Grand Café Orient: Die kubistische Perle der Prager Kaffeehauskultur
Ein halbes Jahr ist es nun her, da wurde die Prager Kaffeehauskultur um ein neues, und gleichzeitig sehr traditionsreiches Etablissement bereichert: Das Grand Café Orient im Herzen der Stadt öffnete seine Pforten. Wenn man vom Altstädter Ring kommend in die Celetna-Gasse einbiegt und Richtung Platz der Republik geht, dann findet man etwa auf halber Strecke rechts das berühmte kubistische Haus "U Cerne Matky Bozi", also "Zur Schwarzen Mutter Gottes". Im ersten Stock dieses Hauses ist das ebenfalls durch und durch kubistische Grand Café Orient beheimatet, das vor achtzig Jahren geschlossen wurde und beinahe für immer in Vergessenheit geriet. Nun, ein halbes Jahr nach der Neueröffnung, hat Gerald Schubert das Café besucht und sich mit dessen Geschäftsführer Rudolf Brinek unterhalten.
"Leider hatte der kubistische Stil nicht lange Bestand. Er hat sich relativ rasch überlebt, unter anderem auch deshalb, weil es oft mehr um die Form als um den Inhalt ging. Dieses Haus wurde bereits 1925 zum ersten Mal umgebaut. Das Kaufhaus wurde geschlossen, und mit ihm auch das Café. In dem Haus wurde nun eine Bank betrieben. Das heißt, es gab Schalter, Kassen, der Grundriss des Gebäudes wurde völlig neu gegliedert. Das ursprüngliche kubistische Café starb also vor ziemlich genau 80 Jahren. Übrigens nicht nur deshalb, weil der Kubismus als Baustil überwunden war, sondern auch, weil das Café einen gewissen orientalischen Hauch hatte. Kaffee wurde auch mit der Türkei in Verbindung gebracht. Und die Türkei war im Ersten Weltkrieg ein Verbündeter Österreichs gewesen. Nach 1918, also nach der Entstehung des selbstständigen tschechoslowakischen Staates, wurde alles, was mit Österreich zu tun hatte, irgendwie negiert. Das Café ist also nur aufgrund einiger alter Fotos berühmt, die in fast allen Reiseführern und Architekturführern zu finden sind. Denn das Interieur, das sie zeigen, ist wirklich einmalig."
Von den originalen Einrichtungsgegenständen ist überhaupt nichts erhalten geblieben, bedauert Rudolf Brinek:
"Es sind nur diese paar Fotos übrig, und einige Skizzen, die uns obendrein nur in Kopien zur Verfügung standen. Denn wie Sie wissen, gab es im Jahr 2002 in Prag die große Hochwasserkatastrophe. Ein großer Teil der Archivbestände wurde dabei zerstört bzw. ist heute eingefroren, und niemand weiß, wann diese Bestände restauriert werden können. Also sind wir nur von diesen paar Fotos und Skizzen ausgegangen, um das Café schließlich im ursprünglichen Zustand wiederzueröffnen. Das Kaffeehaus aber hat meiner Meinung nach Atmosphäre. Das hat auch mit der farblichen Abstimmung zu tun. Ich glaube, es ist uns gelungen, den richtigen Ton zu treffen, und ich bin froh, dass die Leute nun wieder hierher kommen, und dass es ihnen hier gefällt", erzählt Geschäftsführer Rudolf Brinek."Ich sage immer: Ein Kaffeehaus ist eine riesige Bühne, und die Besucher, das sind die Schauspieler. Es sollten immer großzügige Räumlichkeiten sein, wo die Menschen sich in Ruhe auch gegenseitig beobachten können. Deshalb kann in kleinen Lokalen auch keine richtige Kaffeehausatmosphäre entstehen."
Von 9 Uhr früh bis 10 Uhr abends hat es geöffnet, das Grand Café Orient. Prager kommen ebenso hierher wie ausländische Besucher, und diese ausgewogene Mischung soll durch eine entsprechende Preisgestaltung auch beibehalten werden. Mit anderen Worten: Die sonst oft so typischen "Touristenpreise", die aus den schönsten Lokalen hektische Durchgangsstationen für Laufkunden machen können, die gibt es hier nicht. Ein kleines Problem, sagt Geschäftsführer Rudolf Brinek, ist die Lage im ersten Stock. Das Café hat keine ebenerdigen Fenster, durch die die Passanten von außen hineinsehen können, und somit ist es kein natürlicher Bestandteil der "Straßenkultur", wie Brinek es nennt. Dafür aber befindet sich im selben Haus das bekannte "Museum des Kubismus", das einen bestimmten Besucherstrom sozusagen garantiert.Wie ist es um die Kaffeehauskultur in Prag insgesamt bestellt? Rudolf Brinek:
"Ich persönlich glaube, dass sich die Situation hier in Prag zum besseren wendet. Es gibt einige interessante Kaffeehäuser. Das letzte, das eröffnet wurde, ist etwa das Café Savoy. Ein sehr gutes Lokal, jedoch eher im Stil eines französischen Cafés. Wir wiederum orientieren uns mehr an Wien, da das ursprüngliche Café Orient ja in einer Zeit entstand, in der Wien das Zentrum der Monarchie war. Und dann gibt es noch das Café Slavia, oder das Café Louvre, das wirklich ausgezeichnet ist. Und natürlich das Café Imperial. Diese alten Prager Cafés wurden allesamt nach und nach erneuert. Und ich glaube, sie haben wirklich hohes Niveau."Das Grand Café Orient ist kubistisch bis ins letzte Detail: Tische, Stühle, Kleiderhaken, Luster, Vorhänge, ja selbst die Speise- und Getränkekarte. Alles ist hier im einheitlichen Stil gehalten. Selbst die typisch tschechischen Venecky, eine Mehlspeise, deren Name übersetzt "Kränzchen" bedeutet und die dieser Bezeichnung gemäß üblicherweise rund ist, sind hier quadratisch.
Übrigens: Auch wenn es viel zu viele Lokalbesitzer, und zwar nicht nur in Prag, offenbar noch nicht bemerkt haben - zur Ausstattung eines Cafés gehört auch der akustische Hintergrund. Wer allergische Reaktionen zeigt, wenn er in einem ansonsten ansprechenden Lokal mit schrillen Werbespots und dem aufdringlichen Geplärre von Privatradiosendern terrorisiert wird, der darf im Grand Café Orient aufatmen. Geschäftsführer Rudolf Brinek:
"Die Musik gibt dem Café den letzten Schliff. Wir können hier natürlich nicht einfach das Radio einschalten. Meist spielen wir Jazz aus der Vor- oder Zwischenkriegszeit, damit die Atmosphäre perfekt ist."
Gerald Schubert hat Sie ins Grand Café Orient geführt. Wer wiederkommen will: Die Adresse lautet Prag 1, Ovocny trh 19. Oder fragen Sie einfach nach dem Haus "Zur Schwarzen Mutter Gottes".