Innovation beim Schulzeugnis: Tschechische Lehrer sollen künftig bewerten anstatt zu benoten
Am 31. Januar werden in Tschechien die Zeugnisse mit Noten für das erste Schulhalbjahr vergeben. Sie könnten jedoch bald anders als bisher aussehen.
Auf den meisten Zeugnissen in Tschechien stehen bisher ausschließlich Noten, mit denen die Leistungen der Schüler in den einzelnen Fächern bewertet werden. Experten von der Masaryk-Universität in Brno / Brünn haben in diesen Tagen aber den Entwurf eines neuen Zeugnisses vorgestellt. Sie nennen ihn „Vysvědčení jinak“, also etwa „das andere Zeugnis“. Mit diesem soll besser beschrieben werden, wie gut der jeweilige Schüler lernt und welche Fortschritte er gemacht hat. Das „Andere“ besteht darin, dass das Zeugnis den Schülern und Eltern ein umfangreiches Feedback vermittelt. Michal Černý leitet die Sektion für Vor- und Grundschulbildung im tschechischen Bildungsministerium. In den Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks verglich er die tschechischen Zeugnisse mit jenen im Ausland:
„Ein Schulzeugnis, auf dem wie bei uns nur Noten stehen und sonst nichts anderes, ist europaweit eine Rarität. Vor allem in der ersten Stufe der Grundschulen ist so etwas anderswo fast unvorstellbar.“
Jana Kratochvílová leitet das Institut für Pädagogik an der Masaryk-Universität. Sie hat den Entwurf eines anderen Zeugnisses mitentworfen:
„Es ist an der Zeit, sich nicht nur Gedanken über den Wissensstand der Schüler zu machen, sondern auch über die Schüler als Persönlichkeiten.“
Drei Jahre lang hat Jana Kratochvílová zusammen mit ihren Kollegen an der neuen Zeugnisform gearbeitet. Dabei halfen ihnen Lehrer von Schulen, die bereits Erfahrungen mit einer ausführlichen schriftlichen Bewertung der Schüler haben. Das neue Zeugnis hat sechs Seiten. Auf der ersten Seite finden sich Angaben über den Schüler und die Schule. Das Wichtige komme aber erst auf den folgenden Seiten, merkt Jana Kratochvílová an:
„Die nächste Seite betrifft das Betragen. Auf etwa vier, fünf Zeilen steht eine Mitteilung des Lehrers. Diese gibt den Eindruck des Lehrers wieder, anschließend folgt eine Bewertung des Betragens.“
In den Spalten könnte ihrer Aussage nach beispielsweise stehen: „Der Schüler arbeitet an seiner Entwicklung“ oder „Er erkennt, was ein angemessenes Betragen ist“. Dies kann der Lehrer zudem auf einer Skala mit 1 bis 4 bewerten. Die Expertin:
„Die Nutzung der Skala ist in unserem Zeugnis fakultativ. Obligatorisch ist jedoch, sich dazu wörtlich zu äußern. Damit soll hervorgehoben werden, in welchem Bereich der Schüler Fortschritte gemacht hat, was ihm gelungen ist. Zudem soll er erfahren, auf welchem Gebiet er sich weiterentwickeln sollte.“
Auf den weiteren Seiten des Zeugnisses werden die einzelnen Schulfächer bewertet. Dabei füllt der Lehrer neben einer schriftlichen Mitteilung auch eine Tabelle aus, in der die einzelnen Bereiche des Faches aufgelistet sind. Auf der fünften Seite geht es um praktische Fächer wie Sport. Zu diesen schreibt der Lehrer nur eine verbale Einschätzung ohne Noten und ohne Tabellen. Auf der letzten Seite des Zeugnisses bleibt Raum für eine Selbstbewertung des Schülers.
„Die Selbstbewertung ist sehr wichtig. Damit sagen wir dem Schüler: Wir rechnen mit dir, schreib uns, wie du bist.“
Das neue Zeugnis wurde in Zusammenarbeit mit 115 Lehrern von zehn Schulen und mit mehr als 800 Schülern und ihren Eltern entwickelt. Die Lehrer füllten dabei die Zeugnisse aus. Die Schüler und ihre Eltern erhielten Fragebögen zu der jeweiligen Fassung des Zeugnisses. Diese wurden anschließend vom Team von Jana Kratochvílová ausgewertet. Laut dem Bildungsministerium läuft noch das öffentliche Bekanntmachungsverfahren zum neuen Zeugnis, sodass es vermutlich am Ende des Schuljahrs eingesetzt werden kann.
Interesse haben den Experten zufolge bisher 50 Schulen bekundet. Viele Direktoren wissen allerdings noch gar nicht, dass es dieses neue Zeugnis gibt. Den Schulen ist freigestellt, die Zeugnisse in der neuen Form auszustellen.