Aus Böhmens Hain und Flur: die tschechischen Wälder

Der Wald, ein mythischer Ort, auch in Tschechien. Vom Legenden durchwobenen Böhmerwald, der im Tschechischen den geheimnisvollen Namen "Sumava" (der Rauschende) trägt, bis hin zu den schroffen Wäldern des Riesengebirges, in denen Rübezahl seine Herrschaft führt: Die undurchdringliche Einsamkeit und die stille Größe des Waldes haben seit jeher die Vorstellungen der Menschen beeinflusst. Der Wald, das war für die Tschechen jahrzehntelang nicht zuletzt auch ein sonntäglicher Rückzugsort vor der Drangsalierung des Regimes. Der Raubbau an der Umwelt hat aber auch den tschechischen Wäldern stark zugesetzt. Über Zustand und Perspektiven der böhmischen Forste berichtet Thomas Kirschner in der folgenden Ausgabe von Forum Gesellschaft.

Herrliche Ausblicke ins weite Umland hat man von dem Kammweg der ostböhmischen Orlicke hory, des Adlergebirges. Dem Kenner wird das Panorama dennoch ins Herz schneiden, denn die heute kahlen Gipfel waren noch vor wenigen Jahrzehnten von dichtem Wald bedeckt. Die hohe Schadstoffbelastung aus Braunkohlenkraftwerken und Schwerindustrie hat den Bäumen den Garaus gemacht, ähnlich wie im tschechischen Erzgebirge, dessen bizarr in den Himmel ragende Baumleichen bis heute Symbol der ökologischen Misswirtschaft des kommunistischen Regimes in Tschechien sind. Die Behebung der schlimmsten Umweltschäden ist denn auch eine der Prioritäten der tschechischen Umweltpolitik seit der Wende. In den Wäldern werden inzwischen die ersten Erfolge sichtbar, erläutert der Generaldirektor der Tschechischen Staatsforste Frantisek Konicek:

"Der Zustand der tschechischen Wälder verbessert sich schrittweise. Es gibt keine Revolutionen von einem Tag auf den anderen, das ist ein sehr langfristiger Prozess, denn auch die Wälder wachsen ja in hunderten von Jahren. Veränderungen muss man in Jahrzehnten messen, aber für die Zukunft bin ich sehr optimistisch."

Konicek ist Chef über den Großteil der tschechischen Wälder, von denen immerhin zwei Drittel in Staatsbesitz sind. Die 1992 gegründete Forstverwaltung hat die Regie über 1,3 Millionen Hektar Wald und fast 20.000 Kilometer Wasserläufe. Jährlich werden sieben Millionen Kubikmeter Holz erwirtschaftet - auf dem Papier ist das immer noch die Hauptaufgabe der Forstverwaltung. Kritischer Partner ist die ebenfalls staatliche Agentur für Landschafts- und Umweltschutz. Deren Direktor Frantisek Pelc ist mit der Lage der tschechischen Wälder keineswegs zufrieden, bestätigt aber immerhin eine positive Tendenz:

"Der Zustand der tschechischen Wälder ist nach meiner Ansicht und nach den Werten, die wir beobachten nicht ganz in Ordnung, aber im Vergleich zu den Jahren vor 1989 ist doch eine Besserung festzustellen - zum einen, weil die Schadstoffbelastung vor allem in den stark betroffenen Bergregionen zurückgegangen ist, wo fast die Hälfte der Wälder abgestorben ist, zum anderen weil die Forstwirtschaftler eingesehen haben, dass man einen Wald nicht nur als Holzfabrik sehen kann. Vor allem in der staatlichen Forstwirtschaft wird inzwischen der Anteil an naturbelassenen Wäldern erhöht."

So grün sich die Wipfel auch wiegen mögen - mit Natur haben die meisten Wälder in Tschechien bislang nur wenig zu tun. Viele Bestände sind regelrechte Baumplantagen, die sich eher mit einem Maisfeld als mit einem wirklichen Wald vergleichen lassen. Ökologen kritisieren vor allem die falsche und einseitige Artenzusammensetzung, die in erster Linie wirtschaftlichen Gesichtspunkten folgt: Rund drei Viertel des Waldbestandes machen die schnell wachsenden Fichten und Kiefern aus, häufig in Monokulturen. Dabei ist die Fichte eigentlich kein typischer Baum für Tschechien, erklärt Direktor Pelc von der Agentur für Landschafts- und Umweltschutz:

"Bei einer natürlichen Artenverteilung wären die Verhältnisse genau umgekehrt. Wenn es hier keine Eingriffe in den Wald gegeben hätte, dann hätten wir hier rund drei Viertel Laubbäume, der Rest wären Tannen und nur etwa zehn Prozent Fichten und etwa drei oder vier Prozent Kiefern."

Und das ist nicht nur eine Frage des Erscheinungsbildes: Zwar ist mit den langsam wachsenden Laubbäumen weniger Geld zu verdienen, die Fichten-Monokulturen sind jedoch anfällig gegenüber Umwelteinflüssen, sie bieten Lebensraum nur für wenige Arten, sodass sich kein stabiles ökologisches Gleichgewicht aufbauen kann, und nicht zuletzt erschöpfen sie mit der Zeit den Boden und entziehen sich damit selbst die Lebensgrundlage. Das ist nicht nur fatal für die Holzproduktion, sondern für das gesamte Ökosystem: Funktionierende Wälder sind wichtige Regulatoren des Wasserkreislaufs. Neben der Senkung des Schadstoffausstoßes ist der Schutz der Wälder daher das wichtigste, was man unmittelbar in Tschechien zur Vorbeugung einer Klimakatastrophe tun kann, meint Frantisek Pelc:

"Vereinfachungen vom Schlage: ´Wenn´s etwas wärmer wird, dann züchten wir eben Bananen im Riesengebirge´, die sind primitiv und dumm! Man muss ganz klar sagen, dass das ganze Klima kippen kann, und dann werden wir noch weit radikalere Schwankungen als bisher zwischen extremer Trockenheit einerseits und Überschwemmungen andererseits haben. Wir müssen jetzt also landschaftliche Strukturen schaffen, die in der Lage sind, die negativen Folgen des Klimawandels einigermaßen aufzufangen, und naturbelassene Wälder sind dabei die besten Ökostabilisatoren. Klar ist: wir brauchen in dieser Zeit der unvorhersehbaren Änderungen Wälder mit einer größeren natürlichen Artenvielfalt, mit einer größeren Vielfalt an Lebensprozessen. Die Idee, den Wald nicht nur abzusägen, sondern als nachhaltigen Holzlieferanten zu bewirtschaften, die Maria Theresia hier eingeführt hat, war gut für Ihre Zeit, aber heute stehen wir vor ganz anderen grundlegenden Problemen, auf die wir ganz anders reagieren müssen - im Allgemeinen genau wer in der Forstwirtschaft."

Der ökologische Aspekt gewinnt auch in der Staatlichen Forstverwaltung immer mehr an Bedeutung, wenn auch zu langsam, wie Pelc kritisiert. In Zusammenarbeit mit der Agentur für Umwelt- und Landschaftsschutz haben die Staatsforste aber inzwischen drei besonders wertvolle Waldbestände zu unbewirtschafteten Zonen erklärt. Der Wald soll hier seiner natürlichen Entwicklung überlassen werden und sich wieder zu dem entwickeln können, was er vor Jahrhunderten bereits war: zu einem echten Urwald voller Leben und Artenreichtum. Zuletzt wurde im Juni ein Schutzvertrag über die fast zweihundertjährigen Wälder rund um das mittelböhmische Kokorin abgeschlossen. Weitere Gebiete sollen folgen, bestätigt Frantisek Konicek, Chef der tschechischen Staatsforste:

"Wir suchen natürlich neben unseren ökonomischen Aktivitäten in unseren Wäldern auch Möglichkeiten, die Natur zu schützen. Die Wälder der Natur zu überlassen ist dabei ein möglicher Wege. Die Entscheidung dazu basiert auf einer gründlichen Analyse der Wälder. Wo wir besonders wertvolle Lokalitäten feststellen, da sind wir bereit, in diese Zusammenarbeit einzutreten und solche Abkommen abzuschließen. Das ist gut für die Wälder, und das ist gut für die Menschen und die Gesellschaft."

Der Wald und die freie Natur haben für die Tschechen traditionell eine besondere Bedeutung. Nicht umsonst sind Pilze suchen und Angeln die Nationalhobbys, und immer noch trifft man an den Wochenenden auf ganze Kolonnen von Anhängern der Trampbewegung, die am Wochenende den kurzen Ausstieg aus dem Alltagsleben suchen und mit Gitarre, Zeltbahn und Dosenravioli für drei Tage in den Wäldern verschwinden. Auch wenn das Konsumangebot seit der Wende explodiert ist - zu ihrer Natur haben es die Tschechen immer noch nahe, meint jedenfalls Frantisek Pelc:

"Die große Mehrheit der Tschechen, und das belegen auch die Umfragen, legen großen Wert auf eine gesunde Umwelt und eine lebendige Natur. Wenn man in Mitteleuropa Vergleiche zieht, dann sind hier gerade die Tschechen bereit, mit am meisten für die Umwelt zu tun, oder wenigstens gehören sie zur Spitzengruppe. Es ist nicht so, dass für die Tschechen gilt: Je voller der Einkaufskorb, desto besser die Lebensbedingungen."

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