Fußball: Slavia Prag ist Tschechiens Flaggschiff in Europa, weitere Koggen aber fehlen
Der tschechische Landesmeister Slavia Prag hat sich im europäischen Fußball etabliert. In den zurückliegenden zwei Spielzeiten sowie in der laufenden Saison hat er zweimal das Viertelfinale der Europa League erreicht. Im Jahr dazwischen konnte man sich sogar für die Gruppenphase der Champions League qualifizieren.
Am vergangenen Donnerstag stand Slavia Prag vor einem großen Wurf. In der Europa League wollten die Rot-Weißen ins Halbfinale einziehen. Im Erfolgsfall hätten sie dann ihre eigene Bestleistung auf europäischer Bühne egalisiert. Vor 25 Jahren waren sie im Uefa-Cup, dem Vorläufer der Europa League, bis in die Vorschlussrunde gekommen. Dort scheiterten sie am französischen Team Girondins Bordeaux, für das damals unter anderem der große Zinédine Zidane spielte.
Auch diesmal trafen die Prager im Viertelfinale auf einen namhaften Gegner: auf den 13-fachen englischen Titelträger FC Arsenal. Und der Londoner Renommierclub setzte dann leider auch das Stoppschild für die tapferen „Zusammengenähten“, wie die Slavia-Spieler aufgrund ihrer mittig auf den Trikots voneinander abgesetzten Vereinsfarben auch liebevoll genannt werden. Arsenal gewann das Rückspiel in Prag klar und deutlich mit 4:0, nachdem Slavia beim Hinspiel in London noch ein achtbares 1:1 erkämpft hatte. Torwart Ondřej Kolář sagte nach der Partie:
„Das ist jetzt ein trauriges Resümee, denn wir sind alle enttäuscht, dass wir nicht weitergekommen sind. Mit der Zeit aber werden wir feststellen, dass wir eine unglaubliche Saison spielen, in der wir in der tschechischen Liga noch ungeschlagen und in der Europa League bis ins Viertelfinale gekommen sind. Und wenn mir jemand nach dem ersten Spiel, das wir bei Beer Sheva verloren haben, gesagt hätte, dass wir so weit kommen, dann hätte ich mir an den Kopf gegriffen.“
Tatsächlich begann die internationale Saison für die Hauptstädter alles andere als erfreulich: In der Qualifikation zur Champions League scheiterten sie am dänischen Meister FC Midtjylland ziemlich deutlich mit 1:4 im Rückspiel, nachdem sich beide Teams zuvor in Prag torlos 0:0 getrennt hatten. Und auch in der Europa League war der Start holprig: Beim israelischen Club Hapoel Beer Sheva verlor Slavia 1:3. Danach aber folgten vier Siege in Serie – gegen Bayer Leverkusen, OGC Nizza zu Hause und auswärts, und im Rückspiel gegen Beer Sheva. Auch die abschließende 0:4-Pleite in Leverkusen änderte nichts mehr daran, dass der tschechische Traditionsverein als Zweiter der Gruppe C in die K.o.-Phase des Wettbewerbs einzog. Das gelang mit einer Mannschaft, deren Stammformation sich gegenüber dem Erfolgsteam von 2019 auf neun Positionen verändert hatte. Neben Kapitän Jan Bořil steht nur noch Torhüter Ondřej Kolář in der ersten Elf:
Ondřej Kolář: „Wenn mir jemand nach dem ersten Spiel, das wir bei Beer Sheva verloren haben, gesagt hätte, dass wir so weit kommen, dann hätte ich mir an den Kopf gegriffen.“
„In unserem Team herrscht jedes Jahr Bewegung. Es kommen immer wieder neue Spieler hinzu, andere wiederum verlassen den Club. Meiner Meinung nach trifft der Trainer gute Entscheidungen bei der Auswahl neuer Spieler. Jetzt haben wir eine physisch starke Mannschaft, das ist ein großer Unterschied zum Team von 2019.“
Zu den physisch starken Spielern zählen beispielsweise Verteidiger David Zima, Mittelfeldspieler Lukáš Provod sowie die Stürmer Jan Kuchta und Abdallah Sima. Gerade im Spiel nach vorn habe sich einiges getan in seiner Mannschaft, sagt Trainer Jindřich Trpišovský:
„Wir sind jetzt stärker in der Offensive. Wir haben einige schnelle Spieler mehr als vor zwei Jahren. Das hat sich in den Begegnungen mit Leicester, den Rangers und Nizza gezeigt. Und wir haben auswärts sehr erfolgreich gespielt.“
Für Aufsehen sorgten in der Tat die beiden 2:0-Siege auf der britischen Insel: gegen das englische Premier-League-Team Leicester City und den schottischen Meister Glasgow Rangers. In der Saison 2018/19 war es vor allem der 4:3-Heimsieg nach Verlängerung gegen den FC Sevilla, mit dem Slavia für Furore sorgte. Dadurch wurde der spanische Titelverteidiger ausgeschaltet, und Slavia stieß ins Viertelfinale vor. Dort aber war dann Endstation. Nach zwei beherzten Spielen mussten sich die Prager dem späteren Europa-League-Sieger FC Chelsea beugen. Coach Trpišovský erläutert das damalige Erfolgsrezept:
Jindřich Trpišovský: „Wir sind jetzt stärker in der Offensive. Wir haben einige schnelle Spieler mehr als vor zwei Jahren. Das hat sich in den Begegnungen mit Leicester, den Rangers und Nizza gezeigt. Und wir haben auswärts sehr erfolgreich gespielt.“
„In unserem ersten Erfolgsjahr sind wir so weit gekommen, weil wir es verstanden haben, das Spiel unseres Gegners zu zerstören. Wir haben also vor allem auf die Spielweise unserer Gegner reagiert.“
Für die laufende Saison aber hat Trpišovský seiner Mannschaft einen neuen Maßanzug geschneidert:
„In diesem Jahr sind wir verstärkt unseren eigenen Weg gegangen. Unsere Aufstellung war sehr stabil, und wir haben sie auch kaum am Gegner ausgerichtet. Das Weiterkommen gegen Leicester und die Rangers war eindeutig verdient.“
Das sieht auch der ehemalige Bundesliga-Profi und heutige TV-Experte Günter Bittengel so. Nach dem Ausscheiden gegen Arsenal sagte er:
„Jedes Märchen hat ein Ende, leider ist das von Slavia mit einer solch hohen Niederlage im eigenen Stadion beendet worden. Nichtsdestotrotz muss man dem Team ein Lob aussprechen, denn es hat insgesamt einen guten Job gemacht.“
Bei seinem Marsch bis ins Viertelfinale der Europa League hat der Club aus dem Prager Stadtteil Vršovice in zwölf Begegnungen insgesamt 21 Punkte geholt. Dank dieser Ausbeute wurden auch einige Zähler für den Uefa-Koeffizienten gutgeschrieben. In dieser Wertung werden die Ergebnisse aller Teilnehmer der europäischen Wettbewerbe in den vergangenen fünf Jahren erfasst. Aus dem dabei ermittelten Punkteschnitt werden die Startplätze jedes Landes für die nächsten Jahrgänge ermittelt. Dabei zeigte sich, dass Tschechien trotz des guten Abschneidens von Slavia Prag zu wenig Punkte gesammelt hat, um auch in der Saison 2022/23 wieder fünf Mannschaften in die Qualifikation zur Champions League und Europa League entsenden zu können. Mit 26,6 Punkten liegt Tschechien nach dieser Saison auf Rang 17, zwei Plätze hinter Zypern. 1,75 Punkte fehlen, um die Zyprioten von Platz 15 zu verdrängen. Es ist der letzte Platz, der zur Teilnahme von fünf Teams berechtigt. So aber kann Tschechien in der übernächsten Saison nur mit vier Mannschaften an den Start gehen. Das war zuletzt in der Saison 2014/15 der Fall. Für Slavias Club-Ikone Pavel Kuka, der in den 1990er Jahren auch in der deutschen Bundesliga spielte, ist jedoch ein anderes Kriterium viel wichtiger:
„Es geht weniger darum, wie viele Mannschaften wir für die europäischen Wettbewerbe melden können, sondern vielmehr darum, dass wir weitere zwei Clubs haben, die sich auch tatsächlich für die Gruppenphase eines Wettbewerbs qualifizieren können.“
Mit anderen Worten: Vereine wie Sparta Prag, Viktoria Pilsen oder der FK Jablonec müssen international zulegen, wenn der tschechische Fußball auf europäische Bühne aus seiner Statistenrolle heraustreten soll. Das hat zuletzt nur Slavia Prag geschafft. Und die Rot-Weißen ernten dafür nun auch den Lohn. In der heimischen Liga liegen sie sieben Spieltage vor Saisonende mit 17 Punkten Vorsprung nahezu uneinholbar auf Platz eins. Daher dürfte ihnen der Titelhattrick nicht mehr zu nehmen sein. Dank der starken Auftritte in Europa ist Slavia nun in der Meisterrunde der Qualifikation zur Champions League gesetzt. Und das völlig zurecht, betont Günter Bittengel:
„Slavia hat sich das verdient, denn diesen Bonus hat sich die Mannschaft selbst erkämpft. Fakt ist, dass Slavia nicht nur in dieser Saison, sondern nun schon drei, vier Jahre international gut mithält. Ich stimme aber Pavel Kuka zu, wenn er sagt, dass uns derzeit weitere Teams fehlen, die auf europäischer Bühne punkten. Die Punkte für den Koeffizienten hat zuletzt fast ausschließlich Slavia gesammelt, andere Teams aus der tschechischen Liga haben da nur wenig geleistet.“
Pavel Kuka: „Es geht weniger darum, wie viele Mannschaften wir für die europäischen Wettbewerbe melden können, sondern vielmehr darum, dass wir weitere zwei Clubs haben, die sich auch tatsächlich für die Gruppenphase eines Wettbewerbs qualifizieren können.“
Der Erfolg hat indes auch seinen Preis. Denn er weckt Begehrlichkeiten, denen Verein wie Spieler kaum wiederstehen können. So spielen die Leistungsträger des Erfolgsteams von 2018/19 mittlerweile in anderen europäischen Ligen, in denen es auch mehr zu verdienen gibt. Alex Král kickt jetzt für Spartak Moskau, Michael Ngadeu bei KAA Gent in Belgien, und Jaromír Zmrhal wechselte zu Brescia Calcio in die italienische Serie A – allerdings ist der Verein mittlerweile in die Serie B abgestiegen. Ganz groß eingeschlagen aber haben Tomáš Souček und Vladimír Coufal. Beide sind Stammspieler des englischen Premier-League-Vereins West Ham United, mit dem sie in dieser Saison sogar um einen Champions-League-Platz kämpfen. Begeistert vom Auftreten der beiden Ex-Slavia-Spieler ist auch der langjährige Keeper der tschechischen Nationalmannschaft Petr Čech. In seiner aktiven Karriere stand Čech 15 Jahre lang in England bei Chelsea und Arsenal London zwischen den Pfosten. Gegenwärtig arbeitet der 38-Jährige im Management des FC Chelsea und hält sich dort zudem als Reservetorwart fit. Über den derzeit besten tschechischen Verein sagt er:
„Ich denke, es wird interessant sein zu beobachten, wie viele Spieler von Slavia am Ende der Saison ein lukratives Angebot erhalten. Oder anders gesagt, ob es gelingen wird, diese Spieler im Kader zu halten.“
Gerüchten zufolge stehen Lukáš Provod und Abdallah Sima ganz oben auf der Wunschliste mehrerer ausländischer Vereine. Wer aber die Arbeit von Trainer Jindřich Trpišovský genau verfolgt, der weiß: Auch in der nächsten Saison könnte Slavia wieder mit einer schlagkräftigen Truppe durch Europas Fußballarenen ziehen.