Ins Schwafeln gekommen: Tschechiens Regierung fehlt eine Kommunikationsstrategie in der Krise
Ein Jahr Corona-Pandemie in Tschechien, ein Jahr Krisenmanagement der Regierung Babiš. Dass die Lage im Land derzeit so desaströs ist, liegt laut Experten auch an der mangelnden Kommunikationsstrategie. Die politische Führung hat offenbar keinen Draht zum Volk.
„Selbstkritisch gebe ich zu, dass die Art unserer Kommunikation oft einen unverständlichen, unlogischen, invasiven und auch aggressiven Eindruck macht.“
So fasste der damalige Gesundheitsminister Roman Prymula (parteilos) in seiner außerordentlichen Fernsehansprache am 13. Oktober 2020 die Informationspolitik der tschechischen Regierung zusammen. Das war mitten in der zweiten Welle der Corona-Pandemie. Es folgte ein Versprechen:
„Es ist darum meine weitere wichtige Aufgaben, eine klare und verständliche Kommunikationslinie zu finden. Das ist, wenn man so will, eine Übersetzung in die gewöhnliche Sprache des Volkes: gründlich und anschaulich, einfach und menschlich.“
Vier Monate später konstatiert Denisa Hejlová, Leiterin des Lehrstuhls für Marketingkommunikation und PR an der sozialwissenschaftlichen Fakultät der Karlsuniversität:
„Ich habe Herrn Prymula absolut zugestimmt, als er damals sagte, dass die Kommunikation einer der drei Pfeiler sei, in denen sich die Regierung verbessern müsse, um erfolgreicher zu sein. Seitdem hat uns aber niemand einen komplexen Kommunikationsplan vorgestellt.“
Hejlová geht in ihrer Kritik noch weiter. In ihrem Interview für die Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks urteilte sie Anfang Februar:
„Die Regierung hat keine Strategie. Und diese fehlt, weil die Regierung nicht weiß, was sie eigentlich sagen will. In der Kommunikation geht sie weder verbindlich, noch verständlich oder einheitlich vor.“
Anlass zu diesem Urteil war ein erneuter Versuch der Regierung, mit dem Volk in Verbindung zu treten. Ende Januar waren nämlich auf dem Videoportal TikTok mehrere Videos aufgetaucht, in denen zwei populäre tschechische Influencer die Corona-Impfstrategie erklärten und im Prinzip für sie warben. Dafür wirbelten sie durch das Gebäude der Straka-Akademie, sprich den Regierungssitz, und interviewten Gesundheitsminister Jan Blatný (parteilos), den zu der Zeit als Regierungsberater fungierenden Prymula und auch namhafte Epidemiologen.
Parallel mit dieser Veröffentlichung wurde bekannt, dass die Regierung für ihre Kommunikationskampagne 500.000 Kronen (19.000 Euro) ausgegeben hat. Empörung machte sich breit darüber, dass in Krisenzeiten, in denen viele Unternehmen vor dem Bankrott stehen, so verschwenderisch investiert wurde. Denn die Zielgruppe bei TikTok sind Jugendliche, die aber in der Impfstrategie ganz am Ende stehen. Zudem wurde die Unabhängigkeit der beiden Hauptakteure der Videos, Jankub Gulab und Anna Šulcová, angezweifelt, weil diese ansonsten auf YouTube über die Dinge nach ihrem eigenen Gutdünken reden und deswegen eben Influencer genannt werden.
Es wird viel geredet
Als klar wurde, dass die halbe Million für eine umfassend angelegte Kampagne in allen bekannten sozialen Netzwerken, also nicht nur TikTok eingesetzt wurde und Babiš verkündete, dass Šulcová und Gulab kein Honorar dafür beanstandeten, war schon alles zu spät. Das Aufklärungsprojekt, das eigentlich gegen Fake News über das Impfen ankämpfen sollte, war nach nur zwei Tagen völlig diskreditiert. Mittlerweile sind die Videos und mit ihnen das betreffende TikTok-Profil „strakovka“ völlig aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden. Dabei sei die ursprüngliche Absicht legitim gewesen, findet Hejlová:
„All diese Instrumente sind in Ordnung, wenn sie in einer Strategie zusammengefasst wären. Wenn die Regierung erklärt hätte, was ihre Absicht ist und warum sie sich an die jungen Leute wendet, dann wäre das sicher von den Journalisten und auch von der Bevölkerung besser aufgenommen worden. So ist auf einmal irgendwo ein Video aufgetaucht, und niemand wusste, warum. Vor allem verstand niemand, was die Regierung damit sagen wollte.“
Dabei wird doch aber viel geredet, auch von Seiten der Regierung. Premier Andrej Babiš (Partei Ano) hat seinen eigenen Videokanal, in dem er sich regelmäßig unter dem Titel „Čau lidi“ (Hallo Leute) direkt an die Menschen wendet. Und in der aktuellen angespannten Corona-Lage finden mehrmals wöchentlich Pressekonferenzen verschiedener Kabinettsmitglieder statt, um die neuesten Regierungsmaßnahmen zu verkünden. Hejlová urteilt, dass sich die politische Führung meist aber nur Einzelaspekten widme und der Blick auf das große Ganze fehle.
Eine mögliche Erklärung für diese Art der Kommunikation liefert der Ökonom Štěpán Jurajda. Er ist leitender Forschungsangestellter am Institut für Volkswirtschaft der tschechischen Akademie der Wissenschaften und äußerte sich ebenfalls unlängst in den Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks:
„Es ist ein Symptom dessen, wie hierzulande Politik gemacht wird. Im Vergleich mit den Nachbarländern fehlt es nämlich fast völlig an einer fachlichen Grundlage bei der Gestaltung politischer Strategien. Wenn ein Arzt jemandem ein Arzneimittel verschreibt, kann man sich ziemlich sicher sein, dass er dies nicht nur auf der Grundlage seiner persönlichen Empfindungen tut. Vielmehr hat er wohl die Wirkung verschiedener Mittel verglichen und bewertet, ob ein Medikament besser wirkt als ein anderes. Wird dieserart hierzulande etwa die Wirksamkeit von Maßnahmen auf dem Arbeitsmarkt, von Steuerreformen, Familienpolitik oder der Zugang zu guter Vorschulbildung beobachtet und gemessen? Bis auf seltene Ausnahmen nein.“
Fehlende Analyse
Was langfristig ein Problem in der tschechischen Politiklandschaft ist, macht sich in der aktuellen Krise besonders bemerkbar. Die Regierung erklärt den Menschen nicht, auf welcher Grundlage sie all die Beschränkungen anordnet, die das öffentliche Leben lahmlegen. Zwar gibt es die tägliche Aktualisierung der Corona-Zahlen durch das Institut für Gesundheitsinformationen und Statistiken. Aber weitere Analysen und langfristige Studien werden entweder nicht durchgeführt oder aber der Öffentlichkeit nicht vorgestellt.
Die Tschechische Statistikgesellschaft hat deswegen Anfang Februar eine Expertengruppe gegründet. In der begleitenden Erklärung kritisiert sie die „unbefriedigende Lage in Bezug auf die Erhebung und Verarbeitung von Daten“ zur Corona-Pandemie. Ohne belastbare Daten könnten Politiker nur auf Grundlage ihrer Eindrücke, Emotionen, Gefühle und Wünsche entscheiden, heißt es in dem Papier weiter.
Nun kann man sich fragen – und das tun auch viele Tschechen –, wie es um die Gefühle der Regierungsmitglieder bestellt ist angesichts von mehr als 21.000 Corona-Toten im Land. Zur Datenanalyse fehle häufig aber einfach die Kompetenz, so Jurajda:
„Unsere Politiker und Beamte kennen solche Analysemethoden oftmals nicht. In der Tat erfordern sie eine Kombination aus tieferen Kenntnissen über Datenerhebung sowie Unabhängigkeit und einem guten Ruf. In vielen EU-Ländern gelingt es aber, Regierungsmaßnahmen auszuwerten. Denn dort wird eine wichtige Bedingung erfüllt: der Zugang zu Daten.“
Fehlende Daten oder die mangelnde Fähigkeit, sie richtig zu deuten, könnte auch ein Grund dafür sein, dass sich das Kabinett Babiš derzeit so sehr dagegen sträubt, die Industriebetriebe im Land stillzulegen. Obwohl es durchaus Statistiken gibt, die belegen, dass sich das Coronavirus vor allem am Arbeitsplatz ausbreitet, und obwohl immer mehr Experten diesen harten Lockdown fordern, ist er Ende vergangener Woche von der Regierung abgewehrt worden.
Schwafelnde Politiker
Und noch eine Begleiterscheinung ließe sich beim Fehlen harter Daten und einer belastbaren Kommunikationsstrategie beobachten, so Hejlová:
„Dadurch, dass die Regierung und ihre Vertreter im vergangenen Jahr eine bedeutende, vielleicht sogar zu umfangreiche Medienpräsenz hatten, ging Premier Babiš zu etwas über, was er für sich immer ausgeschlossen hatte: Er begann zu schwafeln. Sein Motto war eigentlich immer, nicht wie die anderen Politiker zu sein und nicht um den heißen Brei herumzureden. Das war die eine große Prämisse. Die andere war ein funktionierendes Management. Im Verlauf der Krise hat sich gezeigt, dass gerade in diesen beiden Aspekten die Regierung als Ganzes versagt hat.“
Immerhin scheint in die nicht vorhandene Kommunikationsstrategie der Regierung inzwischen auch so etwas wie Selbstkritik Einzug gehalten zu haben. Anfang Februar gestand Gesundheitsminister Blatný ein, dass die bis dahin getroffenen Maßnahmen aufgehört haben zu wirken. Und am Freitag vergangener Woche zählte Premier Babiš im Abgeordnetenhaus freizügig alle Fehlentscheidungen auf:
„Am 1. Juli haben wir die Maskenpflicht abgeschafft, das war ein riesiger Fehler. Einhunderttausend Urlauber sind aus Kroatien wiedergekommen und wurden nicht getestet. Es kam zu einem hohen Infektionsgeschehen, also wieder ein riesiger Fehler. Als es auf Weihnachten zuging, kam es zu einem weiteren Fehler. Dann wurde Vorausschaubarkeit gefordert, also haben wir den Risikoindex PES entworfen, doch er ist viel zu kompliziert. Am 3. Dezember haben wir alles geöffnet, auch das war ein großer Fehler. Die Restaurants hätten geschlossen bleiben müssen. Und der jetzige Lockdown hätte wahrscheinlich viel eher kommen müssen.“
Was daraus für die kommenden Wochen und Monate folgt, wird sich zeigen. Viel Zeit zum strategischen Planen hat das Kabinett im Moment jedoch nicht. Und Denisa Hejlová gibt sich skeptisch, ob von dieser Regierung tatsächlich noch eine funktionierende Kommunikationsstrategie zu erwarten ist:
„Die Führung ist sich nicht im Klaren darüber, dass es einen Unterschied gibt zwischen einem politischen Marketing, das wie eine Produktreklame wirkt, und der Kommunikation als Regierung. Dabei muss nämlich wesentlich mehr auf die Psychologie der Menschen geachtet werden. Ich glaube, dass die zuständigen Experten das schlicht nicht können. Es ist einfach eine etwas andere Disziplin, und darin haben sie versagt.“