden zuerst Pflastersteine benutzt und später Beton. Das Flussbett wurde vertieft und dadurch aufnahmefähiger, aber ohne Rücksicht auf jegliches Tier- und Pflanzenleben.“
Tatsächlich können diese kanalisierten Wasserläufe bei Schneeschmelze und normalem Regen vor Überschwemmungen schützen. Aber bei extremen Regenfällen werden sie zur gefährlichen Autobahn für die Wassermassen. Dies betrifft auch die großen Flüsse. Alte Landkarten zeigen zum Beispiel, wie die Elbe bei Čelákovice in Mittelböhmen vor 150 Jahren in vielen kleinen Schleifen dahinfloss. Heute ist der Flussverlauf fast gerade.
Doch nicht nur an den Wasserläufen wurden immense Schäden angerichtet. Auf dem heutigen tschechischen Gebiet wurde in den letzten Jahrzehnten sehr intensiv Landwirtschaft betrieben. Zora Kasiková von der Umweltorganisation Arnika:„Die Erde der Ackerflächen ist nach den Jahrzehnten, in denen sie sehr beansprucht wurde auch durch die schweren landwirtschaftlichen Geräte, sehr fest geworden und das Wasser dringt nur schlecht in sie ein. Dabei wird bei uns 70 Prozent der Fläche landwirtschaftlich genutzt. Zudem wurde bei uns viel Chemie verwendet, auch deswegen sind die Ackerflächen heute so undurchlässig. Die Chemie hat die kleinen Organismen im Boden zerstört inklusive der Regenwürmer, die die Erde auflockern und ihre Durchlässigkeit erhalten.“
So sind zum Beispiel auf den Feldern in Südmähren bestimmte Arten von Regenwürmern ausgestorben, wie kürzlich der anerkannte Biologe Josef Rusek erläuterte. Es sind die so genannten anektischen Arten der Regenwürmer, die sich vertikal in den Boden graben und damit größere Tiefen erreichen. Die Folge: Regenwasser sickert nicht mehr in den Boden, sondern läuft in die Flüsse und Bäche ab. Und dort sammelt sich dann umso mehr Wasser. Einen ähnlichen Effekt hat auch die Fichten-Monokultur in den tschechischen Bergwäldern – die Böden in Mischwäldern, so sagen die Experten, sind hingegen besser in der Lage, Wasser aufzunehmen.
An anderer Stelle könnte man wiederum froh sein in Tschechien, gäbe es dort noch Ackerboden. Denn immer schneller verschwindet die landwirtschaftliche Fläche. Waren es zu Beginn des neuen Jahrtausends noch im Schnitt 11 Hektar täglich, sind es mittlerweile rund 15 Hektar täglich, wie das Umweltministerium in diesem Jahr bekannt gab. Große Investoren kaufen häufig die Flächen auf und bauen dort. Die Folgen einer auf solche Art versiegelten Landschaft kann man sich vorstellen:
„Es sind meist befestigte Flächen. Es kommt also zum minimalen Versickern von Regenwasser und einem schnellen Abfließen in die Wasserläufe. Es kommt schneller zu Überschwemmungen und das häufiger als früher“, so Petr Sklenička von der Landwirtschaftlichen Universität in Prag.Angesichts dieser Eingriffe in die Landschaft müssten eigentlich die Alarmglocken auf Dauerton stehen. Doch die Politik scheint schwerfällig. Beispiel Versiegelung der Landschaft: In Tschechien ist der Aufkauf freier Flächen für Investoren extrem billig. Im März brachte deswegen der damalige Umweltminister Jan Dusík eine Gesetzesnovelle zum Schutz der landwirtschaftlichen Flächen ins Abgeordnetenhaus ein. Mit dieser soll der Kauf solcher Flächen verteuert werden. Doch das Gesetz liegt bis heute dort, ohne dass eine Entscheidung gefallen wäre.
Ein zweites Beispiel: die Wasserläufe. Das Umweltministerium hat im vergangenen Jahr errechnet, dass insgesamt 45.000 Kilometer Wasserläufe in Tschechien aus ihrem künstlichen Korsett befreit werden müssten. Kostenpunkt: 115 Milliarden Kronen (4,6 Milliarden Euro). Das ist natürlich nicht einfach so in den kommenden paar Jahren zu bewältigen. Doch bisher geht es nur ganz langsam voran mit der Renaturierung. Kateřina Trnková von der Umweltorganisation Arnika:
„Die Renaturierung wird in der Tschechischen Republik vor allem an kleineren Wasserläufen vorgenommen und es sind kurze Abschnitte: zum Beispiel ein Kilometer. Bei den großen Wasserläufen besteht das Problem, sich mit den Anrainern zu einigen, die Seiten haben verschiedene Interessen. Wenn dann ein Projekt erarbeitet wird, müssen alle zustimmen. Das macht es schwieriger als zum Beispiel in Deutschland, wo die Renaturierung in größerem Umfang geschieht.“
Ein positives Beispiel sei die Renaturierung des Teltscher Baches. In der vergangenen Woche wurde der Rückbau des einst kanalisierten Wasserlaufes beendet. Obwohl es dort um gerade einmal 700 Meter Bach geht, ist der Gewinn groß:
„Die Wasserretention ist nun auf das 300-Fache gestiegen. Das ist eine unglaubliche Zahl. Zudem dient dies als Hochwasserschutz für das historische Zentrum von Telč, das unter dem Schutz der Unesco steht. Und es gibt dort jetzt einen Lehrpfad, auf dem sich die Menschen vor Ort über die Renaturierung informieren können.“
Was fehle, seien indes solch bedeutsame Projekte wie die Renaturierung der Isar in München, sagt Trnková - die gäbe es in Tschechien bisher praktisch nicht. Trnkovás Kollegin Zora Kasiková:
„Wir fordern, dass die Renaturierung systematisch durchgeführt wird. Bisher gibt es nur Ansätze, die Entscheidungen liegen bei den Gemeinden und Städten, respektive bei den Kreisen. Doch es wird nicht der ganze Fluss oder das gesamte Flusssystem als Maßstab genommen.“
Arnika hat deswegen Anfang August eine Petition entworfen, die das Parlament und die Regierung unter anderem auch zu mehr Renaturierung von Flüssen und Bächen aufruft.