Ein Vierteljahrhundert für die Gesundheit: Vorzeigeprojekt Nord-Karelien
Wir starten heute im hohen Norden unseres Kontinents, und zwar in Finnland. Dort wurde in den fünfziger und sechziger Jahren ein rascher Anstieg von kardiovaskulären Krankheiten beobachtet. Besonders hohe Sterberaten durch diese Krankheitsgruppe verzeichnete die Provinz Nord-Karelien. Untersuchungsergebnisse zeigten, dass viele Risikofaktoren mit bestimmten Verhaltensweisen der Nordkarelier zusammenhingen, die tief in ihrer Lebensweise verwurzelt waren - Stichwort Ernährung und Tabakkonsum. 1972 wurde deshalb ein umfassendes Präventionsprogramm in Nord-Karelien gestartet, um die Sterblichkeitsrate durch eine Veränderung des Lebensstils abzusenken. Die Ergebnisse nach 25 Jahren Projektarbeit überraschten selbst Experten. Heute werden wichtige Erfahrungen des Projekts in Finnland angewendet und sind auch international gefragt. Stefan Tschirpke berichtet.
Rückblick. Die 60er Jahre. Nord-Karelien, eine dünn besiedelte Provinz, viel Wald und Landwirtschaft. In dieser Zeit hielt Nord-Karelien einen traurigen Rekord. Die Provinz war international die Region mit den höchsten Sterblichkeitsraten durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
"In fast jeder Familie gab es Herzinfarkte oder Gehirnlähmungen. Risiken wie hohe Cholesterinspiegel, überhöhter Blutdruck und Tabakkonsum waren verbreitet. Die Lebenserwartung der Männer lag weit unter dem Landesdurchschnitt. Die Bevölkerung war beunruhigt. Es wurde gefordert, etwas zu unternehmen", erinnert sich Professor Pekka Puska, Direktor des nationalen Instituts für Volksgesundheit.
Die erste Reaktion des Gesundheitswesens war, das Krankenhausnetz und die kurativen Leistungen auszubauen. Junge Ärzte wie Pekka Puska plädierten für ein anderes Vorgehen:
"Wir waren junge Radikale. Wir forderten Prävention und nicht Korrigieren im Nachhinein. Die bisherige Lebensweise der Nordkarelier begünstigte eindeutig die Risikofaktoren."
Unter Leitung von Puska wurde 1972 das Nord-Karelien-Projekt gestartet. Das Ziel des Projekts war, durch Änderung des Lebensstils die Sterberate durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu senken. Begonnen wurde ein bis dahin beispielloses Präventionsprogramm in einer Region mit 180.000 Einwohnern.
"Wir veranstalteten Informationsveranstaltungen. Wir besuchten die Leute auf den Agrarhöfen, gingen in Schulen, referierten in Kirchen. Wir diskutierten mit der Lebensmittelindustrie, um gesündere Nahrungsmittel ins Angebot zu bekommen. Parallel wurde gemessen und evaluiert."
Die Arbeit vor Ort war besonders schwierig. Die Gesundheitsbotschafter wurden in den Dörfern mit gemischten Gefühlen empfangen:
"Einerseits waren die Leute für die Hilfe dankbar. Andererseits klangen unsere Thesen bedrohlich. Die Bauern sollten ihren Fettkonsum drastisch verringern. Aber Fleisch, Butter, Milch und Sahne wurden auf den Höfen produziert. Unser Ratschlag 'Nehmt Margarine statt Butter!' klang wie eine Bedrohung ihres Berufs!"Doch die beharrliche Überzeugungsarbeit zeigte Wirkung. Im Laufe von 25 Jahren konnten die Hauptrisiken - Bluthochdruck, erhöhter Cholesterinspiegel und Tabakkonsum - in Nord-Karelien deutlich zurückgedrängt werden.
"Die Sterberate der Männer im arbeitsfähigen Alter ging um 82 Prozent zurück, die Sterberate der Bevölkerung um die Hälfte. Die durchschnittliche Lebenserwartung stieg um rund sieben Jahre. Die Gesundheit der Bevölkerung hatte sich verbessert."
Die Erfahrungen des Nord-Karelien-Projekts werden heute in einem landesweiten Bevölkerungsprogramm zur Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen angewendet. Der Herzverband leistet wichtige Basisarbeit. Auch hunderte ausländische Expertendelegationen haben die Erfahrungen studiert.