Einzigartiger Fund in der Nationalbibliothek: Notenblatt aus dem 13. Jahrhundert
Einen einzigartigen Fund haben Digitalisierungsarbeiten von Handschriften in der Prager Nationalbibliothek hervorgebracht. In einem Kodex aus dem 15. Jahrhundert verbargen sich wertvolle Fragmente von sechs Kompositionen für zwei Stimmen, die im 13. Jahrhundert in den Musikkreisen der Pariser Kathedrale Notre-Dame entstanden sind. Gefunden worden sei die Handschrift während einer internationalen Zusammenarbeit, erzählt Jan Vojtíšek. Er leitet in der Nationalbibliothek die Abteilung für Handschriften und alte Drucke.
„Unser Kollege, der Musikologe Dominique Gatté aus Straßburg, befasst sich mit der Evidenz von neu digitalisierten mittelalterlichen Handschriften und deren musikalischen Bestandteilen. Er fand diese Handschrift aus unserer Bibliothek, identifizierte sie und informierte uns und die Musikologen.“
Die Fragmente der Noten aus dem 13. Jahrhundert wurden im Einband einer Handschrift aus dem 15. Jahrhundert gefunden. Dieses Dokument entstand in Prag und enthält Vojtíšek zufolge die im Spätmittelalter beliebte Schrift über die Landwirtschaft „Ruralia commoda“ vom italienischen Gelehrten Petrus de Crescentiis. Der Fund der Noten aus Notre-Dame sei für die Geschichte der europäischen mittelalterlichen Musik aus zwei Gründen bedeutend, erklärt der Experte.
„Es handelt sich erst um das vierte erhaltene Fragment einer Handschrift, das sich auf das Repertoire von Notre-Dame im Übergang vom 12. zum 13. Jahrhundert bezieht. Die Komponisten von der Pariser Kathedrale waren für die Entwicklung der Musik im Mittelalter sowie der Zeit danach ausschlaggebend. Und was die musikalische Produktion in Böhmen anbelangt, verbindet uns dieser Fund mit den exklusiven Werken, die in Frankreich und allgemein in Westeuropa entstanden. Wir können darum nun den Einfluss dieser Musik auf mittelalterliche Kompositionen aus Böhmen studieren.“
Mit dem Studium der Notenfragmente befassen sich nun Forscher, die sich am Projekt „Alte Mythen, neue Fakten: Böhmische Länder im Fokus des Musikgeschehens des 15. Jahrhunderts“ beteiligen. Jan Vojtíšek dazu:
„Sie versuchen erstens, möglichst präzise festzulegen, wann die Noten entstanden sind. Zweitens konzentrieren sie sich darauf, wie die Handschrift nach Böhmen gelangt ist. Ihr Interesse gilt auch den Einflüssen der Pariser Musikschule und der Musik aus Westeuropa allgemein auf das Musikschaffen in Böhmen im Hoch- und Spätmittelalter.“
Die wertvolle Notenhandschrift wurde im Spätmittelalter als Material für den Einband eines Buchs genutzt, das einem Mitglied der Prager Universität gehörte. In der damaligen Zeit war es laut Jan Vojtíšek üblich, dass alte, nicht gebrauchte Handschriften für den Einband neuer Bücher genutzt wurden.
Die digitalisierten Fragmente sind in der Digitalbibliothek zugänglich unter www.manuscriptorium.com/apps/index.php?direct=record&pid=AIPDIG-NKCR__V_E_15______0HICQYE-cs.