Wenn Nachbarn sich streiten – Temelín und der Borkenkäfer
Er hängt wieder einmal schief: der Haussegen zwischen den beiden Lieblingsnachbarn Tschechien und Österreich. Vor allem aus dem Süden schallen laute Töne über die Grenze Richtung Prag. Aufreger Nummer eins ist – wie könnte es auch anders sein – das südböhmische Kernkraftwerk Temelín; genauer gesagt, dessen geplante Erweiterung. Der zweite Stein des Anstoßes ist der Borkenkäfer: Er wütet erneut im Böhmerwald und der schert sich natürlich reichlich wenig um Staatsgrenzen.
„Wir haben auf österreichischer Seite direkt angrenzend zum Nationalpark mittlerweile etwa 100 Hektar Stehendbefall beziehungsweise Totalausfall im Nutzwald. Der Wald gehört vor allem dem Stift Schlägl“, so Josef Stockinger im Interview für Radio Prag.
Der konservative ÖVP-Politiker spricht von einem veritablen Nachbarschaftsproblem, wie er Ende Juli bei einer Pressekonferenz sagte. Die Ursache ist für ihn dabei klar: Im tschechischen Nationalpark wird der Wald in der Kernzone vollständig sich selbst überlassen. Und das auch, wenn der Borkenkäfer dann über geschwächte Bäume herfällt. Unglücklicherweise reiche die Kernzone des Nationalparks Böhmerwald bis an den Grenzstein.
Dass der Borkenkäfer ein grenzüberschreitendes Problem ist, sieht auch der stellvertretende tschechische Umweltminister František Pelc. Doch mit der Theorie, es sei der böse Borkenkäfer aus Tschechien, stimmt er nicht überein:
„Wir haben einige Analysen aus früherer Zeit, die belegen, dass der Borkenkäfer sich von der österreichischen Seite auf die tschechische Seite vermehrt hat und das in verstärktem Umfang. Das lässt sich mit Satellitenbildern beweisen.“
Nun ist das Problem nicht erst mit der Pressekonferenz von Agrarlandesrat Stockinger Ende Juli bekannt geworden. Im Gegenteil: Beide Seiten haben bereits in zwei Runden miteinander verhandelt und zwar bis hoch auf die Ebene der Umweltministerien beider Staaten. Dabei wurde bereits ein möglicher Nachbarschaftsvertrag entworfen. Agrarlandesrat Stockinger:
„Die Grundidee ist, dass wir auf österreichischer Seite im Dreiländereck dem Nationalpark entgegenkommen und dort ein Europaschutzgebiet errichten. Das heißt, dass wir den Grundbesitzer entschädigen sowie für einen sanften Übergang zum Wirtschaftswald sorgen und dass die Borkenkäferbekämpfung auch auf österreichischer Seite stattfindet. Im Gegenzug erwarten wir von der Nationalparkverwaltung und von der Tschechien im Gebiet des Hochficht, wo wir unser Tourismus- und Skigebiet haben, wirklich die Staatsgrenze respektiert wird und auf tschechischer Seite bereits im auslaufenden Nationalpark-Gebiet wirksame Maßnahmen gesetzt werden.“Doch die Unterschrift unter den Vertrag lässt immer noch auf sich warten. Zweimal bereits ist der Text des Übereinkommens zwischen beiden Staaten hin und hergeschickt worden. Laut František Pelc ist jetzt gerade mal wieder die österreichische Seite am Zug. In Wien würden sich derzeit Juristen mit dem Papier beschäftigen. Derweil ist man nicht untätig. Im Vertrag vorgesehen sind gemeinsame Streifen von tschechischen und österreichischen Forstleuten, die den Zustand der Bäume auf beiden Seiten der Grenze kontrollieren. Die Streifen sind sogar schon im Einsatz und haben veranlasst, dass bereits rund 400 Bäume beiderseits der Grenze behandelt wurden.
Doch in Oberösterreich stehen Landtagswahlen bevor und da ist man derzeit nervös, weil der Vertrag noch immer auf sich warten lässt. Agrarlandesrat Stockinger macht sich sogar Gedanken, was wäre, wenn der Vertrag letztlich doch nicht zustande käme. Tschechien müsse dann mit einer Klage rechen:„Wir wissen heute über ein Universitätsgutachten, dass das, was Nachbarschaftsrecht ist zwischen zwei Grundnachbarn, im Prinzip auch zwischen zwei Staaten einzufordern ist. Es gibt also sowohl vom Privatrecht, als auch vom Völkerrecht ein Schutzinteresse und die Möglichkeit, das auch einzuklagen.“
Im tschechischen Umweltministerium fürchtet man ein Gerichtsverfahren nicht – eben weil laut Aussage von Vizeminister Pelc der gefräßige Käfer nicht nur in eine Richtung geflogen sein dürfte:
„Es wäre dann ein schwieriges Verfahren zu beweisen, wie es wirklich war – und das nicht nur aus rechtlicher, sondern auch aus fachlicher Sicht. Denn das Borkenkäferproblem ist nicht erst gestern oder im vergangenen Jahr entstanden, auch nicht vor fünf Jahren – es ist ein Langzeitproblem im Böhmerwald.“František Pelc ist sich aber sicher, dass die Lösung auch ohne Gerichte gefunden wird:
„Wir wollen die Sache nicht zuspitzen und ich glaube fest, dass zum Schluss der bereits angedeutete Vertrag stehen wird.“
Auch Agrarlandesrat Stockinger gibt sich versöhnlich:
„Wir wollen keinesfalls Öl ins Feuer gießen, wir brauchen kein zweites Temelín in unseren nachbarschaftlichen Beziehungen. Was wir wollen, ist dass wir unter guten Nachbarn dieses Problem regeln.“
Die Chancen auf eine Lösung scheinen also gut zu stehen. Anders als beim Dauerstreitthema Temelín, das sich auch in diesen Tagen erneut zugespitzt hat.
Wir haben vergangene Woche schon darüber berichtet: Auch das südböhmische Atomkraftwerk Temelín sorgt wieder einmal für schrille Töne im tschechisch-österreichischen Austausch. Oder, man sollte wohl besser sagen: In den tschechisch-OBERösterreichischen Beziehungen. Denn gerade aus Linz kommen die lautesten Stimmen, die den von Tschechien geplanten Ausbau des südböhmischen Kraftwerks auf die ursprünglich geplanten vier Reaktorblöcke beklagen. Den Anfang machte vor gut zwei Wochen der Nationalratsabgeordnete der rechtsnationalen FPÖ Werner Neubauer. Er hat Tschechien vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verklagt, wie er im Gespräch mit Radio Prag erläutert:
„Nach unserer Rechtsauffassung müsste die Tschechische Republik als EU-Mitglied eigentlich die Rechtsnormen der Union einhalten, was sie in diesem Fall dezidiert nicht tut. Man müsste hier nämlich eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) nach EU-Recht vornehmen, derzeit wird aber lediglich eine UVP nach nationalstaatlichen Kriterien durchgeführt, die die Rechte der Verfahrensteilnehmer massiv beschränkt.“
Ins selbe Horn stößt gegenüber Radio Prag der grüne Oberösterreichische Umwelt-Landesrat Rudi Anschober. Zwar trennen Freiheitliche und Grüne auf dem politischen Spektrum ideologische Lichtjahre voneinander. Doch in der Frage Temelín scheint man sich einig zu sein:
„Wir wissen, dass wir ganz gute Karten haben in der Auseinandersetzung um den Weiterbau von Temelín. Vor allem auch, weil uns die EU-Kommission vor kurzem bestätigt hat, dass es massive Kritik am tschechischen UVP-Gesetz gibt, weil dieses nicht den Standards der Europäischen Union entspricht und deswegen bereits auch ein Vertragsverletzungsverfahren im Laufen ist.“
Eine deutliche Ansage. Dennoch kritisiert der FPÖ-Mann Neubauer das angebliche Nichtstun des grünen Landesrates. Jahrelang habe er dem Treiben jenseits der Grenze tatenlos zugesehen. Anschober wiederum sagt, er sei grundsätzlich gegen Atomkraftwerke, ganz egal ob sie in Deutschland, Tschechien oder der Schweiz stünden. Und überhaupt sei ihm das Thema viel zu wichtig, als dass er es einem parteipolitischen Geplänkel ausliefern wolle. Wohl ein klares Zeichen dafür, dass in Oberösterreich in einem Monat Landtagswahlen anstehen. Und gerade die Grünen und die FPÖ sind es, die den Umfragen zufolge dabei um Platz drei und damit um den begehrten Platz in der Landesregierung ringen werden.
Doch zurück zum eigentlichen Problem: Verstoßen Tschechiens Vorschriften zur Umweltverträglichkeitsprüfung tatsächlich gegen geltendes EU-Recht? Dazu nahm gegenüber Radio Prag der stellvertretende tschechische Umweltminister Jan Dusík Stellung. Dusík ist im Ministerium für internationale Angelegenheiten und Rechtssachen zuständig und bestens mit der Materie vertraut:
„Es ist richtig, dass die Europäische Kommission gegen Tschechien ein Vertragsverletzungsverfahren führt, weil wir einen Teil der Richtlinie zur gerichtlichen Überprüfung des Umweltverträglichkeits-Verfahrens nicht umgesetzt haben. Aber ein entsprechender Gesetzesvorschlag, um das zu bereinigen, liegt bereits im tschechischen Abgeordnetenhaus. Das Verfahren ist schon so weit fortgeschritten, dass die Kommission kurz vor einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof steht. Da ist also höchste Eile geboten, um das zu reparieren.“
All diesen Problemen zum Trotz hat Tschechien versprochen, Österreich und auch Deutschland am geplanten Umweltverträglichkeits-Verfahren zu beteiligen:
„Die Ämter und die Bürger in den Nachbarstaaten sind in ihrer Beteiligung absolut gleichberechtigt mit den tschechischen Bürgern.“
Doch das sei nicht genug, kritisiert der oberösterreichische Umweltlandesrat Rudi Anschober:
„Nachdem das tschechische UVP-Verfahren nicht europäischen Standards entspricht, ist das nicht ausreichend. Zunächst muss sichergestellt sein, dass europäischen Recht auch in Tschechien vollinhaltlich umgesetzt ist.“
Außerdem seien etwaige Einwände, die in dem Umweltverträglichkeits-Verfahren vorgebracht werden, rechtlich nicht bindend und daher nicht einklagbar, ärgert sich der FPÖ-Abgeordnete Werner Neubauer:
„Das ist auch ein Grund, warum diese UVP-Verfahren eine reine Farce darstellen und nichts anderes als eine Augenauswischerei sind.“
Dies gelte allerdings nicht nur für Einwände aus dem Ausland, sondern auch für solche aus Tschechien, entgegnet der stellvertretende tschechische Umweltminister Jan Dusík:
„Es stimmt, dass das Ergebnis des Umweltverträglichkeits-Verfahrens rechtlich nicht bindend ist. Aber es ist ein wichtiger Teil des gesamten Genehmigungsprozesses. Die zuständigen Behörden müssen und können nicht allen Einwänden stattgeben, aber sie müssen sie in die Entscheidung einfließen lassen. Und die Ämter müssen ihren Beschluss auch ausführlich begründen.“
Aber, so versichert Vize-Minister Dusík, man mache dabei keinen Unterschied, ob der Einspruch aus Tschechien oder einem der beiden Nachbarländer komme.