Andere Länder, andere Werte: Große Unterschiede in Werthaltungen junger Menschen in Mittel- und Osteuropa

Celebrations rang throughout Prague for the World Hockey Championships
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Auch mehr als 15 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhanges werden die so genannten "ehemaligen Ostblockstaaten" in Bezug auf ihre Kultur und Mentalität immer noch gerne über einen Kamm geschoren. Dabei sind gerade in diesen Bereichen oft die größten Unterschiede festzustellen. Mehr noch: Die jungen Tschechinnen und Tschechen haben zunehmend die gleichen Wertvorstellungen wie ihre Altersgenossen in den alten EU-Mitgliedsländern und teilen weniger die Hoffnungen und Ängste der jungen Menschen in Polen, Ungarn und Rumänien, wie nun eine Vergleichsstudie ergeben hat. Sandra Dudek fasst die wichtigsten Ergebnisse zusammen:

"Kde domov muj?" Die tschechische Nationalhymne beginnt - ein wenig ungewöhnlich - mit einer Frage: Wo ist meine Heimat? Und wenn auch Spieler und Fans bei der nächsten Eishockey-Weltmeisterschaft wieder ihre Hymne mit stolz geschwellter Brust singen werden, so sind dafür dann wohl doch eher die sportlichen Höchstleistungen als ein ausgeprägter tschechischer Nationalstolz verantwortlich. Dies zumindest lässt sich aus der von der Zeitschrift Reader's Digest in Auftrag gegebenen Studie zu den Lebenszielen und Wertvorstellungen junger Menschen in Mitteleuropa ableiten.

"Die Tschechen sind nicht besonders stolz auf ihr Land oder darauf, dass sie Tschechen sind. Wir sind stolz auf unsere Sportler oder auf unsere Geschichte, das hat sich indirekt auch bei der Wahl des "größten Tschechen" gezeigt."

So fasst der Prager Meinungsforscher Ivan Tomek das Ergebnis zur Frage nach dem Nationalstolz junger Tschechinnen und Tschechen zusammen. Durchgeführt wurde die Studie nicht nur in der Tschechischen Republik, sondern noch in drei weiteren Ländern, und zwar in Ungarn, Polen und Rumänien. Dabei wurden in jedem Land rund 500 junge Menschen zwischen 17 und 27 Jahren zu ihren Lebenszielen und Wertvorstellungen befragt. Ein Blick auf die Ergebnisse zeigt, dass sich die so genannten "ehemaligen Ostblockstaaten" zwar geographisch nahe stehen, in Bezug auf ihre Ziele und Werthaltungen, Hoffnungen und Ängste aber häufig sehr weit voneinander entfernt sind. Und der Nationalstolz sei, meint Tomek, genau so ein Punkt, worin sich die Tschechische Republik krass von Ungarn, Polen und Rumänien unterscheide:

"Alle drei Länder führen den Nationalstolz an einer der ersten vier Stellen an, die Ungarn an erster Stelle, die Polen und Rumänen an vierter. Bei den Tschechen aber steht er überhaupt nicht unter den ersten zehn. Sie sind schon auf etwas stolz, aber nicht auf die Tatsache, dass sie Tschechen sind."

In erster Linie sind es also die sportlichen Erfolge, auf die die jungen Menschen in Tschechien stolz sind, gefolgt von der Geschichte des Landes, den guten Eigenschaften der Tschechen, bedeutenden Persönlichkeiten und schließlich der schönen Landschaft. Die Ungarn sind - ebenfalls im Gegensatz zu den Tschechen - auch stolz auf ihre Sprache, die Polen etwa führen unter anderem den verstorbenen Papst Johannes Paul II. an. Hier wird also auch ersichtlich, welche Rolle die Religion spielt - und wie sich dieser Umstand auch auf andere Lebensmuster und -ziele auswirkt, wie der Meinungsforscher Ivan Tomek näher erläutert:

"Für die jungen Leute in Tschechien ist es heute am wichtigsten, ihre Ausbildung zu beenden, Arbeit und eine Wohnung zu finden, um eine gewisse Unabhängigkeit zu erreichen und dann erst ist es für sie an der Zeit, eine Familie zu gründen. Das wiederum ist ein großer Unterschied zu Polen oder Rumänien, wo die Familie eines der ersten Ziele ist. Außerdem ist die Familiengründung in Polen und Rumänien stark mit der Hochzeit verbunden, währenddessen das bei uns und auch in Ungarn nicht mehr so ist. Das hängt mit dem Glauben an Gott zusammen, der in Polen und Rumänien viel stärker ausgeprägt ist als in Tschechien oder Ungarn."

Obwohl die Religion in der Tschechischen Republik nie so wichtig wie beispielsweise in Polen oder Rumänien gewesen sei, habe hierzulande die Familie nach dem Fall des Eisernen Vorhangs doch noch einen bedeutend höheren Stellenwert eingenommen als heute, weiß Ivan Tomek zu berichten. Ein Vergleich mit der von ihm 1994 durchgeführten Studie über Wertvorstellungen in Tschechien ergibt, dass der Grund dafür in der demographischen Entwicklung liegt, die wiederum aus veränderten Lebensmustern und -zielen resultiert: Die jungen Tschechinnen und Tschechen wollen heute zuerst ihre Ausbildung beenden, sich eine Arbeit und eine Wohnung suchen und dann erst, wenn eine gewisse finanzielle Sicherheit gegeben ist, eine Familie gründen. Das Heiratsalter ist in den letzten 15 Jahren um rund sieben Jahre angestiegen: Frauen schließen heute nach dem 25., Männer nach dem 30. Lebensjahr den Bund fürs Leben. Und damit steht die Tschechische Republik den meisten alten EU-Ländern wesentlich näher als beispielsweise Polen.

Aufgrund einer besseren Wirtschaftslage und eines höheren Lebensstandards als in den drei Vergleichsländern gehören die persönliche Freiheit, die Möglichkeit zu reisen und sich zu unterhalten zu fast selbstverständlichen Werten der jungen Tschechinnen und Tschechen. Sie sind, so das Ergebnis der Studie, größere Individualisten als die Ungarn, Polen und Rumänen - und liegen auch damit ganz im Trend der alten EU-Länder. Und ebenso wie dort fürchten sich auch hierzulande die jungen Menschen insbesondere vor Arbeitslosigkeit, meint Ivan Tomek:

"Fast verdoppelt hat sich die Angst vor Arbeitslosigkeit. Im Jahr 1994 fürchteten rund 40 Prozent der jungen Leute, arbeitslos zu werden, heute sind das 75 Prozent. Interessant ist, dass die Angst vor Arbeitslosigkeit hoch ist, aber nicht in Zusammenhang mit der Angst vor Armut steht. In Polen beispielsweise hängt die Angst vor Arbeitslosigkeit sehr stark mit der Angst vor Armut zusammen, in Rumänien ist die Armut aber ein noch größeres Problem als die Arbeitslosigkeit."

Die Tschechen befürchten zwar, ihre Arbeit zu verlieren, aber gleichzeitig gehen sie davon aus, eine andere zu finden, die sie möglicherweise nicht so interessiert, aber dafür auf jeden Fall für den Erhalt des gewohnten Lebensstandards ausreicht. Im Rahmen der Studie wurden die jungen Menschen auch danach gefragt, wofür sie sich schämten. Dazu der Meinungsforscher Ivan Tomek:

"In Tschechien stehen an erster Stelle eindeutig die Politik und hier wiederum vor allem die Repräsentanten, d.h. die politischen Persönlichkeiten. Dafür, wie sie sich verhalten, schämen wir uns am meisten. An zweiter Stelle stehen die Kriminalität und die Korruption, Diebstahl, Bestechung, Geldwäsche usw. An dritter Stelle kommen die schlechten tschechischen Eigenschaften, vor allem der Neid."

Die Polen schämen sich in erster Linie für ihre Arbeitslosigkeit, den Ungarn wiederum bereitet es Unbehagen, nicht gemocht zu werden, in der Welt ein schlechtes Image zu haben. Die Politik übrigens steht bei ihnen erst an siebter Stelle. Damit kommt wieder einmal mehr zum Vorschein, wie unterschiedlich die Ansichten in den einzelnen Ländern sind. Und wie unterschiedlich auch der Umgang mit dem eigenen Land und seinen Bewohnern sein kann, wie Ivan Tomek anhand eines Vergleichs erläutert:

"Wenn sich zwei Polen in der Welt begegnen, dann umarmen sie sich, weil sie Polen sind und sie helfen sich gegenseitig. Wenn sich aber zwei Tschechen begegnen, dann überlegt sich jeder, wie er dem anderen am besten ein Bein stellen kann."





Folgende Hinweise bringen Ihnen noch mehr Informationen über den Integrationsprozess Tschechiens in die Europäische Union:



www.integrace.cz - Integrace - Zeitschrift für europäische Studien und den Osterweiterungsprozess der Europäischen Union

www.euroskop.cz

www.evropska-unie.cz/eng/

www.euractiv.com - EU News, Policy Positions and EU Actors online

www.auswaertiges-amt.de - Auswärtiges Amt