Die Rolle der Meinungsforschung im tschechischen Wahlkampf

Wahlumfragen sind genauso unzertrennlich mit dem Wahlkampf verbunden, wie die Programme der kandidierenden Parteien, oder die strahlenden Gesichter ihrer Spitzenkandidaten auf den Wahlplakaten. Wie stark beeinflussen aber die Umfragen tatsächlich das Verhalten der tschechischen Wähler? Versuchen die Parteien selber durch eigene Umfragen für positive Stimmung zu sorgen?

Schon seit vielen Jahren spielen auch in Tschechien gerade vor Wahlen diverse Wählerumfragen eine immer wichtigere Rolle. Die Umfrageergebnisse gelten als Messlatte nicht nur für die Politiker im Wahlkampf und deren Parteien, sondern in verstärktem Maße auch als Orientierungshilfe für die Wähler.

Wie trügerisch aber diese Umfragen manchmal sein können, zeigte sich nicht zuletzt in der vergangenen Woche. Die konservative christdemokratische Volkspartei (KDU-CSL) hatte seit der Wende nie ernsthafte Schwierigkeiten die Fünf-Prozent-Hürde zu meistern und war damit bisher eine sichere Größe in der politischen Landschaft Tschechischen.

Dann kam aber die Überraschung in der Form von Umfrageergebnissen zweier Agenturen: Während die eine die Christdemokraten mit 4,9 Prozent knapp an der Sperrklausel scheitern ließ, sah eine andere die Volkspartei lediglich bei 4 Prozent, was also für die Parte ein klares Aus bedeuten würde.

Kurz darauf veröffentlichte jedoch ein anderes Institut die Ergebnisse seiner Wahlumfrage, wo den Christdemokraten knapp zehn Prozent der Stimmen vorausgesagt wurden.

Wie sind diese Differenzen zu erklären? Etwa mit der unterschiedlichen Methodik, die von den einzelnen Instituten bei der Errechnung der Ergebnisse angewandt wird? Darüber unterhielten wir uns mit dem Wahlforscher Jan Cervenka vom Meinungsforschungsinstitut CVVM:

"Da geht es um mehrere verschiedene Sachen. An erster Stelle solle erwähnt werden, dass es unterschiedliche Arten und auch Ergebnisse von Meinungsumfragen gibt. Unsere Agentur veröffentlicht Zahlen über die Unterstützung für die jeweiligen Parteien. Mit anderen Worten aus der gesamten Zahl der Befragten wird die Präferenz für die jeweiligen Parteien ermittelt. Mit eingeschlossen sind aber auch diejenigen, die sagen, dass sie nicht wissen, für wen sie stimmen würden. Unberücksichtigt bleibt dabei auch die Wahlbeteiligung. Es geht also nicht um eine Prognose, die den Ausgang der Wahlen voraussagen würde. Was die unterschiedlichen Ergebnisse der jetzt veröffentlichten Umfragen in Bezug auf das mögliche Abschneiden der Christdemokraten geht, muss man bedenken, dass diese Umfragen bei etwa 1000 Befragten durchgeführt werden und dass die Fehlerquote bei der Auswahl bei plus oder minus drei Prozent liegt. Das kann bei einer Partei, die in der Regel irgendwo bei sechs oder sieben Prozent liegt gleich bedeuten, dass sie unter die Fünf-Prozent-Hürde fallen kann. Das ist also durch statistische Fehlerquote gegeben."

Jan Cervenka hat bereits die statistisch bedingte Fehlerquote angesprochen. Wie ist es aber generell um die Möglichkeit bestellt die tschechische Gesellschaft fast 17 Jahre nach der Wende zu erforschen? Sind die gesellschaftlichen Strukturen, die in den neunziger Jahren völlig neu entstanden sind, bereits derart gefestigt, dass sich zum Beispiel sagen lässt, welche gesellschaftliche Gruppen welchen Parteien den Vorzug geben, oder ist die Gesellschaft noch in Bewegung? Dazu meint der Wahlforscher Jan Cervenka:

"Die Wahlentscheidung ist immer eine stark individuelle Angelegenheit. Die Gesellschaft als Ganzes ist immer in einer gewissen Weise in Bewegung. In den vergangenen 16 Jahren sind aber natürlich bestimmte Veränderungen im sozioökonomischen Status eingetreten. Das führte zu einer Differenzierung, die sich in den Eigentumsverhältnissen niedergeschlagen hat und bei einem gewissen Teil der Gesellschaft spielt dieser Aspekt bei der Wahlentscheidung eine große Rolle. Unternehmer, Gewerbetreibende, führende Angestellte, oder hoch qualifizierte Arbeitskräfte bevorzugen stark überproportional die Demokratische Bürgerpartei, bzw. eine der kleineren liberalen Gruppierungen und identifizieren sich fast hundertprozentig mit der Entwicklung nach 1989. Arbeitslose, oder schlechter bezahlte Arbeitskräfte neigen wieder stärker dazu den Wahlen fern zu bleiben, oder geben ihre Stimme den Kommunisten."

In Westeuropa ist es relativ üblich, dass nicht nur Medien, sondern auch politische Parteien bei den Meinungsforschungsinstituten eigene Umfragen in Auftrag geben, und zwar nicht nur vor Wahlen. Auf diese Weise versuchen die Parteien oft kontinuierlich die Stimmung in der Öffentlichkeit zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Bedienen sich auch die tschechischen Parteien dieses Mittels, bzw. wie stark lassen sich die Tschechen generell von den Ergebnissen von Meinungsumfragen beeinflussen?

"Wir nehmen auf gar keinen Fall Aufträge von politischen Parteien entgegen - das lehnen wir prinzipiell ab. Bei privaten Agenturen kann ich das nicht ausschließen - ich denke, dass einige für so etwas zu haben wären. Ich würde aber sagen, dass die meisten tschechischen Meinungsforschungsinstitute so etwas nicht tun würden, denn natürlich wäre das problematisch, weil die Objektivität nicht nur diesen einen, sondern auch aller anderen Umfrage dann in Frage gestellt werden könnten. Was den Einfluss von Umfragen auf das Wahlverhalten der Wähler angeht, muss man immer auch das geltenden Wahlrecht berücksichtigen. In Tschechien wird nach dem Verhältniswahlrecht gewählt und es besteht eine Fünf-Prozent-Klausel. Wenn also bei einer Partei die Gefahr besteht, dass sie nicht den Sprung über diese Hürde schaffen würde, könnten deren Sympathisanten aus Angst, ihre Stimme würde unter den Tisch fallen, eine andere Partei zu wählen. In diesem Sinne können die im Vorfeld einer Wahl veröffentlichten Umfragen eine große Rolle spielen. Es ist natürlich fraglich, ob das gut oder schlecht ist, ob damit nicht das Recht des Bürgers seine Entscheidung selbst treffen zu können beeinträchtigt wird."

Was gibt letzten Endes den Ausschlag bei der Entscheidung der Wähler? Sind das momentane Stimmungen, oder Überlegungen taktischer Natur, oder längerfristige Überlegungen, oder Präferenzen der Wähler? Hören Sie dazu abschließend noch einmal den Wahlforscher Jan Cervenka vom Meinungsforschungsinstitut CVVM:

"Das ist meiner Meinung nach wieder eine sehr individuelle Angelegenheit. Eine Reihe von Wählern stellt längerfristige Überlegungen an, bzw. wählt traditionell eine bestimmte Partei. Deren Entscheidung lautet dann nicht, ob die favorisierte Partei gewählt wird, sondern ob sie überhaupt wählen gehen. Dann gibt es natürlich eine relativ beträchtliche Gruppe von Wählern, die sich kurz vor dem Wahltag entscheiden. Hierbei können dann aktuelle Ereignisse eine Rolle spielen. Und nicht zu vergessen gibt es noch eine weitere Gruppe - die so genannten Negativ-Wähler. Diese Wähler vergeben ihre Stimme einer Partei, damit sie andere schwächen. Auf der Welle einer gewissen Unzufriedenheit mit den etablierten Parteien schwimmen jetzt zum Beispiel die Grünen. Ich würde sagen, dass aus längerfristiger Sicht eine Mehrheit der Wähler bereits lange vor den Wahlen weiß, wen sie wählen wird."