Vor 70 Jahren: Präsident Beneš wünscht Frieden und ein schönes Jubiläumsjahr 1938

Edvard Beneš

Die Weihnachts- oder Neujahrsreden der Staatsoberhäupter aller Länder sind erst vor kurzem verklungen. Hand aufs Herz, an wie viele der Worte erinnern Sie sich noch? Dabei ist gar nicht so uninteressant, sich mal die eine oder die andere Rede in Erinnerung zu rufen. Jitka Mladkova hat für die nun folgende erste Ausgabe der Sendereihe Heute am Mikrophon im neuen Jahr eine historische Ansprache gewählt, die für die Bürger der Tschechoslowakei an der Schwelle des Jahres 1938 bestimmt war, und lässt diese von einem Gesprächspartner kommentieren.

Edvard Beneš
70 Jahre alt ist die Ansprache, die im Tonarchiv des Tschechischen Rundfunks aufbewahrt wird. Zu Weihnachten 1937 hielt sie der tschechoslowakische Präsident Edvard Beneš. An der Schwelle eines schicksalhaften Jahres also, als sich dunkle Wolken über die damalige Tschechoslowakei und ganz Europa zusammenballten. Man sah dem 20. Gründungsjubiläum der Tschechoslowakischen Republik entgegen, sie hörte aber 1938 de facto auf, für einige Jahre zu existieren. Dies nicht ahnend, gab sich ihr Präsident noch optimistisch in seiner Weihnachtsansprache:

„Auch heuer trete ich mit einer Friedensbotschaft vor Sie hin. Ich wiederhole, was ich bereits mehrmals gesagt habe: Das gefährlichste Nachkriegsjahr war das Jahr 1936. In diesem Jahr wichen die europäischen Staaten unter dem Einfluss der Entwicklung der Machtverhältnisse - freiwillig oder unfreiwillig - von der bisherigen Politik ab, die ihren Ausdruck im Gleichgewichte des Völkerbundes gefunden hatte, und gingen offenkundig zu einer Periode abermaliger direkter Rivalität und direkten Messens der Kräfte untereinander über.“

Das Jahr 1937 brachte laut Beneš wieder einen Ausgleich der Kräfte zwischen den weltpolitischen Machtlagern. Und so formulierte er seine Prognose für 1938:

„Das Jahr 1938 sollte und wird auch voraussichtlich ein Jahr der Verhandlungen, des Diskutierens, der Suche nach einem Einvernehmen und schließlich auch des Abschlusses wenigstens teilweiser und vorläufiger Vereinbarungen sein, welche sodann zu definitiveren, den Frieden wenigstens in Europa tatsächlich sichernden Abkommen führen werden.“

Positiv klingt Edvard Benešs Bilanz der Wirtschaftsentwicklung des Landes im Jahr 1937. Wichtig für ihn ist allerdings noch ein anderes Thema:

„Als grundlegend für die Entwicklung unserer inneren Verhältnisse halte ich das, was in diesem Jahre für das gemeinsame Verständnis zwischen unseren Minderheiten-Nationalitäten und der tschechoslowakischen Mehrheit geleistet wurde.“

Hierzu ein konkreter Hinweis des Präsidenten:

„Ein wichtiger innenpolitischer Faktor in der Entwicklung unseres Staates ist der Regierungsbeschluss über die Minderheitenfragen vom 18. Feber 1937, der nur alles das zur Durchführung bringt, was in diesen Dingen schon in unserer Verfassung vorgeschrieben ist, und das ergänzt, was hier schon unsere Regierungen seit dem Jahre 1919 getan haben.“


Soweit einige Ausschnitte aus der Weihnachtsrede des tschechoslowakischen Präsidenten Edvard Beneš im Jahr 1937. Am Mikrophon ist jetzt Josef Škrábek. Im Jahr 1938 war er erst zehn Jahre alt, doch als Sohn einer deutschen Mutter und eines tschechischen Vaters kann er sich an das Geschehen der folgenden Jahre gut erinnern. Davon zeugt schließlich auch sein Buch „Včerejší strach - Gestrige Angst“, in dem er die Erinnerungen an seine Kindheit und Jugend im deutsch-tschechischen Milieu der 30er und 40er Jahre historischen Quellen und politologischen Überlegungen gegenübergestellt hat.

Josef Škrábek
Nun, wo sehen Sie den Schwerpunkt von Edvard Beness Rede von 1937?

„Es steht fest, dass die Rede für die deutsche Minderheit in der Tschechoslowakei bestimmt war. Sie war aber auch ans Ausland adressiert, um darauf aufmerksam zu machen, Benes wendet sich direkt an die deutschen Mitbürger. Mit einer Art Botschaft, dass der Präsident und die Regierung um eine Zusammenarbeit mit der Minderheit bemüht seien.“

Worin sehen Sie die Mission, die Präsident Beneš seinen Mitbürgern in der Weihnachtsansprache vermitteln wollte?

„Die Hauptaussage war, dass Beneš davon überzeugt war, dass es möglich sein würde, im nachfolgenden Jahr 1938 internationale Abkommen abzuschließen. Wörtlich heißt es bei ihm, ´sich vorläufig auf die Bedingungen der Koexistenz zu verständigen´. Und außerdem unterstreicht Benes, dass die Regierung im Februar 1937 einen bedeutenden Beschluss fasste, der der deutschen Minderheit die Gewährleistung erweiterter Kompetenzen zusagte.“

Und wie sind Ihrer Meinung nach Benešs Bemühungen, die tschechisch-deutsche Koexistenz zu harmonisieren, ausgegangen?

„Mit Abstand der Zeit sagt man, dass er mit seinen Ideen zu spät kam. Wäre es 1929 oder 1926 gewesen, wären auch die Chancen auf ein besseres tschechisch-deutsches Zusammenleben größer gewesen. Damals aber herrschte schon eine äußerst zugespitzte Situation in Europa. Außerdem waren die Wirtschaftserfolge Deutschlands wie auch der Erfolg des Hitler-Regimes für die meisten Angehörigen der deutschen Minderheit in der damaligen Tschechoslowakei so betäubend, dass sie kaum noch auf die Verlockungen des Nationalsozialismus verzichten konnten.“

Edvard Beneš
Gibt es etwas, was Sie an Benešs Rede als interessant bezeichnen würden?

„Was gleich ins Auge sticht, ist seine sehr schöne, gleichmäßige und gut lesbare Schrift. Zusätzlich hat er nämlich mit eigener Hand dem Text hinzugefügt, dass die Maßnahmen von 1937 nur das erfüllen, was die Republik schon von Anfang an erfüllt hat. Damit kann sich aber die deutsche Minderheit nicht identifizieren, denn am Anfang war die Staatsmacht nicht so entgegenkommend wie es 1937 der Fall war. Es ist allerdings interessant zu hören, wie Beneš deutsch spricht. Es ist eine Kombination von Sudetendeutsch und Hochdeutsch. Statt heuer sagt er ´haier´, statt neun ´nain´ und Ähnliches mehr. Das ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass Beneš aus Kožlany stammte und nicht weit von dort deutschsprachige Dörfer lagen. Es kann sein, dass er schon als Kind etwas Deutsch gelernt hatte. Und so hört man in seiner staatsmännischen Ansprache auch etwas Sudetendeutsch.“

Wie hört sich also heute insgesamt die Weihnachtsansprache des tschechoslowakischen Präsidenten an – nach 70 Jahren?

„Mit Abstand der langen Zeit nehme ich heute wahr, wie krampfhaft optimistisch Beneš damals war. Ähnlich präsentierte er sich auch nach 1945 oder eigentlich schon 1943, als er davon ausging, dass sich der Kommunismus kultivieren und die Sowjetunion demokratisch werden könnten.“

Seine Weihnachtsrede von 1937 schloss Präsident Edvard Beneš mit folgenden Worten ab:

„Auch Ihnen wünsche ich heute, dass das kommende Jahr für sie besser und friedlicher sei. Euch allen, allen Menschen, die guten Willens sind, wünsche ich Ruhe und Frieden und unserem Staate ein schönes Jubiläumsjahr!“