„Zuzugstourismus“: Prag bekämpft fiktive Umzüge von Kindern wegen Einschulung
Es nennt sich „Zuzugstourismus“: Manche Eltern lassen ihr Kind fiktiv an einen anderen Wohnort umziehen, damit es die Schule ihrer Wahl besuchen kann.
Bei der Anmeldung für die Grundschule gilt in Tschechien die freie Schulwahl. Jede Grundschule ist zwar verpflichtet, Kinder aus einem bestimmten Umkreis einzuschulen. Die Eltern können sich aber auch frei zwischen Schulen andernorts entscheiden. Beliebte Einrichtungen bekommen daher deutlich mehr Anmeldungen, als sie berücksichtigen können. In Folge dessen hat sich ein sogenannter „Zuzugstourismus“ entwickelt: Das Kind wird an einem Wohnsitz im Einzugsgebiet der gewünschten Schule angemeldet, ohne dort wirklich zu leben.
Das Problem betrifft vor allem Großstädte. Im sechsten Prager Stadtbezirk etwa wird schon seit drei Jahren gegen den „Zuzugstourismus“ gekämpft. Bürgermeister Jakub Stárek (Bürgerdemokraten) nennt die Gründe, die Eltern zu diesem Betrug bewegen:
„Einer der Gründe ist der Kapazitätsmangel am eigentlichen Wohnort. Durch eine unzulängliche Planung werden im Speckgürtel rund um Prag zwar schöne Häuserkolonien gebaut. Es gibt dort aber keine Schulen. Der zweite Grund ist, dass die Menschen nach einer besonders ausgerichteten Schule suchen, etwa mit erweitertem Kunst- oder Sprachunterricht.“
Die Eltern melden ihr Kind daher an einem Wohnsitz etwa bei Bekannten im gewünschten Stadtviertel an. Dies stelle den betroffenen Stadtteil vor große Probleme, sagt Stárek:
„Wir verfolgen langfristig die demografische Entwicklung und wissen, wie viele Kinder etwa in fünf Jahren eingeschult werden sollen. Auf dieser Grundlage bemühen wir uns, die Schulkapazitäten auszubauen. Die Kapazitätsaufstockung kostet eine Million bis anderthalb Millionen Kronen (40.000 bis 60.000 Euro, Anm. d. Red.) pro Kind. Die Kosten sind also enorm hoch. Wenn außerdem Gemeinden in Mittelböhmen keine Schulen haben und Eltern von dort ihre Kinder bei uns anmelden, hat dies erhebliche finanzielle Folgen für uns.“
An einigen Grundschulen übersteigt dadurch das Interesse die Zahl der vorhandenen Plätze:
„In manchen Schulen musste darum in der Vergangenheit auch im Rahmen des Einzugsgebiets per Verlosung bestimmt werden, welches Kind aufgenommen wird. Jene Kinder, deren Eltern auf diesen Betrug zurückgriffen, hatten dadurch dieselbe Ausgangsposition wie Kinder, die in der Nachbarschaft der Schule aufgewachsen sind.“
Im sechsten Prager Stadtbezirk wurde vor drei Jahren in Zusammenarbeit mit Juristen eine Methodik ausgearbeitet, wie gegen den Betrug mit dem Wohnsitz vorgegangen werden kann. Bürgermeister Stárek:
„Wenn das Kind den Wohnsitz innerhalb von drei Monaten vor der Einschulung wechselt, verlangen wir nun weitere Belege, dass es dort tatsächlich wohnt. Zudem gibt es einen Trend, dass nur die Kinder den Wohnsitz wechseln. Denn für die Eltern ist es komplizierter, die Adresse im Personalausweis zu ändern und einen Mietvertrag zu finden. Daher überprüfen wir, ob das Kind auch mit den Eltern zusammenwohnt.“
ZUM THEMA
Im vergangenen Jahr reichte ein Bürger beim Prager Magistrat seine Berufung gegen diese Methode ein. Die Stadtverwaltung entschied daraufhin, dass das betreffende Kind eingeschult werden müsse. Der Bürgermeister von Prag 6:
„Dieses Vorgehen wurde zwischen uns und dem Magistrat vereinbart. Es ermöglichte uns, gegen den Magistrat zu klagen und gemeinsam beim Verwaltungsgericht beziehungsweise beim Obersten Verwaltungsgericht ein Grundsatzurteil einzufordern. Es würde uns freuen, wenn das Verwaltungsgericht im laufenden Verfahren zu unseren Gunsten entscheidet. Allerdings haben wir mit dem Magistrat abgemacht, dass er in einem solchen Fall beim Obersten Verwaltungsgericht in Berufung geht, um eine Rechtsprechung zu schaffen.“
Damit ist die Entscheidungspraxis zu einer bestimmten Rechtsfrage gemeint. Dem Kampf des sechsten Prager Stadtbezirks gegen den „Zuzugstourismus“ haben sich inzwischen auch weitere Teile der Metropole angeschlossen.