EU-Kommissar, SS-Wappen und 20 Jahre Mauerfall
Natürlich wurden in Tschechien aufmerksam die Feierlichkeiten zum 20. Jahrestag des Mauerfalls verfolgt. Hier steht ja in wenigen Tagen das tschechische Jubiläums-Pendant an. Außerdem geht es im Medienspiegel um den Skandal der SS-Wappen auf den Helmen tschechischer Soldaten in Afghanistan. Und wir schauen uns natürlich an, wie die Kommentatoren auf die schwierige Einigung auf den designierten EU-Kommissar Füle reagiert haben.
C.R.: Ja, es war für alle ein Nervenkrieg und am Ende gibt es nicht viele wirkliche Sieger. Karel Steigerwald schreibt in der „Mladá Fronta Dnes“:
„Das Entscheidende an Füles Nominierung ist gerade die Nominierung. – dass es eine Einigung gab, dass wir eine weitere Havarie der tschechischen Politik hinter uns gelassen haben. Das ist tatsächlich ein Erfolg – in der Politik, die schon lange nichts anderes mehr kann, als nichts auszusagen. Füle ist zwar erfahren. (…). Wofür die fachlichen Fähigkeiten dienen und was sie bringen, das allerdings weiß niemand. Und es erwartet auch niemand etwas. Er ist einfach da, in Brüssel, und wir können aufatmen“, schreibt Steigerwald desillusioniert und geht noch auf Füles kommunistische Vergangenheit ein:
„Füle wird bei vielen auf Kritik stoßen. Er hat eine russische Ausbildung, war Kommunist. Einigen mag dabei einfallen, dass die Russen wieder einen weiteren Mann im Amt haben. Ausschließen kann man das nicht, einen Grund für diese Annahme gibt es aber auch nicht. Es gibt eben eine allgemeine Renaissance der Welt aus der Zeit vor November 1989.“
Auch der Kommentator der „Lidové Noviny“, Daniel Kaiser, ist alles andere als glücklich mit diesem Ergebnis. Bei Stefan Füle sei in diesem Augenblick nicht wichtig, dass er Kommunist gewesen sei, sondern Karrierist. Von diesen tschechischen Kommunisten-Karrieristen gebe es eine ganze Menge auf der europäischen Bühne, meint Kaiser, und schreibt:
„Ein Karrierist zeichnet sich dadurch aus, dass er auf der Leiter nach oben klettert. Solche Leute steigen nach oben bis zur letzten Sprosse und es ist ihnen im Ganzen egal, wo diese Sprosse ist. Allerdings muss man bei so jemandem damit rechnen, dass er gewohnt ist, den persönlichen Vorteil zu verwechseln mit dem, was für das Land gut ist, das er repräsentiert. (...) Die Funktion des EU-Kommissars betrachtet man bei uns als luxuriöse politische Rente. Ein Land, für das das Verlosen eines Aufenthalts im politischen Kurbad das Ereignis der Saison ist, das ist ein Land mit ebenerdigen Ambitionen. (...) Dramatisch hat sich bestätigt, wie sehr die politischen Eliten nach 20 Jahren ausgelaugt sind.“
Moderator: Von Daniel Kaiser erscheint ja demnächst auch eine politische Biografie über Václav Havel.
C.R.: Richtig. Schon jetzt gibt es in der „Lidovky“ Vorabdrucke. Das könnte besonders deshalb interessant sein, weil Kaiser eher als Klausianer gilt, als Anhänger des jetzigen Präsident Václav Klaus. Und Klaus und Havel sind sich ja spinnefeind.
Moderator: Kommen wir mal zur Affäre um die Wappen von SS-Divisionen an den Helmen von zwei tschechischen Soldaten in Afghanistan. Damit hat ja am Montag die Zeitung „Mladá Fronta Dnes“ aufgemacht, die von anderen Afghanistan-Soldaten über diese rechtsradikalen Erscheinungen informiert wurde.C.R.: Einer der Soldaten hat das ja als „dummen Jungenstreich“ abgetan. Kommentator Zbyněk Petráček schreibt dazu in der Dienstagsausgabe der „Lidové Noviny“:
„Auch wenn es tatsächlich nur eine Dummheit gewesen wäre, dann ist das eine Dummheit solchen Kalibers, dass die Armee darauf nicht reagieren kann, wie auf eine Dummheit. Das ist der Kern des Problems, und wenn die beiden Soldaten den Unterschied nicht verstehen, dann haben sie allein schon deshalb nichts in der Armee verloren.“
Moderator: Verteidigungsminister Martin Barták hat ja am Dienstag ziemlich schnell reagiert und die beiden Soldaten aus der Armee hinausgeworfen.
C.R.: Ja, und die noch offene Frage ist, ob und wer von den Vorgesetzten von der Affäre wusste, ob es eben bis in den Generalstab hinaufreicht. Kommentator Milan Vodička meint in der „Mladá Fronta Dnes“, Soldaten, die sich mit SS-Insignien schmückten, seien für die Demokratie fast schlimmer als Soldaten, die desertieren. Vodička spricht sich aber dagegen aus, in den oberen Chargen der Armee nur deshalb Köpfe rollen zu lassen, weil man dort von den Vorgängen nichts wusste. Er schreibt:
„Das Wichtigste ist jetzt, festzustellen, wie das überhaupt passieren konnte, warum alles unter den Teppich gekehrt wurde und wer dabei alles den Besen geschwungen hat. Irgendwo im System ist ein Fehler. Das ist klar. (…) Erst wenn der Fehler aufgedeckt ist, sollten wir die eigentlichen Schuldigen bestrafen“, so Milan Vodička in der „Mladá Fronta Dnes“.
Moderator: Erfreulicher war ja ein anderes, europaweit wahrgenommenes Ereignis in Deutschland: Die Feier zu „20 Jahre Mauerfall“ in Berlin. Sind die tschechischen Kommentatoren darauf eingegangen?C.R.: Sind sie. Das ist ja gerade auch deshalb interessant, weil am 17.11., also kommenden Dienstag die Tschechen ihren politischen Umbruch begehen. Der frühere Dissident Petr Uhl schreibt in der Právo:
„In großem Stil hat Deutschland gestern den Fall der Berliner Mauer gefeiert. Gut, dass sie auch Gorbatschow die Ehre erwiesen haben. Die Domino-Kette, die aus Anlass der 20-Jahr-Feier aus von Kindern bemalten symbolischen Mauerstücken arrangiert wurde, hat Lech Walesa von der Solidarnosc angestoßen, stellvertretend für alle damaligen östlichen Partner der DDR. So deutsch, aber zugleich auch so europäisch war diese Feier.“
Martin Ehl meint in der „Hospodářské Noviny“, es sei wichtig, sich immer wieder zu vergegenwärtigen, dass der Wandel nicht vom Himmel fiel. Das damalige kommunistische Regime habe sich in allen mittelosteuropäischen Ländern so tief verwurzelt, dass es noch heute das Leben vieler Menschen beeinflusse und zwar…
„…durch seine Präsenz in der Politik (nicht reformierte Kommunisten in Tschechien, Generäle des KGB, die in Russland und Weißrussland an der Macht sind), in der Wirtschaft (Milliardärs-Kader in Polen und Ungarn) und im Denken der Menschen (im Kommunismus gab es keine Krise, der Staat hat sich um uns gekümmert – was übrigens die Meinung von mehr als der Hälfte der Menschen laut einer frischen ungarischen Umfrage). Die faktische Berliner Mauer ist nur noch ein Relikt, aber mental ist sie noch da, denn es fehlt die Reflexion darüber.“Moderator: Vielen Dank, das war Christian Rühmkorf mit dem Medienspiegel!