Polizeikontrollen – Propagandamassage - Vaterlandsgesetz
Heute geht es um den erneuten Streit um die Kontrollen tschechischer Autofahrer durch die deutsche Polizei. Ein großes Thema war auch die Forderung von Minister Kocáb, die Wiederholung von TV-Nachrichten aus der kommunistischen Zeit einzustellen. Und außerdem schauen die Kommentatoren noch ins „brüderliche“ Ausland, in die Slowakei, wo ein neues Gesetz zur Vaterlandsliebe erziehen soll.
Moderatorin: Christian, fangen wir mal mit den Polizeikontrollen an. Das Thema brodelt ja schon seit zwei Jahren zwischen Tschechien und Deutschland, seit die Tschechische Republik dem Schengenraum beigetreten ist.
C.R.: Ja richtig, seitdem versuchen bayerische, sächsische und österreichische Polizisten die weggefallenen Grenzkontrollen durch die so genannte Schleierfahndung zu kompensieren, also durch verdachtsunabhängige Stichproben-Kontrollen. Und an die hundert tschechische Autofahrer haben sich in den letzten zwei Jahren beschwert, man habe sie schikaniert.Moderatorin: Und in dieser Woche hat sich ja der frühere Premier Topolánek in Brüssel über das Vorgehen der deutschen Polizei beschwert.
C.R.: Und zwar mit recht harschen Worten. Außerdem kündigte Topolánek an, sich mit allen europäischen Mitteln zur Wehr zu setzen. Da grüßt natürlich ein bisschen der in Tschechien anstehende Wahlkampf. Aber zum Beispiel Jiří Franěk zeigt sich in der Tageszeitung „Právo“ auch genauso wütend wie Topolánek in Brüssel:
„Das, was Mirek Topolánek in Brüssel gesagt hat, war nicht eben eine diplomatische Ansprache, aber gerade deshalb verdient sie Lob. Denn über Schikane lässt sich nur schwer mit diplomatischer Zunge sprechen. Und das, was tschechische Autofahrer manchmal auf deutschen Straßen erleben, das kann man nicht anders nennen. Die deutsche und vor allem die bayerische Polizei sucht fleißig nach Terroristen, Drogenschmugglern und anderen Ganoven vorwiegend in Autos mit tschechischem Kennzeichen. Und auch wenn sie nichts finden, dann lassen sie die Pkw-Insassen ihre Macht und Arroganz kosten.“
Martin Weiss von der „Lidové noviny“ sieht das ein wenig differenzierter als Jiří Franěk. Weiss meint, die deutsche Polizei käme mit den Kontrollen auch den Bedürfnissen der Bevölkerung nach und schreibt:„Wenn wir wissen wollen, wie bei jemandem die Wachsamkeit gegenüber Reisenden und Zuzüglern aus dem Osten weiterhin überleben kann, dann genügt es, in den Spiegel zu schauen. (…) Der einzige Rat, den man den Bürgern geben kann, könnte lauten: Wappnet euch mit Geduld und wenn ihr die Reise gut vorbereiten wollt, dann kann es nicht schaden Deutsch zu lernen.“
Am Donnerstag hatten die Außenminister beider Länder, also Kohout und Westerwelle, über dieses Streitthema gesprochen. Westerwelle schmierte den Tschechen ein bisschen Honig ums Maul und versprach, das ganze auf die Regierungs-Agenda zu setzen. Das wurde aber nicht mehr von den Kommentatoren ins Visier genommen.
Moderatorin: Kommen wir mal zu einem anderen Thema. Der Minister für Minderheiten und Menschenrechte, Michael Kocáb, hat diese Woche vom Tschechischen Fernsehen verlangt, nicht mehr die Nachrichtensendungen aus der kommunistischen Zeit zu wiederholen.
C.R.: Kocáb sprach von unreflektierter kommunistischer „Propagandamassage“ und meinte, das sei so, als wenn man in Deutschland die NS-Wochenschauen ohne Kommentar wiederholen würde. Bei den Zeitungskommentatoren erntete Kocáb mit seinem Vorstoß eher Unverständnis. Zum Beispiel bei Jiří Franěk von der „Právo“:
„Ich glaube fest daran, dass sich nach den alten Zeiten nur die Alten sehen, die zu Hause immer noch einen Stalin über dem Bett hängen haben. Wenn sich aber arbeitende Leute im Blaumann daran erinnern, dass sich im Kommunismus die Krawattenträger ihnen gegenüber nicht so arrogant verhalten haben wie heute, dann ist das keine Nostalgie, sondern die traurige Wahrheit. (…) Auch der Aufbau des Kapitalismus stößt eben auf Probleme, damit muss man rechnen. Aber sicher liegt die Lösung nicht in der Zensur (…). Zum einen, weil sich das nie besonders bewährt hat, zum anderen stinkt das notwendigerweise nach Totalitarismus.“
„(…) die Ausstrahlung damaliger kommunistischer Propaganda ist nicht absurd, denn sie zeigt, wie die absurden Herrscher früher das gemacht haben. Die heutigen Kommunisten machen das nämlich nur um Haaresbreite anders, die damaligen kommunistischen Erzeugnisse unter Verschluss zu halten, käme ihnen zugute. Die Ähnlichkeit der damaligen und der heutigen Propaganda könnte sie echauffieren. (…) Wer Freiheit will, darf sie nicht ins Glashaus stellen. Der muss sie an der freien Luft lassen, wo sie fortwährend bedroht ist. Lest ´Mein Kampf´ und die Aufsätze von Lenin. Bringt sie ins Fernsehen. Beide sind gleich lehrreich. Und es ist eine Lehre, die wirksamer ist als jegliche Verbote und Kommentare.“
Moderatorin: Christian, Du hattest noch angekündigt, dass sich die Kommentatoren mit der Slowakei befasst haben.
C.R.: Ja, da wurde ja in dieser Woche das so genannte Vaterlandsgesetz angenommen mit Unterstützung der sozialdemokratischen Regierung Fico. In Schulen muss jetzt jeden Montag vor Unterrichtsbeginn die Nationalhymne gespielt werden, vor jeder Ratssitzung in jedem Dorf ebenso. Und auf diese Weise sollen alle – auch die nationalen Minderheiten – zur slowakischen Vaterlandsliebe „erzogen“ werden. Petr Uhl, der ansonsten tschechischer Herkunft ist, schreibt in der Pravo dazu:„Als slowakischer Staatsangehöriger habe ich mir bisher eine Art von Achtung gegenüber dem Staat und damit auch gegenüber seinen Symbolen bewahrt. Mit der Auferlegung dieser Pflicht habe ich diese Achtung allerdings verloren. (…) Damit hat sich die Slowakei in der EU lächerlich gemacht. Sie wird zu einem exotischen Land. Vielmehr sollten wir uns aber alle – egal ob Slowake oder Angehöriger eines anderen EU-Staates - bewusst machen, dass dieses Land mit der Annahme dieses Gesetzes einen weiteren Schritt in Richtung verpflichtender Vaterlandstümelei, ethnischer Intoleranz und Unfreiheit gemacht hat. Es ist ein autoritärer Schritt.“
Und ein Kollege aus dem Tschechischen Rundfunk, der Slowakei-Korrespondent Lubomír Smatana, setzt über seinen Gastkommentar für die „Hospodárské noviny“ die Überschrift: „Ein slowakischer Ausflug ins 19. Jahrhundert“. Er schreibt:
„Ficos Populismus muss sich notwendigerweise auf nationale Themen und Mythen stützen. Die Sozialdemokratie ist in Mitteleuropa ideologisch tot und soziale Aspekte betont heutzutage fast jeder Politiker. Im Kampf mit der Slowakischen Nationalpartei um die Wähler muss Fico deshalb ordentlich die national-populistische Fahne schwingen.“
Und Karel Škrabal von der „Mladá fronta Dnes“ vergleicht Tschechien und die Slowakei und macht sich ein wenig Sorgen, ob der slowakische Premier und Sozialdemokrat Fico nicht einen schlechten Einfluss auf seinen tschechischen Parteikollegen Jiří Paroubek haben könnte:
„Es scheint, dass man in der Slowakei mehr populistische Versprechen von sich gibt, es herrscht dort eine größere Demagogie und man segnet dort unsinnige vaterländische Gesetze ab. Es gibt weniger Achtung vor dem politischen Gegner, man droht und schimpft mehr. Fico und Paroubek sollte man in der sozialistischen Internationale – oder wie auch immer sich ihre Zentrale nennt – wie Schüler auseinandersetzen.“
Moderatorin: Mit anderen Worten - der Kommentator befürchtet, dass etwas von der nationalistischen Politik der Slowakei auch auf Tschechien abfärben könnte.
C.R.: Sieht so aus. Alles in allem liest man doch aus den tschechischen Kommentaren das Unverständnis für die Politik der früheren Brüder heraus. Den Unsinn des vaterländischen Gesetzes offenbart auch eine Karikatur in der „Právo“. Sie zeigt, wie bei einem Fahnenappell eine Reihe von Tschechen mit Hochachtung vor einer Fahnenstange steht, an der gerade ein überdimensionaler 1000-Kronenschein hochgezogen wird.
Moderatorin: Hübsch. Das war der Medienspiegel – heute von und mit Christian Rühmkorf. Vielen Dank!