Aus der Ostslowakei an die Elbe: Wenn eine Holzkirche umzieht

Nikolaikirche

Diese urige Holzkirche ist ein Bau, den man eher im Osten der Slowakei suchen würde. Eben dort wurde sie vor mehr als 400 Jahren auch gebaut. Heute steht die Nikolaikirche allerdings etwa 600 Kilometer weiter westlich, in Hradec Králové / Königgrätz. Seit ihrer Errichtung erlebte sie gleich drei Umzüge und diente zwei Glaubensgruppen, der griechisch-katholischen und der orthodoxen.

Lucie Šetková | Foto: Markéta Kachlíková,  Radio Prague International

Im Stadtpark von Hradec Králové, am Zusammenfluss der Elbe und der Adler, steht eine kleine Holzkirche. Sie ist einst in Habura errichtet worden, einer Gemeinde im äußersten Osten der Slowakei. Dort gibt es heute eine Kopie. Dem Originalbau war nämlich ein abenteuerlicher Weg in die Welt beschieden. Die Touristenbegleiterin in Hradec Králové, Lucie Šetková, beschreibt das Bauwerk:

„Die hölzerne Kirche ist dreigegliedert. Über jedem der drei Gebäudeteile befindet sich ein Turm mit einer Holzkuppel, wobei der vordere Turm der höchste ist. Die Außenseite ist mit Lärchenschindeln verkleidet. Vor drei Jahren wurde das Gebäude neu angestrichen. Aber erst in etwa 15 Jahren wird die dunkle Farbe zurückkehren, an die wir gewöhnt sind. Beim Bau wurde Tannenholz verwendet und nicht Eibenholz, wie früher angenommen wurde.“

Die Holzkirche St. Nikolaus | Foto: Klára Stejskalová,  Radio Prague International

Die Holzkirche mit drei Türmen

Altar der St.-Nikolaus-Kirche in Hradec Králové | Foto: Klára Stejskalová,  Radio Prague International

Während der jüngsten umfangreichen Instandsetzung wurde zudem die bisherige Schätzung des Alters um hundert Jahre gesenkt. Man hatte nämlich gedacht, die Kirche stamme aus dem Anfang des 16. Jahrhunderts:

„Durch die dendrochronologische Methode wurde anhand der Jahresringe bewiesen, dass die verwendeten Bäume in den Jahren 1605 bis 1609 gefällt worden waren. Mit diesen Angaben kann man daher auch den Baubeginn datieren.“

In Habura wurde die Kirche von der orthodoxen Kirche genutzt. 1740 brannte das Dorf ab. Daraufhin wurde zusammen mit neuen Häusern auch eine Steinkirche gebaut. Die hölzerne Kirche überstand zwar den Brand, wurde aber nicht mehr gebraucht:

„Im 18. Jahrhundert wurde die Kirche, die sich im Eigentum der Gemeinde Habura befand, für 40 Gulden an das nahe liegende Dorf Malá Poľana verkauft. Das Patrozinium der zuvor dem Erzengel Michael geweihten Kirche wurde geändert, nun war sie neu Nikolaus dem Wundertäter geweiht. Die Kirche wechselte aber nicht nur ihren Standort, sondern auch ihr Aussehen wurde verändert.“

Nikolaikirche | Foto: Markéta Kachlíková,  Radio Prague International

Zweimal verkauft und versetzt

In Malá Poľana gehörte der Holzbau der griechisch-katholischen Kirche und diente bis 1915 ihrem Zweck. Im Ersten Weltkrieg wurde sie allerdings stark beschädigt. Und auch nicht diese Kleingemeinde in der Ostslowakei sollte ihr Standort bleiben…

„Am 16. April 1934 kaufte die Stadt Hradec Králové auf Vorschlag des Bürgermeisters Josef Pilnáček das Gotteshaus. In ihrem Besitz befindet es sich bis heute, wobei es in den letzten Jahren an die orthodoxe Kirche vermietet wurde. Im Laufe des Jahres 1935 wurde der Bau in einer Rekordzeit von drei Monaten demontiert. Die Bauteile und Gegenstände für die Liturgie wurden in elf Kisten verstaut und per Eisenbahn nach Hradec Králové gebracht. Vom Bahnhof fuhr man die Fracht mit Pferdefuhrwerken in den Jirásek-Park. Man wählte einen Standort, der dem ursprünglichen möglichst ähnlich sein sollte.“

Foto: Klára Stejskalová,  Radio Prague International

Die Stadtführung bezahlte für die Kirche damals 12.000 tschechoslowakische Kronen. Als sie aus der Slowakei überführt wurde, begleiteten die Dorfeinwohner sie in einem Trauerumzug. Die Frauen zogen Trachten an und weinten, und die Männer spielten Musikinstrumente. Und warum hat sich die Stadt Hradec Králové entschieden, eine Kirche zu kaufen?

„Man wollte eine Gedenkstätte für die im Ersten Weltkrieg gefallen Soldaten der tschechoslowakischen Legionen errichten. Die Kirche war als solche gedacht. Es war in jener Zeit beliebt, Holzkirchen aus dem Osten auf das Gebiet Tschechiens zu überführen. Neben dieser wurden noch weitere fünf transportiert. Aber nur diese stammte als einzige aus der Ostslowakei, die übrigen aus der Karpatoukraine.“

Am 28. Oktober 1935 wurde die Gedenkstätte feierlich eröffnet. Das Gelände im Jirásek-Park, auf dem sie noch heute steht, ist von einem Holzzaun mit einer Schindelkrone umgeben. Links von der Kirche erhebt sich ein Holzkreuz mit Symbolen der Passion Christi.

Gedenkstätte für die Gefallenen im Ersten Weltkrieg

Nikolaikirche | Foto: Markéta Kachlíková,  Radio Prague International

In den Jahren 2016 bis 2019 wurde die Kirche einer umfassenden Renovierung unterzogen. Sie erhielt eine neue Verkleidung, und ihre reiche Ausstattung sowie die Wandmalereien wurden restauriert. Zudem wurde ein modernes Brandschutzsystem installiert. Infolge dessen kann sie heute nicht mehr als Gotteshaus genutzt werden, sondern ist als Museum für die Besucher zugänglich. Die Renovierung brachte auch eine Überraschung: Fast einhundert Jahre nach dem Umzug aus der Slowakei wurde unter dem Altar ein Mühlstein entdeckt, der ein Symbol des Lebens ist. Lucie Šetková führt uns in die Kirche:

„Der Innenraum ist dreigeteilt. Die Apsis, also der Altarraum ist jener Bereich, in dem der Priester die gottesdienstlichen Handlungen vollzog. Weiter gibt es das Kirchenschiff, in dem sich die Gläubigen versammelten. Und zum Dritten den Vorraum, der als Babynez bezeichnet wird und für büßende Sünder sowie Frauen bestimmt war.“

Foto: Klára Stejskalová,  Radio Prague International

Die Begleiterin zeigt auf ein Bild auf der linken Seite der Kirche:

„Ich möchte auf dieses Gemälde hinweisen. Es zeigt Erzengel Michael, dem die Kirche ursprünglich geweiht war. Aber auch Gott der Vater ist zusehen. Das ist einzigartig, denn er wird nicht oft dargestellt. Dieses Gemälde wurde bei der jüngsten Instandsetzung der Kirche als Deckbrett am Hauptaltar gefunden.“

Zwischen dem inneren Kirchenschiff und dem Altarraum steht die Ikonostase, eine mit Ikonen geschmückte Wand mit drei Türen.

„Unsere Ikonostase ist reich mit Gold und Polychromie verziert und stammt aus dem 18. Jahrhundert, also aus der Barockzeit.“

Vier Reihen von Ikonen

Der Aufbau einer Ikonostase untersteht bestimmten Regeln. Die Bilderreihenfolge ist strikt vorgegeben.

Foto: Klára Stejskalová,  Radio Prague International

„Die Ikonostase besteht je nach der Größe der jeweiligen Kirche aus mehreren Reihen. Bei uns gibt es vier Reihen von Ikonen. Die wichtigsten Bilder findet man in der ersten Reihe unten. Von links nach rechts sieht man zunächst den ursprünglichen Schutzpatron der Kirche, Erzengel Michael, dann die Gottesmutter mit dem Jesuskind, weiter Jesus mit einem Evangelienbuch und unten rechts dann Nikolaus von Myra, den Schutzpatron der Kinder und Wundertäter.“

Die zweite Reihe sei die sogenannte Festtagsreihe, fährt die Stadtführerin fort:

„Hier werden Szenen aus dem Leben der Jungfrau Maria gezeigt. In der Mitte dieser Festtagsreihe sehen wir die Ikone mit dem Motiv des letzten Abendmahls. Interessant ist, dass der Judas auf diesem Bild einen Geldbeutel in der Hand festhält. Wir wissen also schon, dass er seinen Verrat begangen hat.“

Lucie Šetková zeigt auf weitere Bilder:

„In der dritten Reihe sehen wir in der Mitte den segnenden Christus, seitlich begleitet von Johannes dem Täufer und der Gottesgebärerin. Links und rechts stehen ihm jeweils sechs Apostel zur Seite, im blauen Feld über jedem der Apostel steht dessen Name.“

Foto: Markéta Kachlíková,  Radio Prague International

Auf der Spitze der Ikonostase sitzt ein achteckiges Kreuz.

Nikolaikirche | Foto: Markéta Kachlíková,  Radio Prague International

„Es wird durch die sogenannte Arma Christi, also Leidenswerkzeuge, ergänzt. Das sind Foltergeräte und Gegenstände, die in Beziehung zum Leiden und Sterben Jesu Christi stehen. Wir haben hier die Lanze und den mit Essig getränkten Schwamm an einem Rohr. Und ganz oben sehen wir jeweils drei reich geschmückte und geschnitzte Bildnisse – jedes zeigt zwei Propheten des Alten Testaments mit Rollen, auf denen ihre Namen geschrieben stehen.“

Vom großen Wert der Holzkirche in Hradec Králové zeugen die Wandmalereien, die nach der Entfernung der Ikonostase an den Außenwänden gefunden wurden. Die bemalten Balken zeigen biblische Szenen, wie etwa das Letzte Abendmahl.

„Erhalten geblieben ist auch eine kyrillische Inschrift. Dort steht in etwa, wenn der Mensch sterbe, schwinge der Tod die Sense.“

Die Zwillingskirchen

In der Mitte der Ikonostase befindet sich die königliche Tür. Sie wird auch das heilige Tor oder Zarentor genannt. Durch diese Tür dürfen während des Gottesdienstes nur Priester treten. Sie führe zum Altarraum in der Apsis, sagt Šetková abschließend:

„In der Apsis gibt es zwei Tische. Den zentralen Tisch und einen kleineren, der links hinten steht und als žertvennik, also Rüsttisch bezeichnet wird. Dort werden Wein und Brot für die Eucharistie vorbereitet.“

Das Gotteshaus ist eines aus der Gruppe der erhalten gebliebenen typisch slowakischen Sakralbauten aus Holz. Acht von ihnen wurden im Jahr 2008 zu Denkmälern der Unesco erklärt. Die Kirche von Hradec Králové konnte allerdings nicht in die Liste des Weltkulturerbes eingetragen werden, da sie sich nicht an ihrem ursprünglichen Standort befindet. Eben dort, in der ostslowakischen Gemeinde Habura, hat sie dennoch heute eine Zwillingsschwester. Nachdem die Bemühungen der Gemeinde gescheitert waren, die Kirche aus Tschechien zurückzubekommen, wurde dort 2011 nämlich eine getreue Nachbildung errichtet.

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