Nicht nur Versöhnungs-Geste: Tschechien dokumentiert sudetendeutschen Widerstand
Es war eine der letzen Aktionen des Premiers in dieser Legislaturperiode: Kurz vor den Wahlen gab Jiri Paroubek in der vergangenen Woche den Startschuss zu einem Forschungs- und Dokumentationsprojekt, mit dem der antifaschistische Widerstand von Seiten der tschechoslowakischen Deutschen aufgearbeitet werden soll. Thomas Kirschner hat für die folgende Ausgabe von Forum Gesellschaft nachgeschaut, was dahinter steht.
"Es handelt sich um Menschen, die auch unter den Bedingungen wie sie im Protektorat herrschten, dem tschechoslowakischen Staat und der Demokratie treu geblieben sind und unter dem Nazi-Terror gelitten oder sich gar direkt dem Widerstand angeschlossen haben. Es ist eine traurige, aber bestätigte Tatsache, dass gegen einige von ihnen nach Ende des Krieges im Widerspruch zur geltenden Rechtslage die Maßnahmen gegen die so genannte feindliche Bevölkerung angewandt wurden."
Juristisch wurde zwar bereits damals zwischen den Anhängern der Nationalsozialisten und ihren Gegnern unterschieden, in der Realität der ersten Nachkriegszeit kam das aber nicht immer zum Tragen. Und auch viele von den tschechoslowakischen Deutschen, die wegen ihrer Widerstandstätigkeit von den Vertreibungen ausgenommen waren, entschlossen sich angesichts der deutschfeindlichen Atmosphäre freiwillig zum Gehen. Ihre Schicksale sollen nun systematisch aufgezeichnet und dokumentiert werden - ein Schritt zu einer historischen Wiedergutmachung, so Premierminister Paroubek:
"Aufgabe des Projektes ist die Dokumentation eines bislang nur wenig beleuchteten Kapitels unserer modernen Geschichte. Wir wollen, dass damit zugleich die moralische Rehabilitierung Tausender bereits verstorbener und Hunderter oder doch wenigstens Dutzender noch lebender Angehöriger der nationalen Minderheiten der damaligen Tschechoslowakei einhergeht, die auch in den schweren Zeiten der Nazi-Okkupation der Republik die Treue gehalten haben und mit ihrer Beteiligung am Widerstand zur Erneuerung der Republik beigetragen haben. Vielen wurde das schlecht vergolten - mit unterschiedlichen Arten der Verfolgung, aber auch mit Undank von Seiten der früheren Generationen und teils auch von uns selbst. Die Aufzeichnung der Schicksale der Betroffenen sehe ich daher als eine wenigstens symbolische Abtragung unserer Schuld gegen sie an."Angestoßen wurde die Versöhnungsgeste und das Dokumentationsprojekt von Tomas Kosta, Jahrgang 1925, zurzeit Berater des Premiers für die deutschsprachigen Länder. Der ehemalige Auschwitz-Häftling ging nach 1968 ins Exil - zuerst in die Schweiz, dann nach Deutschland. Heute setzt er sich für die tschechisch-deutsche Verständigung ein:
"Man darf nicht vergessen, aber man muss verzeihen und in die Zukunft sehen. Aber ohne die Bewältigung der Vergangenheit hat eine Nation keine Zukunft. Das hat sich in Deutschland gezeigt, und das hat sich hier in Tschechien gezeigt. Zu glauben, man kann das unter den Teppich kehren, ist ein großer Irrtum."
Die ersten Initiativen zu der Versöhnungsgeste reichen bereits mehrere Jahre zurück. Bereits unter der Regierung von Vladimir Spidla hatte sich Kosta für eine Würdigung der sudetendeutschen Demokraten eingesetzt - mit positivem Widerhall, aber letztlich ohne konkrete Folgen:
"In der ersten Phase war die Idee wohl auch in der sozialdemokratischen Partei noch nicht reif. In der zweiten Phase war dann die negative Haltung des Präsidenten und der anderen Parteien so stark, dass man es nicht gemacht hat - und schließlich hatte Premierminister Paroubek den Mut und hat sich auch mit der Sache befasst und festgestellt, dass die Regierung das alleine machen kann, ohne weitere Unterstützung. Und ich glaube die Zeit war wirklich reif."Das Forschungs- und Dokumentationsprojekt zum deutschen Widerstand in der Tschechoslowakei ist auf drei Jahre angelegt; die Regierung hat dafür 30 Millionen Kronen bereitgestellt, also etwa eine Million Euro. Tomas Kosta sieht drei Ebenen als wesentlich an:
Eine ist die wissenschaftliche Ebene, auf der die Dokumente erarbeitet und zusammengestellt werden müssen. Auf der zweiten Ebene geht es darum, die Betroffenen zu finden, so weit sie heute noch leben, und die dritte Ebene ist es, daraus dann eine Ausstellung und ein Dokumentationszentrum in Usti nad Labem / Aussig zu machen, wo sich die Leute treffen können, wo sie die Geschichte auch ihrer Familie wieder finden können und wo auch Diskussionen veranstaltet werden können. Das sind die drei Ebenen.
Koordiniert und durchgeführt wird die Arbeit am Institut für Zeitgeschichte an der Akademie der Wissenschaften. Dessen Direktor ist der Historiker Oldrich Tuma:
"Wir gehen davon aus - aber das ist nur eine Schätzung -, dass das Projekt noch etwa einhundert Personen betreffen wird. Die Lebensgeschichten einiger von ihnen möchten wir auf Video dokumentieren. Das ist eine einzigartige, und mit Blick auf die zeitliche Entfernung vielfach auch die letzte Möglichkeit, persönliche Zeugschaften und Erinnerungen aus dieser Gruppe der Antifaschisten und ihrer Familien zu sammeln."
Das bestätigt auch der aus Cheb / Eger stammende Lorenz Knorr. In einer sozialdemokratischen Widerstandsgruppe hatte er sich in seiner Jugend in Eger aktiv an Sabotageakten gegen die deutschen Besatzer beteiligt."Bitte, ich bin fast 85 Jahre jung! Ich bin unter unseren Antifaschisten der jüngste. Also, es ist allerhöchste Zeit, dass dieses Projekt gegründet wurde, denn noch haben wir einige Zeitzeugen, die zur Verfügung stehen können und die berichten können über das, was in den deutsch besiedelten Gebieten vor 1938 passiert ist und wie es nach 1938 weiter ging."
Der heute in Frankfurt lebende Knorr war gemeinsam mit anderen Zeitzeugen ebenfalls zur Eröffnung des Dokumentationsprojektes eingeladen worden - es war das erste Mal, dass ein tschechischer Regierungschef offiziell Widerstandskämpfer aus den Reihen der tschechoslowakischen Deutschen empfangen hat - für Lorenz Knorr ein bedeutendes Symbol:
"Ich denke, das ist eine sehr gute Initiative - das baut Brücken der Verständigung, die wir in dieser Art bislang nicht gehabt haben. Ich denke auch, dass das sehr wichtig ist für ein reales Geschichtsbild."
Und das auf beiden Seiten der Grenze, so meint Knorr. Denn nach dem Krieg hätten die demokratischen Deutschen aus der Tschechoslowakei auch in Deutschland eine wichtige Rolle erfüllt:
"Wir hatten eine große Zahl von Menschen, die in der Tschechoslowakei aufgewachsen sind und hier Demokratie nicht nur kennen gelernt, sondern auch gelebt haben, und die dann versucht haben, in Bayern den jungen Menschen beizubringen, was man brauchte gegen den Faschismus und um ein Staatsbürger zu werden, der in einer Demokratie wirklich arbeiten kann."
Bei all dem dürfe man aber zuletzt nicht übersehen, dass die Erforschung des Widerstandes unter den tschechoslowakischen Deutschen auch ganz unmittelbar ein Beitrag zur tschechischen Geschichtsschreibung ist, betont Oldrich Tuma vom Institut für Zeitgeschichte:
"Ich möchte darauf aufmerksam machen, dass es nicht nur um die Geschichte der deutschen Widerstandskämpfer, sondern auch und überwiegend um unsere tschechische Geschichte geht. Das Zusammenleben mit den Deutschböhmen und Deutschmährern ist ein bedeutender Bestandteil der tschechischen Geschichte. Ohne diesen Teil ist das Verständnis unserer eigenen Geschichte unvollständig und letztlich unmöglich."