Tschechische Schüler besuchen das Friedrich-Schiller-Gymnasium in Pirna
Im sächsischen Pirna drücken tschechische und deutsche Schüler zusammen die Schulbank. Am dortigen Friedrich-Schiller-Gymnasium gibt es einen binationalen und bilingualen Klassenzug. Sechs Jahre dauert er, und während dieser Zeit gehen die tschechischen Gymnasiasten nicht nur in Pirna zur Schule, sondern leben dort auch in einem Internat. Der deutsch-tschechische Klassenzug ermöglicht es ihnen, etwas über das Nachbarland zu lernen und dessen Sprache und Kultur gleichzeitig zu erleben. Die deutsch-tschechische Verständigung ist überdies ein erklärtes Lehrziel dieses Bildungsganges. Jedes Jahr treten 15 tschechische Schüler neu in das Friedrich-Schiller-Gymnasium in Pirna ein. Maria Hammerich-Maier hat das Gymnasium für Radio Prag besucht.
Erklärungen zur tschechischen Grammatik kann man nicht nur in Klassenzimmern in Tschechien hören, sondern auch am Friedrich-Schiller-Gymnasium im sächsischen Pirna. Die deutschen Teilnehmer des binationalen und bilingualen Bildungsgangs lernen hier sechs Jahre lang Tschechisch. Sie stellen die Hälfte der 30 Schüler jedes binationalen Jahrgangs. Die anderen fünfzehn Schüler sind Tschechen. Eine der tschechischen Gymnasiastinnen ist die siebzehnjährige Karolína Massonová aus Teplice / Teplitz. Sie verbringt schon das fünfte Jahr in Pirna.
„Ich habe mich für das Friedrich-Schiller-Gymnasium entschieden, weil ich glaube, dass mir die Ausbildung hier gute Zukunftschancen eröffnet. Ein wichtiger Grund war aber auch, dass ich deutsche Vorfahren habe und daher gründlich Deutsch lernen möchte.“Nächstes Jahr schon wird Karolína zur Reifeprüfung antreten. Der Abschluss des binationalen und bilingualen Klassenzugs richtet sich nämlich nach dem sächsischen Schulrecht. Die tschechischen Schüler legen daher ein Jahr früher ihre Reifeprüfung ab, als sie es zu Hause tun würden. Dies sei einer der Vorteile des deutsch-tschechischen Projekts, sagt Dagmar Švermová vom tschechischen Schulministerium. Sie betreut den binationalen und bilingualen Bildungsgang schon seit dessen Anfängen vor zwölf Jahren. Švermová weiß aus Erfahrung, dass der Wechsel ins Friedrich-Schiller-Gymnasium von den meisten tschechischen Schülern gut bewältigt werde.
„Der Übertritt in den Bildungsgang ist keineswegs drastisch. Denn der Unterricht von Sachfächern in deutscher Sprache beginnt erst nach und nach. Im elften und zwölften Jahrgang haben die tschechischen Gymnasiasten allerdings schon die meisten Sachfächer auf Deutsch. Und das ist schließlich auch das Ziel dieses Bildungsgangs.“Das Reifeprüfungszeugnis werde von beiden Staaten automatisch anerkannt und öffne den Absolventen den Weg auf die Universitäten in der ganzen EU. Ihre Muttersprache und die Literatur ihren eigenen Landes lernen die Schüler beider Nationen in allen Schulstufen und müssen in diesen Fächern auch die Reifeprüfung ablegen. Daher glaubt Dagmar Švermová, dass die tschechischen Asolventen des binationalen Bildungsgangs in Pirna genauso viel über ihr Heimatland wüssten, wie wenn sie ein Gymnasium in Tschechien besuchten. Ganz so sicher ist sich dessen Karolína Massonová allerdings nicht. Die Gymnasiastin findet, dass in manchen Sachfächern doch das Gastgeberland im Vordergrund stehe:
„Bis zur zehnten Klasse wurden wir nach tschechischen Lehrplänen unterrichtet, und jetzt läuft der Unterricht schon nach dem sächsischen System. In Geschichte zum Beispiel lernen wir mehr über Deutschland. Und auch das Fach Staatsbürgerkunde ist mehr auf Deutschland ausgerichtet als auf Tschechien. Ich denke also schon, dass mir in dieser Hinsicht später etwas fehlen wird.“Gut vorbereitet fühlt sich Karolína anderseits für eine internationale Berufslaufbahn. Vor allem dank der Fremdsprachenausbildung. Renate Streubel vom sächsischen Kultusministerium bestätigt, dass sich diese am Friedrich-Schiller-Gymnasium sehen lassen könne. Das bescheinige der Schule ein Qualitätszertifikat der Europäischen Union, sagt die Referatsleiterin.
„Diese Schule gehört zu den ersten Pilotschulen, an denen das CertiLingua erworben werden kann, ein Exzellenzlabel, das nur Schulen mit hervorragendem sprachlichem und interkulturellem Unterricht verleihen dürfen.“Schulleiter Bernd Wenzel stellt die Sprachvermittlung in einen sozialpolitischen Kontext. Sprache sei ein Vehikel für kulturelles Verständnis für den anderen. Wenzel ist der Ansicht, dass dieses Lehrziel beim deutsch-tschechischen Bildungsgang besonders relevant sei.
„Sprache ist immer auch Kulturvermittlung. Wir gehen davon aus, dass die belastete Geschichte, die unsere beiden Völker miteinander haben, wieder in eine unbelastete Form zurückgeführt werden soll. Wir wollen zukunftsoffen an den Unterricht heran gehen. Und Kinder sind eigentlich unbelastet, sie tragen keinen historischen Rucksack mit. Und diese Offenheit für den anderen, die Kinder haben, ist ein ganz wertvolles Gut. Dieses Mitbekommen, wie eine andere Nation tickt, das können wir durch den binationalen und bilingualen Bildungsgang früh fördern.“
Die Kinder und Jugendlichen fassten rasch und leicht Vertrauen zueinander, wenn sie in den gemischten Gruppen zusammen kämen. Das beobachtet Wenzel immer wieder. Die Begegnung mit der anderen Kultur überfordere die Schüler kaum. Wenn tschechische Schüler in der Vergangenheit den Bildungsgang vorzeitig abgebrochen hätten, habe das andere Gründe gehabt.„Einige Schüler kommen mit der Trennung von den Eltern fünf Tage die Woche nicht klar. Teilweise unterstützen das auch die Eltern, weil die Mutti dem Kind zu sehr hinterher weint. Es gab auch gesundheitliche Gründe, und wir hatten Schüler, die den Leistungsanforderungen nicht entsprachen oder die Regeln des Internatslebens nicht einhielten. Diese Schüler haben wir zurückgeschickt.“
Die tschechischen Schüler sind in einem modernen Internat im Stadtzentrum von Pirna untergebracht. Die gelungene Restaurierung historischer Häuser wurde sogar auf der Expo 2000 in Hannover ausgestellt. Die Unterkunft und Verpflegung zahlen der sächsische und der tschechische Staat. Karolína kommt mit dem Internatsleben gut klar. Doch es habe auch Schattenseiten, sagt die Schülerin.„Wir haben relativ viel Freiheit. Das gefällt mir. Was mir weniger gefällt, ist, dass wir zu zweit oder zu dritt in den Zimmern sind. Manchmal muss man lernen, und wenn die Mitbewohnerin gerade dazu keine Lust hat, ist das schwierig. Also manchmal bräuchte ich mehr Privatsphäre.“
Später einmal will Karolína in einem internationalen beruflichen Umfeld arbeiten. Mit dieser Vorstellung tritt sie in die Fußstapfen vieler früherer Absolventen. Schulleiter Wenzel hat einen Überblick darüber, was seine Absolventen später beruflich machen:
„Diejenigen, die unser Abitur schaffen, sind an den Unis ausgesprochen erfolgreich. Einige unserer Absolventen besuchen Europastudiengänge oder sind schon in Brüssel. Wir hatten aber auch Schüler, die gleich aus dem Gymnasium heraus von einem Bankenvorstand angeworben wurden, um dann unternehmensintern eine Fortbildung zu machen und später eben in diesem deutsch-tschechischen Kontext in der Bank Führungspositionen einzunehmen.“
Im kommenden Schuljahr 2010/2011 treten wieder 15 tschechische Schüler in den binationalen und bilingualen Klassenzug am Friedrich-Schiller-Gymnasium in Pirna ein. Vier Plätze sind noch zu besetzen. Um sie können sich Schüler bewerben, die dieses Jahr die 6. Schulstufe einer tschechischen Grundschule oder eines Gymnasiums besuchen. Die Bewerbungsfrist läuft noch bis zum 11. Juni.Nähere Informationen sind auf den Webseiten des Gymnasiums Děčín nachzulesen, das die Aufnahmeprüfung durchführt. Ausführlich beschrieben ist der Bildungsgang auf der Homepage des Friedrich-Schiller-Gymnasiums Pirna.
Fotos: Autorin
www.gymnaziumdc.cz, www.sn.schule.de/~schiller