Lipavský fordert im UN-Sicherheitsrat internationales Tribunal zu Russlands Krieg in der Ukraine
So nah ist in den vergangenen Monaten kein tschechischer Staatsmann einem der Hauptverantwortlichen für den Krieg in der Ukraine gekommen. Außenminister Jan Lipavský (Piraten) war am Donnerstag Gastredner im UN-Sicherheitsrat und fand sich damit im gleichen Saal mit seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow wieder.
Nachdem Lipavský schon am Mittwoch in der Vollversammlung der Vereinten Nationen am Rednerpult gestanden hatte, hat er mit seinem Auftritt im Sicherheitsgremium einen Tag später sein Hauptprogramm in New York erfüllt. Es ist fast 30 Jahre her, dass ein tschechischer Politiker vor dem UN-Sicherheitsrat eine Rede hielt. Und so würdigte Lipavský auch im öffentlich-rechtlichen Tschechischen Fernsehen (ČT) am Morgen vor seiner Ansprache deren Bedeutung:
„Es ist tatsächlich so, dass Tschechien nach vielen Jahren wieder vor dem Sicherheitsrat auftritt. Dies ist eine Gelegenheit, unseren Bedenken bezüglich der Sicherheit Europas Ausdruck zu geben. Ich halte es für einen großen Erfolg der tschechischen Diplomatie, dass wir dort unsere Haltung vortragen können.“
Auf der Rednerliste stand, als Vertreter eines der fünf ständigen Mitgliedsstaaten, auch Sergej Lawrow. Der russische Außenminister hatte entgegen der geltenden Sanktionen kurzfristig doch die Genehmigung der Amerikaner erhalten, ins Land einzureisen und an der Sitzung teilzunehmen. Erwartungsgemäß verteidigte er das Vorgehen Russlands in der Ukraine und behauptete zudem, dass der globale Westen angebliche „Verbrechen des ukrainischen Regimes“ decke.
Jan Lipavský bezeichnete die Rede gegenüber dem Tschechischen Rundfunk als „eine Ansammlung von Lügen und Geschwätz“. Den Kontakt zu den anderen Anwesenden habe Lawrow vermieden und sich keine anderen Reden angehört, berichtete der tschechische Außenminister:
„Lawrow ist kein großer Diplomat, er ist nur ein ganz ordinärer Lügner. Er kam lediglich für seine Stellungnahme in den Saal und ergriff dann feige wieder die Flucht. Es muss erkannt werden, dass gewisse Schritte Russlands wirklich die gesamte internationale Gemeinschaft nervös machen. Dazu gehören etwa das Geschehen rund um einige Kernkraftwerke sowie die Drohungen mit Atomwaffen. Dies sind harte Brocken, sogar für Staaten wie China oder Indien – auch wenn dies in deren Rhetorik nicht gleich zu erkennen ist.“
Bei der UN-Vollversammlung in New York sei zu spüren gewesen, dass der Druck auf Russland zunehme, so die Beobachtung des tschechischen Diplomatiechefs. Der amerikanische Präsident Joe Biden etwa habe jegliche bilateralen Gespräche mit russischen Politikern am Rande des UN-Plenums verweigert. Trotzdem gebe es immer noch Bemühungen um einen Dialog, so Lipavský weiter im Rundfunkinterview:
„Die Verhandlungen mit den Russen verlaufen auf verschiedenen Ebenen. Tschechien hat allerdings keine direkten diplomatischen Verbindungen mit ihnen. Aber die großen Staaten reden natürlich im Hintergrund mit Russland, und Themen dafür gibt es genug.“
Als Vertreter Tschechiens wiederholte Lipavský in seiner Rede vor dem UN-Sicherheitsrat die Forderung nach einem internationalen Tribunal zur Aufarbeitung russischer Kriegsverbrechen in der Ukraine. Er habe den Krieg eindeutig verurteilt, sagte er über seinen Auftritt:
„Wenn es in den internationalen Beziehungen zur Normalität wird, dass sich die Staaten gegenseitig angreifen, ist das absolut nicht hinnehmbar. Darum müssen wir alles dafür tun, dies zu vermeiden. Gesprochen habe ich außerdem über das Jahr 1968 und dass auch wir damals Opfer einer russischen Aggression geworden sind.“
Damit bezog sich der Minister auf die Niederschlagung des Prager Frühlings durch den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen. Die eigene Geschichte hatte Lipavský schon am Mittwoch in der UN-Vollversammlung angebracht, als er sich auf den ehemaligen tschechischen Präsidenten Václav Havel bezog. Dessen Vermächtnis und Einsatz für die Menschenrechte würden die Außenpolitik der tschechischen Regierung bis heute anleiten, betonte Lipavský in New York.
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Radio Prague International berichtet über den Krieg in der Ukraine