Von Amateuren und Detektoren – die Kindertage des Rundfunkempfangs
Am 18. Mai 1923, also vor genau 85 Jahren, begannen die regelmäßigen Sendungen des Tschechischen Rundfunks - zunächst noch improvisiert aus einem Sendezelt am Flughafen Kbely. Studios, Mikrophone und Sendemacher sind aber nur die eine Seite des Rundfunks. Auf der andreren Seite steht das Publikum, die Radiogeräte und Empfänger. Wir werfen einen Blick in die Kinder- und Jugendtage des Rundfunkempfangs in der Tschechoslowakei.
Anfang der zwanziger Jahre lag in der ganzen Welt eine Idee in der Luft: Die Technik, die sich bei der drahtlosen Telegraphie bewährt hatte, müsste doch auch dafür verwendbar sein, um Nachrichten, Mitteilungen und sogar auch Musik direkt in jeden Haushalt zu tragen. Ein Gedanke, der sich als so revolutionär erweisen sollte, dass sogar die Gründerväter des Rundfunks selbst die ganze Tragweite des neuen Mediums oftmals erst mit der Zeit erkannten.
Ganz vorne mit dabei war die junge Tschechoslowakei mit ihrer neu gegründeten Rundfunk-Gesellschaft Radiojournal - als vor 85 Jahren der regelmäßige Rundfunkbetrieb aufgenommen wurde, gehörte das Land damit zu den ersten Staaten weltweit. Wer aber war das Publikum? Für wen wurde gesendet? Die breite Öffentlichkeit war zunächst nur ganz schmal, weiß Pavel Boudný vom Historischen Radioklub der Tschechoslowakei:
„Die Radiojournal-Sendungen konnten ganz zu Anfang nur die Mitglieder der Regierung hören. Aber das war nicht am 18. Mai, sondern schon vorher, im März 1923. Das waren Versuchssendungen für die Minister, damit die sich überzeugen konnten, was das für eine Erfindung ist, die sie da genehmigen sollten. Abgesehen davon haben die Funkamateure schon seit Beginn der zwanziger Jahre die Zeitzeichen und anderes abgehört – auch wenn das nicht zum Rundfunk, sondern zur Telegraphie gehört hat.“
Mit dem Beginn der regelmäßigen Sendungen verbreitete sich der Rundfunk in der Tschechoslowakei dann explosionsartig - zunächst allerdings in einer kuriosen Grauzone. Trotz der ministeriellen Sondersendungen zeigte sich der Staat von dem neuen Medium und seiner Dynamik überrumpelt. Ein regulierendes Rundfunkgesetz trat erst im September 1923 in Kraft - und das behandelte den Rundfunk vor allem als Staatsgefährdung, weiß Pavel Boudný:
„Damals gab es noch Grenzstreitigkeiten mit Ungarn, und jeder, der ein Radio zu Hause hatte, hätte potentiell geheime Depeschen empfangen können. Da gab es auf Seiten des Staates wirklich große Befürchtungen. Um eine Rundfunkkonzession für den Besitz eines Radiogerätes und die Erlaubnis zum Empfang von Radiosendungen zu bekommen, musste man sich deshalb vorher einer staatlichen Überprüfung unterziehen. Das war ein endloser Prozess, und die Konzession haben nur wenige bekommen. Letztlich war das absurd, und schon damals gab es viele Beschwerden darüber. Das hat dazu geführt, dass 1925 in der Tschechoslowakei nur 1500 Konzessionen ausgegeben waren – in Österreich waren dagegen bereits 100.000 Rundfunkteilnehmer gemeldet! Hörer aber gab es natürlich auch in der Tschechoslowakei eine riesige Menge, aber die haben eben schwarz gehört. Deshalb hat 1925 Präsident Masaryk auch eine Amnestie verkündet – die Schwarzhörer konnten damals ihr Gerät straffrei anmelden, und das Rundfunkgesetz wurde danach erheblich liberaler.“
Von der Dynamik des eigenen Unternehmens wurde auch die Rundfunkgesellschaft Radiojournal selbst überrollt. Zu Anfang war geplant gewesen, dass die Rundfunkteilnehmer ihr Gerät von dem Unternehmen mieten müssen, ähnlich wie etwa Telefonapparate. Doch schon nach wenigen Monaten musste die Gesellschaft von solchen Monopolträumen Abschied nehmen. In kürzester Zeit entwickelte sich daraufhin in der Tschechoslowakei eine reichhaltige Radioindustrie:
„Ganz zu Anfang waren vor allem Importgeräte aus Frankreich verwendet worden, aber schon im Laufe des Jahres 1923 haben viele tschechische Elektrohersteller auch mit der Produktion von Rundfunkempfängern begonnen. Um 1935 herum gab es in der Tschechoslowakei mindestens 40 Hersteller von Radiogeräten, inklusive der großen internationalen Konzerne. In Přelouč saß Telefunken, in Prag-Hloubětín Philips und in Kolín ´Modrý bod´, also Blaupunkt. Aber mindestens zwanzig Firmen waren in überwiegend tschechoslowakischem Besitz.“Auch die Deregulierung änderte aber zunächst nichts daran, dass Rundfunk ein oft kostspieliger Luxus blieb. Bessere Empfänger stießen leicht in die Preisklasse eines Automobils vor, weiß Pavel Boudný vom Historischen Radioklub der Tschechoslowakei:
„Wenn jemand wirklich ein ordentliches Radio haben wollte, das schon einen Lautsprecher hatte, aus dem auch was zu hören war, dann war das wirklich eine teuere Angelegenheit. Aber einen ganz einfachen Kristalldetektor gab es schon für 50 Kronen. Hörer mit einem solchen Kristallapparat gab es wirklich in unglaublichen Massen, und das waren auch die Begeisterten, die Funkamateure. Es gab damals eine lange Reihe von Zeitschriften, Der Radioamateur, Radio-Welt, Das Arbeiter-Radio und wie sie alle hießen, die alle preiswerte Konstruktionen für Amateur-Empfänger beschrieben haben.“
Eines hatten alle Konstruktionen gemeinsam: Der Empfang war mehr oder weniger ein Abenteuer, eine Tätigkeit, die einiges Know-how erforderte, nicht wenig Geschick und vor allem volle Konzentration:
„Der Anfänge waren verhältnismäßig kompliziert, denn die billigsten Geräte, die Kristallapparate, brauchten eine mindestens 20 Meter lange Drahtantenne, die möglichst hoch aufgehängt sein musste. Dafür hat der Empfänger keinen Strom gebraucht –die Energie aus der Antenne hat ausgereicht. Man musste sich also die Kopfhörer aufsetzen – die Geräte haben nur mit Kopfhörer funktioniert – alles ungefähr auf den gewünschten Sender ausrichten und dann auf dem Kristall die Stelle finden, wo der Empfang am stärksten war.“
Auch die teuren Röhrengeräte waren in den ersten Jahren alles andere als handlich zu bedienen. Je nach gewünschter Station mussten die Spulen gewechselt werden, und weil die Netzspannung noch zu stark schwankte, wurden die Empfänger mit wuchtigen Akkumulatoren betrieben, die ihren Platz meist unter dem Tisch fanden. Kompakte Geräte, wie sie bis zur Ära der HiFi-Türme in jedem Wohnzimmer zu finden waren, kamen auch in der Tschechoslowakei erst im Laufe der dreißiger Jahre auf.
Heute, 85 Jahre nach Aufnahme der regelmäßigen Sendungen, steht der Rundfunk auch in Tschechien vor dem Schritt in das digitale Zeitalter. Rundfunk gehört zum Alltag, begleitet die Menschen durch den Tag. Die Technik ist auf Miniaturformat geschrumpft, Radios passen in Uhren, Schlüsselanhänger, in Mobiltelefone. Pavel Boudný, von Beruf übrigens Rundfunktechniker, und seine Kollegen vom Radioklub meinen dennoch, dass ihre historischen Geräte keineswegs alt geworden sind:
„Auch wenn es Sie vielleicht überrascht: Wir benutzen die Geräte noch. Auch wenn die Empfänger 60 oder 70 Jahre alt sind – wenn sie gut erhalten oder gut restauriert sind, haben sie wirklich eine beachtenswerte Leistung. Und wenn man mal versucht, mit einer modernen HiFi-Anlage auf die Mittelwelle zu gehen und das dann mit einem der alten Geräte vergleicht, dann wird man merken, dass das wirklich bewundernswerte Konstruktionen waren. Das liegt auch daran, dass man sich damals ganz auf die Qualität konzentriert hat, während es heute nur um Funktionen und Effekte geht.“