Prag im Ohr: Die Klanglandschaften von „The Favourite Sounds of Prague“
Das Prag in den Köpfen der Menschen – das ist meist ein fotogenes Motiv, eine Kulisse aus Hradschin, Karlsbrücke oder der Altstädter Silhouette mit ihren hundert Türmen und Kuppeln. Doch wie klingt Prag eigentlich, welchen Rhythmus spielt Tschechiens Hauptstadt, wie klingt ihr Herzschlag? Genau diesem akustischen Erlebnis widmet sich das Hörkunst-Projekt „The Favourite Sounds of Prague“. Das Hörkunst-Projekt versteht sich als Mikrofon-Sonde, die in den Prager Lebensalltag eingelassen wird. Als interaktives Hör-Portrait mit den Lieblingsklängen aller Prager ist „The Favourite Sounds of Prague“ eines von fünf aktuellen Hörkunstprojekten im Rahmen von „rádio d-cz“. Eine Initiative des deutsch-tschechischen Kulturprojekts Zipp, hinter dem die Kulturstiftung des Bundes steht. Radio Prag hörte hinein in die Prager Klanglandschaften.
Falls ja, kennen Sie einen der Lieblingssounds der Prager. Den „Favourite Sound of Prague“ eben. Michal Rataj, der Radiokünstler von „rAdioCUSTICA“ ist Produzent des Radiokunstprojekts „rádio d-cz“. Ganz offen fragt er alle Prager virtuell nach ihrem Lieblings-Klang. Denn „Favourite Sounds of Prague“ steht als Hörkunst-Projekt via Internet allen offen. Dort findet man so genannte Soundscapes, also Klanglandschaften. Michal Rataj:
„Favourite Prague Sounds, das ist ein Kommunitätsprojekt. Es geht um eine ganz offene Internetplattform, bei der sich jeder anmelden kann und Klänge aus Prag und aus seinem Alltag einspeichern kann. Es ist eine Datenbank, mit der man virtuell durch den Soundscape von Prag reisen kann und persönlich beteiligt ist.“
Schließen Sie also einmal die Augen, um Prag zu hören statt immer nur anzuschauen: Tauchen Sie hinab in den Soundscape, die Klanglandschaft der Stadt. Spielen und Experimentieren Sie mit der Aufmerksamkeit Ihres Gehörs. Und geben Sie auf der Suche nach Ihrem Lieblingsklang der Goldenen Stadt einen neuen „Sinn“. Konzentration auf den Klang! Großstadt-Kino im Kopf!
„Am Ende des Projekts haben wir dann eine ganz große akustische Datenbank. Dort sind Klänge gespeichert, die man sonst vielleicht nie hören könnte, weil wir nicht gut genug aufpassen, wenn wir durch die Stadt gehen, oder weil wir gar keine Zeit haben, uns auf diese bestimmten Klänge zu konzentrieren.“
Es geht also um genaues Hinhören, ein Hineinlauschen in das Reich der ungehörten Klänge, ein anderes Bild von Prags zu zeichnen, als eine es Ansichtskarte oder Foto liefern. Es geht um hörbare Bilder, die in der Hektik des modernen Alltags untergehen. Hier können die Ohren genau das erfassen, was der Geschwindigkeit und Flüchtigkeit des Blickes nicht standhält.
„Darum geht es im Soundscape, dem Konzept der Klanglandschaft, die verlangt, dass wir uns mehr konzentrieren, dass es bestimmte Klänge in unserer Umgebung gibt, für die wir nicht mehr sensibel sind, weil sie zu leise sind oder der Lärm zu stark. Und das Soundscape-Konzept sagt: Ruhe bitte! Anhören! Aufpassen! Es gibt eine ganze Menge von Klängen, die es wert sind, gehört zu werden. Das entspricht sehr der Idee des Radios: nämlich mit unseren Ohren zu sehen.“
Mit den Ohren die Umgebung ‚anders sehen’ lernen? Der Kulturanthropologe und Medienexperte Andreas Haderlein vom Zukunftsinstituts in Kelkheim schafft Aufklärung aus wissenschaftlicher Sicht zum Thema Soundscape:
„Der Begriff der Soundscape wurde vor allem durch den Komponisten Murray Schaffer Ende der 1960er Jahren geprägt. Diese Wortschöpfung setzt sich in der Übersetzung aus ‚sound’ – also Klang – und ‚landscape’ – also Landschaft – zusammen. Man sagt also im deutschen ‚Klanglandschaft’. Aber Soundscape war der zentrale Begriff der von Schaffer initiierten ökologischen Klangforschung. Und diese versuchte verloren gegangene Töne unserer Umwelt festzuhalten. Etwa die Schiffssirenen von Vancouver, die elementarer Bestandteil der Soundscape von Vancouver waren und wahrscheinlich auch noch sind, nur eben mit anderen Geräuschen heute überlagert oder vielleicht sogar eher verdrängt sind durch andere Geräusche auf Grund der städtischen und technologischen Entwicklung.“
Es geht also um akustische Wahrnehmungen, die heutzutage verdrängt werden, überhört werden. Welche Elemente verschwinden denn dadurch aus unserem Alltag?
„Zum einen gibt es einen für jeden Ort typischen Klang. Jeder Raum hat einen Klang, eine akustische Tapete oder einen klingenden Hintergrund. Das ist der eine Aspekt. Der andere Aspekt ist: Jeder hat eine andere Vorstellung, eine subjektive Klangwahrnehmung, Erinnerung an bestimmte Klänge. Denken Sie zum Beispiel, Sie beamen sich in eine Großstadt der 70er Jahre zurück. Dort hörten Sie aus jedem zweiten Fenster im Sommer noch das Schreibmaschinengeklapper. Das haben Sie heute nicht mehr. Aber es war elementarer Bestandteil der Klanglandschaft in den Fluchten der Großstädte.“
Subjektiv-empfundene Klanglandschaften und Hörbilder der Stadt contra hektische Blicke und Massen-Postkartenromantik also. Jetzt als interaktives Projekt in Prag von „rádio d-cz“. Was haben wir denn eigentlich vom Genau-Hinhören in der Großstadt Prag?
„Ich finde das Konzept deswegen spannend, weil Prag mit bestimmten Bildern besetzt ist. Visuellen Bildern vor allem, nicht Hör-Bildern. Ich selbst war noch nicht in Prag. Aber man weiß: Touristenströme und all diese Geschichten. Das ist erst mal das, was sich für den Außenstehenden über Prag erschließt. Dass es dort natürlich auch noch Alltag fern der Touristenströme gibt ist vielleicht über eine akustische Darstellung besser zu kommunizieren als über die Bilder. Denn mit den visuellen Bildern ist die Konkurrenz sehr groß: nämlich das Postkartenformat. Und all die vielen schönen Bilder die geknipst werden täglich in Prag. Aber nicht jeder läuft mit dem Aufnahmegerät durch Prag.“
Und deshalb: Hören Sie noch einmal genau rein… Der „Akkordeon-Spieler auf der Národní-Straße“.
Alle bislang abgespeicherten Lieblingsklänge der Prager mit der Möglichkeit sich ein eigenes Sound-Profil einzurichten finden Sie hier: www.panto-graph.net.
Alle Radiokunstprojekte von „rádio d-cz“ des deutsch-tschechischen Kulturprojekts ´Zipp´ finden Sie hier: www.projekt-zipp.de.