Zipp – Deutsch-Tschechische Kulturprojekte in Prag vorgestellt
Ein sehr dichter Programmherbst wurde kürzlich in Tschechien angesagt. Auf einer Pressekonferenz in Prag konnten sich Journalisten mit den mannigfaltigen Veranstaltungen der deutsch-tschechischen Kulturprojekte bekannt machen. Diese werden durch die Kulturstiftung des Bundes organisiert. Es geht um gezielt wenige Projekte zu ausgesuchten Themen, von denen man glaubt, dass sie in beiden Ländern relevant sind und diskutiert zu werden. Jitka Mládková war dabei:
Die Kulturstiftung des Bundes ist eine politische Stiftung, die Kultur fördern soll, und dies auch außerhalb der Grenzen Deutschlands. Neben Themen wie etwa Migration, Arbeit und schrumpfende Städte, gilt es, die Verbindungen zu anderen Ländern zu vertiefen. Hortensia Völckers, künstlerische Direktorin der Kulturstiftung des Bundes sieht einen guten Grund dafür:
„Seit dem Jahr 2004 sind wir ein größeres Europa. Deshalb müssen die Verbindungen und Beziehungen zu unseren Nachbarstaaten im östlichen Europa vertieft werden. Wir hatten die Idee, immer ein oder zwei Jahre einem Land zu widmen. Wir haben mit Polen angefangen, dann folgte Ungarn und jetzt ist es die Tschechische Republik."
Die Projekte, die parallel und in gemeinsamer Zusammenarbeit tschechischer und deutscher Institutionen umgesetzt werden, werden auch von der Kulturstiftung des Bundes finanziert:
„Wir stellen für jedes Land drei Millionen Euro zur Verfügung. Dann informieren wir uns in regelmäßigen Abständen genau über den Status, was mit dem Geld schon passiert ist. Im Fall der Tschechischen Republik ist es eine ganze Menge. Es gibt zum Beispiel den Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds. Das ist eine große Institution, die in der Kulturförderung viele kleine Projekte macht. Diese spielen sich im soziokulturellen Bereich vor allem im Grenzgebiet zwischen Tschechien und Deutschland ab.“
Daher hat man beschlossen, etwas größere Projekte von renommierten Institutionen zustande kommen zu lassen, die wirklich gewichtige Kulturereignisse werden sollen. Die Formate, in denen sich die Beteiligten im zweijährigen Zeitraum artikulieren werden, sind unterschiedlich: Theater, Film und Radio, Architektur, Bildende Kunst und Zeitgeschichte. Ihren Arbeiten aber ist gemein, dass sie sich an aktuell relevanten gesellschaftlichen Fragestellungen orientieren. Hier einige Beispiele von Hortensia Völckers:
„Wir produzieren im Moment sechs tschechische und sechs deutsche Dokumentarfilme. Dies geschieht in Zusammenarbeit mit dem tschechischen Dokumentarfilmfestival und dem Dokumentarfilmfestival in Leipzig. Wir werden außerdem Radioprojekte machen aus denen Features und Hörspiele entstehen sollen.“
Leichtgängigkeit – das heißt, das hier zwar möglichst stabile Zusammenarbeiten und Denkzusammenhänge etabliert werden, die zugleich aber auch flexibel sind und eben so helfen sollen, die Verfestigungen, von denen das deutsch-tschechische Verhältnis nicht zuletzt aus historischen Gründen noch vielfach geprägt ist, zu lockern. So etwa heißt es im Auftrag der deutsch-tschechischen beziehungsweise tschechisch-deutschen Projekte, die unter dem Namen, oder genauer gesagt, unter dem Leitmotiv „Zipp“ laufen. Ihre Leiterin und „Erfinderin“ dieser Bezeichnung Katrin Klingan:
„Man kann ganze Bibliotheken füllen mit den Kontakten, Verhältnissen und Begegnungen in den letzten Jahrhunderten. Es ist wirklich eine ganze Menge, was es da an Geschichte gibt. Beim Stöbern in einer Bibliothek stieß ich auf ein Buch, das ich sehr liebe. Es hat 800 Seiten und es handelt sich dabei um ein Wörterbuch der Lehnwörter zwischen Deutschland, Tschechien und der Slowakei – ein Fremdwörterbuch, in dem man die Herkunft deutscher Wörter in das Tschechische und das Slowakische verfolgen kann. Dort fand ich dann eben auch den Reißverschluss. Ich dachte mir, wo so viel Geschichte anwesend ist, wo manche Themen in der öffentlichen Wahrnehmung so viel wiegen, da nehmen wir doch den normalsten Alltagsgegenstand, den man sich überhaupt vorstellen kann.“
Das Wort Zip, wie der Reißverschluss im Tschechischen heißt, oder Zipper, kam weder aus dem Tschechischen noch aus dem Deutschen. Der Reißverschluss ist eine amerikanische Erfindung aus dem 19. Jahrhundert. Der Chikagoer Erfinder ließ sich den Reißverschluss patentieren, aber es dauerte noch gut 30 Jahre, bis der Reißverschluss serienreif für die Herstellung war. Er verhakte sich nämlich oft und war nicht leichtgängig zu öffnen und zu schließen. Gerade darin sieht Katrin Klingen etwas Symbolisches.
„All diese Motive gefielen mir extrem gut für ein Austauschprojekt, wo beide Seiten – Kulturschaffende von hier wie dort – zu kooperativen Projekten zusammenfinden. Es ist ein Verfahren, das es sowohl zulässt, zwei Einzelteile zu sein und dann, wenn es notwendig ist, auch zusammenzufinden.“
Wie im Reißverschlussverfahren werden also die gemeinsamen Kulturprojekte realisiert. Ein Team aus Zeithistorikern, Künstlern, Theaterdramaturgen Zeithistorikern und anderen Kulturschaffende arbeiten bereits seit eineinhalb Jahren gemeinsam und gehen dabei folgenden Fragen nach:
„Wo sind die Verbindungen und wie unterscheiden sich die Blickwinkel auf die Daten? Auf diese Weise entstehen gemeinsame Produkte wie auch eine ganze Reihe an Journalen zu unterschiedlichen Motiven wie „Crossing“, „Performing“, „Transforming“ und vor allem „Misunderstanding“. Es gibt eine Menge von Missverständnissen zwischen der westlichen Wahrnehmung und der tschechischen und slowakischen.“
Es geht zum Teil um eine Kombination von Theaterstücken, die neu produziert werden mit Beratung von Zeithistorikern zu den Themen oder Motiven der Jahre 68/89 auf tschechischer und deutscher Seite. Über die Prager Premiere der tschechisch-deutschen Operette, einem Horror mit menschlichem Antlitz, „Exit 89“, hat Radio Prag bereits ausführlich informiert. Das Stück wurde mittlerweile im Hamburger Theater Kampnagel aufgeführt und soll im Dezember auch in den Berliner Sophiensaelen zu sehen sein. Demnächst wird wiederum das Hamburger Theater Kampnagel mit einer filmischen Montage „Alles wird anders sein“ gastieren. Katrin Klingan sieht noch einen weiteren Grund für derartige Zusammenarbeit:
„Das ist ein wenigschönes, manchmal auch trauriges Phänomen. Wir wissen in Deutschland um einiges weniger Bescheid um die einzelnen Kulturszenen im östlichen Europa, als zum Beispiel hier in der Tschechischen Republik, die sich sehr wohl an den diversen Kunstwelten des Westens zu orientieren weiß. Wir finden, dass dies eine Situation ist, der man nicht gleichgültig gegenüber stehen sollte. Daher versuchen wir mit kooperativen Projekten dem etwas entgegen zu setzen und damit einen Anstoß zu geben, sich jenem zu öffnen, was einem anfangs vielleicht fremd und unbekannt erscheint. Sobald man sich darauf einlässt, kann es eine riesengroße Herausforderung werden.“
Hortensia Völckers, künstlerische Direktorin der Kulturstiftung des Bundes, schließt sich mit einem Wunsch an:
„Ich würde mir sehr wünschen, wenn in dieser Stadt und in diesem Land mehr Wert auf das gelegt wird, was zeitgenössische Denker und Künstler sagen und tun und dass man sie dabei stärker unterstützt. Man sollte sich nicht nur auf das Erbe, den Tourismus und das Marketing konzentriert. Eine Stadt braucht, um sich zu entwickeln und einen eigenen Charakter auszubilden, die Kunst. Die kann man aber nicht als Werbeartikel anbieten, sondern man muss sie geschehen lassen, mit all den Widrigkeiten, die damit verbunden sind.“