Pendler 2.0: Günstige Mieten in Zittau ziehen Tschechen an, zur Arbeit fahren sie über die Grenze
Die Mieten und Immobilienpreise im sächsischen Zittau liegen weit unter denen in Tschechien. Das zieht mittlerweile zahlreiche Menschen aus dem Nachbarland an, die in Deutschland leben und zur Arbeit über die Grenze in ihr Heimatland pendeln. Auch als Investition erfreuen sich die Wohnungen und Häuser in Zittau einer großen Beliebtheit bei Tschechen.
Ich bin zu Besuch in Zittau – oder „Žitava“, wie man auf Tschechisch sagt. In einigen Artikeln habe ich gelesen, dass immer mehr Tschechen in die sächsische Grenzstadt ziehen, da die Mieten hier günstiger sind als im eigenen Land.
Vom Bahnhof aus starte ich meinen Spaziergang ins Zentrum. Der Grund für die niedrigen Immobilienpreise in der Stadt im Dreiländereck ist angeblich der Wohnungsleerstand.
Und tatsächlich: Überall hängen Schilder, die mich anschreien: „Zu verkaufen“, steht da in schwarzen Blockbuchstaben auf einem gelben Plakat an einer Fassade, nur wenige Meter vom Bahnhof entfernt. „Zu vermieten“, heißt es an einem anderen Haus, lediglich ein paar Schritte weiter. Und direkt auf dem Marktplatz: „140 Quadratmeter! Büro, Praxis, Kanzlei – Aufteilung frei wählbar!“
Zittau hat tatsächlich ein Problem mit dem Leerstand, so scheint es. Oder ist dieser Eindruck nur meiner selektiven Wahrnehmung geschuldet, nachdem ich im Vorhinein zum Thema recherchiert habe? Ich frage beim Oberbürgermeister der Stadt nach, denn der muss es ja wissen. Seit acht Jahren schon ist Thomas Zenker im Amt. Was sagt er zum Wohnungsnotstand?
„Das ist eine große Herausforderung für Zittau. Wir haben mehrere große Gesellschaften und Genossenschaften, die einen umfangreichen Bestand verwalten. Dieser stammt noch aus DDR-Zeiten. Die Fehlentwicklungen von vor 1989 dauern leider bis heute an. Die großen Neubaugebiete rund um den Stadtkern tragen natürlich nicht dazu bei, dass sich der qualitativ höherwertige Altbaubestand gut füllt.“
Nach der Wende gingen die Einwohner weg
Zu DDR-Zeiten erreichte die Einwohnerzahl Zittaus einst ihr historisches Hoch. Denn die Kohleförderung und die Textilindustrie lockten viele Menschen in die Stadt in der Oberlausitz. So war der VEB Mechanische Weberei Zittau das größte Unternehmen seiner Art im damaligen sozialistischen Staat. Und auch die volkseigenen Robur-Werke, in denen Nutzfahrzeuge hergestellt wurden, trugen zum Bevölkerungswachstum bei. Zeitweilen hatte der Betrieb tausende Angestellte.
1980 lebten noch über 40.000 Menschen in Zittau, doch dann kam die Wende. Die Betriebe schlossen, und die Menschen gingen anderswohin, vor allem in die alten Bundesländer. 2021 hatte die Stadt noch knapp 26.000 Einwohner – fast die Hälfte der Zahl von 1950.
Doch nun könnte der Bevölkerungsrückgang immerhin leicht abgebremst werden. Denn zahlreiche Menschen aus dem Nachbarland würden nach Zittau ziehen, heißt es vielerorts. Thomas Zenker bestätigt die Informationen. Es gäbe viele Tschechen in der Stadt, sagt er, und es würden immer mehr:
„2019 gab es hier 291 gemeldete Anwohner aus Tschechien. 2020 waren es 358, und 2021 haben hier 393 Menschen aus dem Nachbarland gelebt. Aktuell sind hier 447 tschechische Staatsbürger gemeldet. Dies beinhaltet aber noch nicht diejenigen, die Häuser kaufen. Denn da ist der Meldestand ein anderer.“
Das klingt nach einem stattlichen Zuwachs. Oberbürgermeister Zenker ist aber auch bemüht, die Zahlen in den richtigen Kontext zu setzen:
„Bei 25.000 Einwohnern ist dies keine große Zahl, so ehrlich müssen wir bleiben. Aber auf dem Häusermarkt gibt es auf jeden Fall eine sehr lebendige Entwicklung.“
Die Immobilienpreise liegen deutlich unter denen in Tschechien
Viele Tschechen würden durch die niedrigen Immobilienpreise angelockt, die deutlich unter denen in der Gegend um Liberec / Reichenberg liegen würden, so Zenker weiter. Doch nicht immer seien sie die idealen Hauseigentümer…
„Mitunter erkennen die Menschen erst nachdem sie etwas erworben haben, wie man in Deutschland baut, was es für Vorschriften gibt, wie der Denkmalschutz agiert und wie teuer das Bauen ist. Es gibt deshalb einige Bestände in Zittau, die lange eines traurigen Daseins fristen, bevor schließlich doch in sie investiert wird. Und zu den Eigentümern zählen leider auch Tschechen.“
Thomas Zenker pflegt, so scheint es, eine gute Beziehung zu den Nachbarn aus Polen und Tschechien. 2016 zog er öffentlichkeitswirksam für zwei Wochen ins böhmische Liberec und tauschte zeitweise mit seinem dortigen Amtskollegen den Wohnsitz. Das Potential Zittaus aufgrund der niedrigen Immobilienpreise wolle man darum nicht missbrauchen und keine großen Werbekampagnen starten, betont er:
„Kommunen finanzieren sich unter anderem über die Einwohnerzahlen. Es wäre deshalb in meinen Augen keine gute Nachbarschaft, wenn wir versuchen würden, unseren Partnerstädten offensiv die Einwohner abzuwerben. Was allerdings die Vermieter tun, kann ich nicht steuern. Es gibt einige, die deutlich aktiver vorgehen und teils auch mit Immobilienbüros in Tschechien zusammenarbeiten.“
Auf ein Bier beim deutsch-tschechischen Stammtisch
Ortswechsel. Knappe fünf Fußminuten sind es vom Rathaus zur Kulturkneipe Jolesch in der Hillerschen Villa. Es ist Donnerstagabend, und wie immer kommt hier der deutsch-tschechische Stammtisch Zittaus zusammen. Deutsch-tschechisch? Naja. Heute bin ich hier der einzige Quotendeutsche. Die Tafel an der Wand bewirbt „eingelegten Camembert mit Brot“ – also den klassischen tschechischen „nakládaný hermelín“. Dazu gibt es aus dem Nachbarland auch Bier vom Fass. Das erste trinke ich mit Jana, die mit ihrem Mann Josef hier ist:
„Wir sind neu hier und erst das zweite oder dritte Mal beim Stammtisch dabei. Allerdings sind wir in der zugehörigen WhatsApp-Gruppe und so über jegliche Kapriole, die sich mitunter an den Donnerstagen abspielt, bestens informiert. Wann immer wir können, fahren wir hierher und verbringen den Abend mit den anderen Tschechen, die in der Stadt wohnen.“
Die Immobilie als Geldanlage
Jana und Josef haben von der Möglichkeit, günstig in Zittau zu leben, in der Zeitung erfahren. Die Wohnung, die sich die beiden gekauft haben, würden sie als Geldanlage ansehen, verrät mir Jana:
„Den Großteil der Zeit leben wir in Tschechien. Unseren Urlaub und die Wochenenden verbringen wir aber hier. Auch unsere Freunde und Verwandten besuchen uns gerne in Zittau. Die Gegend ist sehr schön und das Wohnen preislich attraktiv. Wir haben das Ganze deshalb als Investition gesehen und hier unser Geld angelegt.“
Aber nicht nur wegen der günstigen Wohnungspreise sind Jana und ihr Mann nach Zittau gegangen. Die beiden sind auch sportlich sehr aktiv…
„Die Region eignet sich sehr gut zum Felsklettern. Viele Tschechen haben das Umland hier noch nicht erkundet, dabei hat es touristisch ein großes Potential.“
Bei all dem sei für Jana relevant, dass sie sich nicht wie in einem fremden Land fühle:
„Ich spreche kaum Deutsch. Aber wenn ich in einen Laden komme und mit meinem gebrochenen Deutsch anfange, bietet mit der Verkäufer mitunter an, doch Tschechisch zu sprechen. In den Restaurants ist es das Gleiche. Kein Deutsch zu können, ist kein Hindernis, um hier zu leben.“
Außerdem ist Jana begeistert von der Zugverbindung in ihr Heimatland. Gerade einmal eine halbe Stunde braucht man nach Liberec, Erledigungen in Tschechien stellen also kein Problem dar.
Zu vermieten ist schwieriger als in Liberec
Ich nehme an der anderen Seite des Tisches Platz. Da sitzen zwei weitere, die in Zittau investiert haben: Tomáš und Martin.
„Die Anschaffungspreise liegen bei einem Drittel der Summen in Liberec. Drüben habe ich meine Garage verkauft und mir von dem Geld hier ein Haus zugelegt“, erzählt mir Tomáš, der mehrere Wohnungen in Zittau vermietet und hier auch selbst lebt.
Ebenso hat sich Martin entschieden, sein Immobiliengeschäft lieber in Deutschland zu betreiben:
„Vor zehn Jahren haben wir unser erstes Haus gekauft. Wir standen vor der Frage, ob wir dies in Liberec tun wollen, wo ich herkomme, oder in der sächsischen Nachbarstadt. Zittau ist einfach günstiger, deshalb haben wir schließlich hier ein Mehrfamilienhaus erworben. Eine der Wohnungen haben meine Familie und ich bezogen, den Rest haben wir vermietet.“
Seitdem ist noch ein zweites Haus hinzugekommen. In Zittau könne man gut Wohnungen vermieten, so Martin. Denn anders als in Tschechien würden die Menschen in Deutschland weniger wert auf Wohneigentum legen.
Der Leerstand und die günstigen Preise hätten aus Vermietersicht aber auch eine Kehrseite, räumt Martin ein. Die Wohnungen müssten nämlich perfekt in Schuss sein, während man in Liberec so gut wie alles vermieten könne. Er betont zudem einen weiteren Aspekt, in dem sich alle Stammtischteilnehmer einig sind:
„Die Menschen ziehen nicht nur hierher, weil es günstiger ist. Es braucht schon noch einen weiteren Grund, etwa dass man hier arbeitet oder die Kinder in Zittau in die Schule oder den Kindergarten gehen.“
Gründe für einen Umzug nach Zittau gibt es viele
In den Gesprächen mit den Stammtischteilnehmern zeigt sich deutlich, was Martin meint. Jeder, der hier wohnt, scheint einen besonderen Grund zu haben, der einst für Zittau gesprochen hat. Vladans Frau etwa ist Deutsche. Als die Prager Wohnung für die vierköpfige Familie zu klein wurde, entschlossen sie sich, ins Grenzgebiet zu ziehen. Auf der Karte gingen sie mögliche Orte ab…
„Am Ende fiel die Wahl auf Zittau. Aus Sicht der deutsch-tschechischen Erziehung gibt es hier die meisten Möglichkeiten für unsere Kinder. Wir wollten vor allem in eine kleinere Stadt gehen und wussten, dass Zittau schön ist. Und auch die Umgebung ist super. So sind wir hier gelandet.“
Seit 2020 nun lebt die Familie in Zittau. Seine Frau arbeitet in Deutschland, Vladan selbst pendelt für zwei Tage die Woche zum Arbeiten nach Ústí nad Labem / Aussig. Den Rest der Zeit ist er im Home office. Bisher wohnt die junge Familie in einer Mietwohnung. Mittlerweile hat sich das Ehepaar aber auch ein Haus gekauft, dass es derzeit fleißig saniert.
Deutsch-tschechische Schneeballschlacht
Ähnlich ist die Geschichte von Mirek. Der Abend ist fortgeschritten, mittlerweile bin ich mit allen per Du. Er würde fast jeden Tag zur Arbeit von Zittau nach Tschechien fahren, erzählt mir Mirek. Nachdem er bereits zuvor mit seiner Familie im Grenzgebiet gewohnt hatte, zog er vor drei Jahren in die sächsische Stadt um – aus praktischen Gründen, wie er sagt:
„Das Pendeln war für uns logistisch einfach zu anstrengend. Täglich mussten wir die Kinder in die Autos laden und in die Schule bringen. Hinzu kommt noch, dass meine Frau in Zittau arbeitet. Nun muss nur noch ich pendeln, und das auch nicht täglich. Die anderen fahren mit dem Fahrrad.“
Wie viele Sprösslinge der anderen Stammtischbesucher, besuchen auch Mireks Kinder die sogenannte „Schkola“: eine einzigartige Schule, in der Tschechen, Polen und Deutsche zusammen lernen. Über die Kontakte dort sei die Familie dann auch an ihre Mietwohnung gekommen. Mireks Kinder würden nun zweisprachig aufwachsen und sprächen mittlerweile besser Deutsch als die Eltern. Im Tschechischen hingegen würde ihnen das Schreiben Schwierigkeiten bereiten: „Eine fehlerfreie SMS zu verfassen, das ist einfach zu viel verlangt“, so der Familienvater.
Wie Mirek zudem weiter berichtet, sei die Gemeinschaft der tschechischen und der deutschen Kinder an der Schkola hervorragend. Außer, wenn es eine Schnellballschlacht gebe. Denn dann würden laut Mirek die Deutschen gegen die Tschechen antreten.