Gerichtsprozess gegen Protektoratsregierung begann vor 75 Jahren
Vor 75 Jahren, am 29. April 1946, wurde in der Tschechoslowakei der Gerichtsprozess gegen Mitglieder der Protektoratsregierung eröffnet.
Die Richter mussten über eine schwierige Frage entscheiden: Was gilt noch als passives Verhalten, und in welchem Fall kann man schon von einer Kollaboration mit dem NS-Regime sprechen? Auf der Anklagebank saßen mehrere Minister der Regierung im sogenannten „Protektorat Böhmen und Mähren“. Der Tschechoslowakische Rundfunk strahlte im Frühling 1946 einen Mittschnitt des Gerichtsverfahrens aus: „Wer hat bei der Führung des Volkes und des Staates versagt, sich an der Republik und am tschechischen Volk schwer versündigt – auch wenn dieses Versagen nicht auf einen Mangel an gutem Willen und Anstrengung zurückzuführen war, sondern auf einen Mangel an körperlicher, geistiger und charakterlicher Stärke?“
Der Anklage nach hatten sich die Politiker der Verletzung der nationalen Ehre schuldig gemacht. Der Historiker Vojtěch Kyncl von der tschechischen Akademie der Wissenschaften sagte dazu gegenüber den Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks:
„Der Hauptanklagepunkt war die Zusammenarbeit mit der Okkupationsmacht und Durchsetzung der Ideologie der NSDAP im Protektorat.“
Unter den Angeklagten war auch der Vorsitzende der Protektoratsregierung, Jaroslav Krejčí. Er hat die Funktion nur wenige Monate nach der Ernennung von Reinhard Heydrich zum stellvertretenden Reichsprotektor übernommen. Das Kabinett Krejčí regierte von Anfang 1942 bis Januar 1945. Vojtěch Kyncl:
„Man könnte sagen, dass die gesamte Regierung und Präsident Hácha nach der sogenannten ‚Heydrichiade‘ eigentlich hätten zurücktreten müssen. Anderseits kann man vermuten, dass die Regierungsmitglieder ihren Verbleib in den Funktionen nicht als eine Form der Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten betrachteten, sondern als eine Möglichkeit, deren aggressive Politik zu bremsen.“
Die Person von Krejčí findet bei den Historikern heute eine nicht so scharfe Verurteilung wie andere Politiker des Protektorats. Er sei kein leidenschaftlicher Anhänger des Nationalsozialismus gewesen wie etwa der Protektoratsminister für Bildung und Aufklärung Emanuel Moravec, sagt Kyncl:
„In der Geschichtswissenschaft sind wir heute der Meinung, dass er ein Mann war, der in gewissem Maße als Bremser des Besatzungsregimes fungierte. Oder zumindest versuchte, die Probleme gewissermaßen zu lindern. Man kann dagegen natürlich auf Fotos verweisen, auf denen er sich in offenbar ehrlich gemeinter guter Stimmung mit Vertretern der nationalsozialistischen Protektoratsspitze unterhält. Es ist aber schwierig, ihn für seine Haltung während des Krieges direkt zu verurteilen.“
Am 31. Juli 1946 wurden die Urteile gefällt. Die Richter verhängten für keinen der Angeklagten eine Todesstrafe, wie es der Prokurator gefordert hatte. Am strengsten bestraft wurden Landwirtschaftsminister Adolf Hrubý und der politische Sekretär von Präsident Hácha, Josef Kliment. Sie wurden zu lebenslangem Freiheitsentzug verurteilt. Gegen den ehemaligen Premier Jaroslav Krejčí wurde eine Haftstrafe von 25 Jahren verhängt.