Gegen das Elend anspielen - internationales Obdachlosentheaterfestival in Prag

Sie heißen "Igel und Zeisig", "Oktagon" oder "Ratten". Sie spielen Theater. Und die Schauspieler haben meist kein Dach über dem Kopf. Aber sie treffen sich einmal im Jahr in Prag zu einem gemeinsamen Festival, dem internationalen Obdachlosen-Theaterfestival "Hic sunt leones" oder auf Deutsch "Hier sind die Löwen". Aus vier Ländern kamen diesmal die Ensembles, die am Sonntag im Prager Alternativ-Club Roxy auftraten.

Auf Deutsch wie von dem Berliner Ensemble "Die Ratten", auf Ungarisch, auf Slowakisch wurde gespielt - und selbstverständlich auch auf Tschechisch. Denn das Obdachlosentheater "Jezek a cizek", auf Deutsch "Igel und Zeisig", mit Sitz im Prager Stadtteil Zizkov ist Gastgeber des Festivals. Es steuerte dieses Jahr eine Bearbeitung von Jaroslav Haseks Tiergeschichte "Die Affäre mit dem Hamster" bei. Dabei hatte man kurzfristig mit einem Problem zu kämpfen, das häufiger auftritt: Eine der Hauptrollen musste umbesetzt werden, weil der Schauspieler vor rund zwei Wochen spurlos verschwand.

Die hohe Fluktuation in den Ensembles ist eine der Schwierigkeiten, mit denen so gut wie jedes Obdachlosentheater konfrontiert ist. Ansonsten gibt es aber deutliche Unterschiede, erläutert der Regisseur von "Jezek a cizek", Petr Sourek:

"In jedem Land wird gemäß den nationalen Bedingungen gearbeitet, zum Beispiel den finanziellen. Gerade hier besteht ein großer Unterschied zwischen uns und Deutschland. Anders sind aber auch die kulturellen Bedingungen. Das Ensemble die Ratten aus Berlin arbeitet mit der Volksbühne Berlin zusammen. Wir haben hingegen nicht die Möglichkeit, uns an ein professionelles Theater anzulehnen. Und daraus ergeben sich dann auch Unterschiede für die Regie."

Gerade die Berliner Obdachlosenbühne "Die Ratten" hat aber auch bereits den längsten Weg hinter sich. Sie wurde, anders "Jezek a cizek", aber auch das slowakische "Divadlo bez domova" und das ungarische Ensemble "AHA Szinpad", bereits Anfang der 90er Jahre gegründet. In Prag präsentierten "Die Ratten" einen Bühnenklassiker - "Nachtasyl" von Maxim Gorki. Der Grund liegt auf der Hand: In diesem Stück sind die Außenseiter der Gesellschaft die Hauptpersonen, und gespielt von Menschen, die diese Rolle aus ihrem eigenen Leben kennen, wird es noch realistischer.

Mittlerweile hat das Ensemble in erster Linie einen künstlerischen Anspruch. Das schließt aber weitere positive Ergebnisse auf dem sozialen Feld nicht aus. Dazu Gunter Seidler, der Regisseur des aktuellen Stücks und Vorsitzender des Vereins "Die Ratten":

"Randgruppen, homeless, Obdachlose machen Kunst. Effekte wie eben nicht mehr obdachlos zu sein, nehmen wir aber mit. Denn wie will man, wenn man jeden Tag wie am professionellen Theater sechs bis acht Stunden probt, das sonst durchhalten. Man muss den Text lernen, muss zu den Proben fit sein und den Alkoholkonsum runterschrauben. Einige sind seit Jahren clean und trinken keinen Schluck mehr. Sie haben das aber selbst entschieden, haben gesagt: Ich krieg das sonst nicht auf die Reihe. Und sie haben für sich einen neuen Weg gefunden."

Autor: Till Janzer
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