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7) Animationsfilm der Gegenwart: Die digitale Revolution

„My Sunny Maad“ (Quelle: © Negativ)
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Der tschechische Animationsfilm blickt auf eine lange Tradition zurück. In den 1990er Jahren kam es zu weitreichenden Umbrüchen, denn die Computeranimation schuf neue Möglichkeiten. Sie veränderte die Arbeit der Regisseure und die Ästhetik der Trickfilme von Grund auf.

Illustrationsfoto: Sam Moqadam,  Unsplash / CC0

2D-Filme, 3D-Filme oder Rotoskopie… All diese Techniken haben einen gemeinsamen Nenner: die Computeranimation. Die digitale Technik hat die Möglichkeiten der Filmemacher auf bis dahin ungeahnte Weise erweitert. Die Produktion von Animationsfilmen erlebte dank ihnen in den 1990er Jahren einen neuen Boom. Die Computeranimation verwendet die Mittel der Computergrafik und ergänzt sie um zusätzliche Techniken. Dadurch sind flüssige Bewegungsabläufe und dreidimensionale Szenen möglich.

Manche Filmemacher erinnern sich heute mit Nostalgie an die Zeit vor dem Einsatz von Computern. Sie vermissen die Erfindungskraft und perfekte Organisation, die damals erforderlich waren. Radio Prag International hat mit Michaela Pavlátová über das Pro und Contra der neuen Technologien in der Animation gesprochen. Die Regisseurin leitet den Lehrstuhl für Animationskunst an der Filmhochschule (FAMU) in Prag:

Michaela Pavlátová  (Foto: Petr Novák,  Wikimedia Commons,  CC BY-SA 3.0)

„Die Animation hat sich dank Computern nach 1990, aber eher erst nach 1995 beziehungsweise 2000 wesentlich verändert. Es begann etwas früher schon in den USA und hat sich aber auch bei uns rasch ausgebreitet. Der Umbruch betraf große Studios genauso wie Einzelkünstler. Jeder hatte seinen Computer und war nicht mehr auf ein Filmstudio angewiesen. Zuvor ließen sich Animationsfilme nur anfertigen, wenn man das studiert und eine Kamera zur Verfügung hatte. Auf einmal kam diese großartige Freiheit. Sie hat die Animation in allen möglichen Richtungen beeinflusst, sowohl positiv als auch negativ.“

Pro und Contra der Computer-Technologien

Illustrationsfoto: David Singleton,  Flickr,  CC BY 2.0

In der Zeit, als Animatoren noch keine Computer hatten, mussten sie sorgfältiger arbeiten als heute. Man musste jedes Detail im Voraus planen, es gab kaum Raum für Testversionen:

„Das Positive der neuen Technologien überwiegt meiner Meinung nach eindeutig, ich möchte aber auch eine negative Seite erwähnen. Es ist der beliebte ‚undo button‘, also der Schritt zurück. Wenn man etwas erschafft, kann man es immer wieder verändern und unendlich viele Versionen erstellen. Das ist ein Vorteil, aber auch ein Nachteil, denn manchmal verrennt man sich dann ziemlich. In der Zeit vor dem Computer war ich in der Lage, und es war auch notwendig, den ganzen Film im Kopf zu haben. Man hatte keine Lust, Bilder zu animieren, die dann im Film nicht verwendet wurden. Das hatte einen gewissen Charme und ging meist auch gut aus.“

Kurzanimationsfilm „Řeči,  řeči,  řeči…“  (Quelle: Tschechisches Fernsehen)

Pavlátová hat das Eindringen der Computer in die Welt des Films hautnah miterlebt. Von ihr stammt eine Reihe von Animations- und Spielfilmen. Ihr Kurzanimationsfilm „Řeči, řeči, řeči…“ (Reden, reden, reden…) gewann beim Montréal World Film Festival 1991 den Großen Preis im Bereich Animationsfilm. Zudem wurde er 1993 für einen Oscar in der Kategorie „Bester animierter Kurzfilm“ nominiert. Pavlátová gesteht ein, dass die neuen Technologien viel Zeit ersparen:

Illustrationsfoto: Roman Verner,  Archiv des Tschechischen Rundfunks

„Die Animation ist ein sehr langer Arbeitsprozess. Jede Sekunde, die man dabei sparen kann, ist gut – und das ist durch den Computer möglich. Ich beschäftige mich hauptsächlich mit gezeichneten Animationen. Früher war es erforderlich, Zeichnungen zu schaffen und per Computer oder Kamera einzuscannen. Danach konnte man die Bewegungen oder auch die Größe nicht mehr ändern. Wenn man jedoch direkt am Computer zeichnet, bleibt die ganze Sache lebendig. Man kann ständig in den Prozess eingreifen und Schleifen verwenden. Das spart viel Zeit.“

Foto: Jolana Nováková,  Archiv des Tschechischen Rundfunks

Laien sollten aber bloß nicht denken, dass Animatoren dank dem Computer keine Arbeit mehr hätten, betont Pavlátová:

„Ich will nicht sagen, dass der Computer alles macht. Er hilft sehr, aber natürlich kann er nichts selbst erfinden. Ich mache immer noch hauptsächlich gezeichnete Animationen. Dabei zeichne ich mit einem elektronischen Stift auf einem Tablet, was eigentlich dem Zeichnen auf Papier ähnelt. Es ist nur viel schneller und bequemer. Ich weiß auch gut, wie wahnsinnig lange es dauert, ein 3D-Modell zu erstellen, das man dann animieren kann. Es ist nicht so, dass man einen Knopf drückt - und das war´s.“

Die Pixar-Revolution

Quelle: Walt Disney Pictures

Ein Meilenstein in der Geschichte des Animationsfilms ist der Film „Toy Story“. Dieser entstand 1995 im US-amerikanischen Studio Pixar als überhaupt erster Streifen, der komplett im Computer erschaffen wurde. Um das Renomee des Pixar-Studios hat sich übrigens auch ein tschechischer Künstler verdient gemacht. Der Regisseur und Drehbuchautor Jan Pinkava gewann 1997 mit seinem Pixar-Streifen „Geri’s Game“ den Oscar. Zudem beteiligte er sich an den Filmen „Das große Krabbeln“, „Toy Story 2“, „Die Monster AG“ und „Ratatouille“.

Foto: Andrés Rodríguez,  Pixabay,  CC0 1.0 DEED

Michaela Pavlátová verweist aber auch noch auf eine Tendenz, die sich Ende der 1990er Jahre durchsetzte. Nämlich Animationsfilme mittels möglichst einfacher Techniken zu produzieren. Denn zum Teil sei es schwierig gewesen, bei den 3D-Animationen mit Pixar zu konkurrieren.

„Genial war das kleine Format, die Filme waren komprimiert und konnten ins Internet gestellt werden. Das war eine weitere sehr wichtige Sache, die mit der Entwicklung der Computer einherging. Man war nicht mehr nur von Festivals abhängig. Die Möglichkeit, Filme im Netz zu veröffentlichen, die sich um das Jahr 2000 ausbreitete, und die Beschleunigung des Internets, haben großen neuen Raum geschaffen.“

Illustrationsfoto: Gerd Altmann,  Pixabay / CC0

Diese Demokratisierung habe sich sowohl in der Ästhetik als auch im Inhalt der animierten Filme gezeigt, sagt die Expertin. So hätten sich einfache Bilder und Animationen sowie schnelle und witzige Kurzfilme durchgesetzt:

„Interessant war der Einfluss der Computer auf die visuelle Seite des Films. Denn vorher galten bestimmte Kategorien dafür, wie die Kunst oder ein künstlerisches Bild aussehen sollten. Es galt eine Ästhetik, die bestimmte, was schön war und was nicht. Auf einmal konnten auch Menschen ohne Kunstausbildung plötzlich Animationen machen. Außerdem wurden viele Animationen im Flash-Programm produziert, welches für einfache Animationen am besten geeignet war. Dies hat viele Menschen stark beeinflusst, einschließlich meiner selbst. Außerdem zeigte sich, dass kurze Witze besser funktionierten. Denn wenn man etwas Künstlerisches, Traurigeres, Ernsthaftes und Tiefes machen will, wünscht man sich auch anspruchsvollere Bilder, die durch ihre Tiefe und Schönheit auf den Zuschauer wirken. Im Internet funktioniert aber kurzer Spaß am besten.“

Animation von heute

Die tschechische Animationskunst hat auch im heutigen Computer-Zeitalter ihre hohe Qualität wahren können. So werden zahlreiche Werke produziert, die vom Surrealismus inspiriert sind, der für die goldene Ära der tschechoslowakischen Animation typisch war. Bei renommierten Festivals in Europa tauchen öfters auch die Namen tschechischer Künstler unter den Nominierten auf. 2020 wurde der tschechische Film „Daughter“ von Daria Kashcheeva sogar für den Oscar in der Kategorie des besten Kurzanimationsfilms nominiert. Laut Michaela Pavlátová ist der zeitgenössische Stil von Technologien geprägt, die es ermöglichen, verschiedene Techniken zu kombinieren. Und junge Regisseure hätten keine Angst, neue Dinge auszuprobieren, sagt die Lehrerin:

Michaela Pavlátová und Michaela Tyllerová  (Foto: Anna Šolcová / Negativ)

„Ich denke, die Animation ist derzeit so eine Mischung aus allem. Verschiedene Techniken werden gleichzeitig eingesetzt, und es werden immer weitere Techniken erfunden. Darin sind meine Studenten sehr gut. Große Studios, hauptsächlich amerikanische, die Filme für Kinder produzieren, machen die Animationsfilme elegant und schön. Und im Gegensatz dazu gibt es viele Kurzfilme, die absichtlich rau und unvollkommen sind. Oder man verwendet etwa eine 3D-Technik, die aber aussieht wie 2D.“

Pavlátová hält Festivals für unverzichtbar, um das Animationskino zu fördern und weiterzuentwickeln:

„Das größte internationale Festival in unserem Land heißt Anifilm und findet seit vergangenem Jahr in Liberec statt. Auf der Website des Festivals gibt es Links zu unterschiedlichen Filmen. Während der Veranstaltung selbst ist es dann möglich, sich vor Ort die Filme anzuschauen. Eine andere Möglichkeit heißt Aniont. Auf der entsprechenden Website sind mehrere Animationsfilme tschechischer und ausländischer Produktion zu sehen.“

Kinderstreifen „Myši patří do nebe“  (Foto: Fresh Films)

Soweit die Regisseurin und Animationskünstlerin Michaela Pavlátová.

Demnächst werden einige neue Animationsfilme ihre Premiere erleben. So etwa „My Sunny Maad“ von Michaela Pavlátová, darin geht es um die Liebe zwischen einer Tschechin und einem Afghanen. Der Kurzfilm „Ant Hill“ von Marek Náprstek hat wiederum eine psychedelische Ästhetik. Im Bereich der 3D- und Computeranimation kommt bald der Kinderstreifen „Myši patří do nebe“ („Die Mäuse gehören in den Himmel“) heraus. Denisa Grimmová und Jan Bubeníček verwenden darin die Stop-Motion-Technik in Kombination mit Puppen. Und Aufmerksamkeit verdienen auch die Werke weiterer junger Regisseurinnen wie etwa Kateřina Karhánková und Bára Anna Stejskalová.

Autoren: Markéta Kachlíková , Enrique Molina Ruiz
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