Fußball-EM: Tschechiens Teamgeist schlägt Hollands Individualisten
Es gibt ein ungeschriebenes Fußball-Gesetz, das besagt: Die Vorrunde einer WM oder EM ist der eine, die anschließende K.o.-Phase aber ein völlig neuer Wettbewerb. Da können anscheinende Goliaths plötzlich ins Straucheln geraten, während ein vermeintlicher David über sich hinauswächst. Eine solche Geschichte wurde am Sonntag in Budapest geschrieben: Der Underdog Tschechien bezwang den Favoriten Niederlande im EM-Achtelfinale mit 2:0.
Eine mit über 50.000 Zuschauern gefüllte Puskás Aréna, darunter 7000 Fans aus Tschechien – das war die Zutat, mit der das Achtelfinalmatch zwischen Tschechien und den Niederlanden am Sonntag garniert war. Und die tolle Stimmung, in der ersten Halbzeit auch mehrfach von den vielleicht 25.000 holländischen Fans getragen, trug wesentlich dazu bei, dass sich dann nach dem Seitenwechsel eine hochspannende Partie entwickelte. Das erste dramaturgische Stück gab es in der 52. Minute:
„Der holländische Stürmer Donyell Malen läuft allein auf das tschechische Tor zu, doch Torhüter Tomáš Vaclík klärt gegen ihn mit einer phantastischen Parade“, jubelte Rundfunkreporter Jan Suchan in dieser Szene.
Auch Verteidiger Tomáš Kalas würdigte die große Tat des Keepers:
„Vaclík hat uns im Spiel gehalten, wofür wir ihm dankbar sind. Aber auch wir in der Abwehr haben 90 Minuten dafür gerackert, dass hinten nichts anbrennt.“
In der Tat, bis auf diese Riesenchance hatten es die Niederländer äußerst schwer, gegen die kompakt stehende tschechische Mannschaft zum Abschluss zu kommen. Und nur eine Minute später kippte das Spiel völlig: Der holländische Verteidiger Matthijs de Ligt wurde vom Platz gestellt, weil er einen möglichen Durchbruch von Schick durch ein Handspiel unterband. Danach wurde Tschechien immer stärker und kam in der 68. Minute zur verdienten 1:0-Führung. Dabei hielt es auch TV-Kommentator Jaromír Bosák nicht mehr auf seinem Sitz, als er das Kopfballtor von Tomáš Holeš kommentierte.
Der Mittelfeldspieler von Slavia Prag, der mit seiner Lauffreude seine namhaften Gegenspieler Wijnaldum und De Jong fast vollständig aus dem Spiel nahm, hatte in der 80. Minute noch einen weiteren großen Moment: Nach einem schlechten Zuspiel der Holländer stieß er bis in deren Strafraum vor und legte Angreifer Patrik Schick den Ball maßgerecht zu dessen viertem Turniertor auf. Nach der Partie wurde Holeš verdient zum „Star of the match“ gewählt:
„Das ist wie ein Traum für mich, denn es war bestimmt das beste Spiel in meiner bisherigen Karriere. Und was gibt es Schöneres, als bei einer Europameisterschaft für die Nationalmannschaft zu spielen, und das vor vielen Tausend Fans, die uns unterstützt haben. Es war ein tolles Spiel, ich habe es genossen.“
Holeš war der Beste, doch Goalgetter Schick hob zudem hervor:
„Heutzutage ist nicht so sehr entscheidend, welch guter Fußballer man ist. Möglicherweise spielen die Niederländer in größeren Clubs und sind auch technisch besser als wir. Doch wir haben heute unseren Teamgeist und viel Einsatz gezeigt, jeder hat seinen Nebenmann unterstützt. Das war der Schlüssel zum Erfolg. Wir sind wirklich stolz auf das, was wir geboten haben. Niemand hat wohl erwartet, dass wir ins Viertelfinale kommen.“
Einen nicht unerheblichen Anteil daran hat indes auch Trainer Jaroslav Šilhavý. Der Fußballlehrer hatte die richtigen Konsequenzen aus dem England-Spiel gezogen: Er stellte auf drei Positionen um und gab der Mannschaft ein maßgeschneidertes taktisches Konzept mit auf den Weg. Nach dem Abpfiff konstatierte er:
„Meine Freude ist groß, und zwar nicht nur über das Weiterkommen gegen einen sehr starken Gegner, sondern auch über unsere Leistung. Die Mannschaft hat in jeder Hinsicht überzeugt, sowohl taktisch als auch kämpferisch. Nach dem Platzverweis gegen die Niederlande haben wir unsere Chance genutzt und zwei Tore erzielt. Die Jungs haben heute gezeigt, wie stark sie als Team sind.“
Tschechien erwies sich einmal mehr als Angstgegner für die Niederlande. Und nach dieser Leistung durfte man zudem nach langer Zeit wieder mit den Fans gemeinsam feiern. Tomáš Souček:
„So sollten Fußballspiele sein. Wir haben solch eine Stimmung erstmals nach anderthalb Jahren wieder erlebt. Es sind so viele Fans aus Tschechien angereist, und ich bin sehr froh, dass wir ihnen unseren Teil zurückgeben konnten. An dieses Erlebnis werden wir und sie uns stets erinnern.“
Im Viertelfinale trifft die tschechische Mannschaft nun am Samstag in Baku auf das Team aus Dänemark. Trainer Šilhavý:
„Wir haben großen Respekt vor dem Gegner, auch wenn er keinen solch klangvollen Namen hat wie beispielsweise Frankreich oder Deutschland. Nach den Problemen um Christian Eriksen zu Turnierbeginn ist Dänemark immer besser ins Rollen gekommen. Es ist eine gute Mannschaft, daher wartet auf uns keine leichte Aufgabe.“
Sollte Tschechien diese Runde auch noch überstehen, dann wartet im Halbfinale in London womöglich Gastgeber England oder aber Deutschland auf die Šilhavý-Truppe.