„Dvořák ist in Nelahozeves allgegenwärtig“: Geburtshaus des Komponisten kurz vor Wiedereröffnung
Am 1. Mai jährt sich der Tod des weltberühmten tschechischen Komponisten Antonín Dvořák zum 120. Mal. Aus diesem Anlass blicken wir nun nicht auf das Ende, sondern auf den Anfang seines Lebens. Denn in seinem Heimatdorf Nelahozeves wird derzeit sein Geburtshaus renoviert, und dort wird bald eine neue Ausstellung eröffnet. Markéta Kachlíková hat Eleonore Kinsky, die Musikologin der Lobkowicz-Sammlungen und Kuratorin des Geburtshauses, vors Mikrophon gebeten.
Antonín Dvořák ist am 8. September 1841 in Nelahozeves geboren, einer kleinen Gemeinde am Ufer der Moldau nördlich von Prag. Was für eine Familie war es, in der Dvořák zur Welt kam?
„Die Familie Dvořák war eine sehr einfache Familie. Das Haus, in dem er geboren wurde, war ein Wirtshaus vom Dorf und gehörte gar nicht den Dvořáks, sondern wurde ihnen von der Familie Engelhardt vermietet. Der Vater, František Dvořák, war Fleischer und bewirtschaftete eine Fleischerei in einem anderen Haus in Nelahozeves. Aber die jungen Dvořáks, František und seine Frau Anna, sind gleich nach ihrer Hochzeit in diese gerade neu renovierte Dorfschenke gezogen und haben dort ihr erstes Kind, den Antonín, bekommen.“
Wie waren die Kindheitsjahre Antonín Dvořáks in Nelahozeves? Wurde schon dort seine Beziehung zur Musik geprägt?
„Auf jeden Fall. Ich glaube, Dvořák wuchs mit sehr viel Musik um sich herum auf. Dadurch, dass der soziale Hintergrund sehr einfach war, bildeten aber keine hochkarätigen Klavierstunden, sondern die Dorfkapelle, die Musik und das Singen in der Kirche und der Violinen-Unterricht seine musikalischen Erfahrungen. Aber von dem, was wir herausgefunden haben, war Musik wirklich allgegenwärtig, von singenden Menschen auf dem Feld bis zu der etwas feierlicheren Musik in der Kirche. Es gibt auch eine kleine Anekdote, die vielleicht gar nicht so unwahr ist. Es wird erzählt, dass am 8. September, also zu seiner Geburt, im Gasthaus getanzt wurde. Ich dachte mir am Anfang, dass das nicht stimmen kann, hauptsächlich weil sein Geburtstag nicht an einem Sonntag war. Aber dann fand ich heraus, dass der 8. September der Tag der Geburt der Jungfrau Maria ist. Das war natürlich ein Feiertag, und deswegen kann es sehr gut sein, dass während er geboren wurde, gleich nebenan getanzt und Musik gespielt wurde.“
Dvořák wuchs mit Musik um sich herum auf
Und bis wann hat er in Nelahozeves gelebt?
„Dvořák hat seine frühen Kindheitsjahre dort verbracht, bis er die Grundschule fertig hatte. Also zwölf Jahre. Dann ist er nach Zlonice / Slonitz gegangen, wo ein Onkel wohnte. Seine Familie war aber weiter in Nelahozeves, das heißt, er reiste immer wieder hin und her und spielte auch weiterhin in der Nelahozeveser Kapelle. Erst als seine Eltern dann 1855 nachgezogen sind, kam er wohl seltener nach Nelahozeves. Aber der Ort war weiterhin für ihn wichtig. Wir wissen von mehreren Malen, als er als Erwachsener einfach so nach Nelahozeves zurückkehrte. Einer dieser Besuche ist auch sehr gut dokumentiert, das war in den 1880er Jahren, wo ihn die Presse begleitete und Fotos gemacht wurden. Und dazu kommt noch, dass die Bahnstrecke zwischen Prag und Dresden beziehungsweise Hamburg durch Nelahozeves führt. Jedes Mal, wenn er seinen Verleger Simrock mit dem Zug in Berlin besuchte oder wenn er von Hamburg aus nach England und nach Amerika reiste, fuhr er daher durch Nelahozeves.“
Heute wird an Dvořák in einer Gedenkstätte in dem ehemaligen Gasthaus erinnert. Im Moment ist da viel los, weil gerade eine neue Dauerausstellung vorbereitet wird. Wie war in der Vergangenheit das Schicksal des Hauses? Seit wann befindet sich dort ein Museum?
„Das Haus war seit seiner Erbauung im 17. Jahrhundert immer die Dorfschenke in Nelahozeves. Es gehörte der Familie Engelhardt und 1884 wurde es von der Familie Lobkowicz gekauft. Das ist eine große böhmische Adelsfamilie, und Nelahozeves war einer ihrer Besitze. Das Haus wurde dann im Laufe des Nationalsozialismus und später wegen dem Kommunismus der Familie enteignet und dann im Laufe der Restitution in den 1990er Jahren zurückgegeben. Das Gebäude wurde im Jahr 1951 zum Kulturdenkmal erklärt, und die Antonín-Dvořák-Gesellschaft baute dort ein Museum. 1971 wurde eine neue Ausstellung eingerichtet, die dann viele Jahre dort war, und das Haus wurde vom Nationalmuseum übernommen. Die Familie Lobkowicz vermietete es später dem Nationalmuseum für eine symbolische Krone, in der Hoffnung, dass damit etwas passiert. Das Problem war, dass es im Nationalmuseum kein Geld gab, etwas damit zu machen, weil es Privateigentum war. Das Haus befand sich in den letzten Jahren in einem sehr traurigen Zustand. 2019 nahm es die Familie Lobkowicz vom Nationalmuseum zurück und seitdem entsteht das große Projekt, das ganze Haus zu sanieren und das Museum zu erweitern und komplett zu erneuern.“
Dvořáks Kindheit
Können Sie die Pläne etwas näher beschreiben? Wie sieht das Haus jetzt aus und wie wird es sich verändern?
„Die Bauarbeiten sind schon in einem sehr guten Zustand, und wir haben nun angefangen, die Ausstellung einzubauen. Im Laufe des Sommers soll das Museum vorläufig öffnen. Und ab September wollen wir das Museum normal offen haben. Die neue Ausstellung ist etwas anders als das, was zuvor da war. Es gibt viele Dvořák-Museen in diesem Land, und uns war es wichtig, nicht etwas zu wiederholen, was es woanders auch schon gibt. Deswegen wollten wir uns auf seine Kindheit fokussieren. Von dieser Zeit gibt es heute nur noch sehr wenige Gegenstände, die man in Vitrinen ausstellen kann. Das hat uns dazu genötigt, das Museum etwas anders zu konzipieren. Es soll sehr interaktiv werden, es geht vielmehr um das Erlebnis und um die Atmosphäre vom Haus als um Artefakte aus Dvořáks Leben, die es aber auch geben wird.“
Zum Beispiel?
„Zum Beispiel der einzige erhaltene Gegenstand aus seiner Kindheit, ein Gebetsbuch, das ihm ein Prinz Lobkowicz zum Abschluss der Schule geschenkt hat.“
Können Sie ein Beispiel der Erlebnisse nennen, die die Besucher im Dvořák-Haus erwarten?
„Wir haben einen speziellen Audio-Guide gemacht, er ist dreisprachig, Tschechisch, Englisch und Deutsch. Es wird ein aktiver Dialog zwischen verschiedenen Persönlichkeiten aus Dvořáks Kindheit geführt, es wird aber natürlich auch an den erwachsenen Dvořák erinnert. An diesem Audio-Guide ist speziell, dass wir ihn nicht übersetzt haben, sondern dreimal originale Versionen geschrieben haben. Es ist in jeder Sprache ein etwas anderer Text, je nach dem, was der kulturelle Hintergrund ist.“
Wie soll das Haus aussehen? Es wird nicht nur umgebaut, sondern auch ausgebaut…
„Das stimmt. Es ist ein für damalige Verhältnisse typisches Bauernhaus, das heißt, es gibt ein Haupthaus und kleinere Gebäude rund herum. Wir haben beschlossen, das ganze Areal auszubauen. Das Museum wird nun ausgeweitet, es wird im ganzen Haupthaus und zusätzlich in einigen Räumen gegenüber sein. Und dann wird es in den anderen Gebäuden noch ein Besucherzentrum mit einem Shop und einem Café geben, sowie einen Raum für Bildungsprojekte.“
Mehr als nur ein Museum
Das Dvořák-Haus soll nicht nur ein Museum sein, sondern ein Kulturzentrum. Welchen Zwecken soll es dienen? Was will man dort alles veranstalten?
„Wir planen, in Zukunft viele Konzerte dort zu haben, viele Bildungsprogramme in verschiedensten Formen, vielleicht auch Musiktherapie. Wir arbeiten jetzt schon mit einigen Musikensembles zusammen. Es wird auf jeden Fall den Platz für verschiedene kulturelle Ereignisse bieten.“
Gibt es in Nelahozeves noch weitere Orte, die an Antonín Dvořák erinnern?
„Nelahozeves ist ein kleiner Ort und Dvořák ist bei weitem die größte Persönlichkeit, die dort auf die Welt gekommen ist. Natürlich ist Dvořák im ganzen Ort allgegenwärtig. Man findet ihn als große Statue am Dorfplatz. Man findet verschiedene Erinnerungen an ihn, zum Beispiel wurde erst vor einigen Tagen ein Poesiomat dort eröffnet, an dem man Dvořáks Musik hören kann. Und es gibt auch Malereien von Dvořák in dem dortigen Restaurant. Also Dvořák findet man wirklich überall.“
Auf Dvořáks Spuren durch Nelahozeves
Das Geburtshaus von Antonín Dvořák ist nicht das einzige Denkmal in Nelahozeves. Viel größer und auffälliger ist das Schloss dort, das der Familie Lobkowicz gehört. Wie setzt sich die Familie Lobkowicz für die Wiederbelebung der Dvořák-Tradition dort ein?
„Die Familie Lobkowicz ist historisch sehr mit Musik verbunden. Das wahrscheinlich größte Beispiel ist der 7. Fürst Lobkowicz, der ein großer Beethoven-Förderer war. Und gerade im Schloss Nelahozeves ist der Großteil der berühmten Musik-Sammlung aufbewahrt. Die Verbindung zur Musik ist also ohnehin schon da. Für uns bietet das Schloss heute Raum für größere Konzerte. Kleinere Kammermusikkonzerte können im Haus selbst stattfinden, aber größere müssen in das Schloss ausweichen. Die Familie Lobkowicz hat weiterhin ein großes Interesse, nicht nur mit dem Bau des Museums, sondern auch darüber hinaus, zur Forschung und zum Weiterleben der Dvořák-Tradition beizutragen. Beispielsweise werden wir am 9. September eine Konferenz im Dvořák-Haus haben, wobei wir hoffen, dass viele Musikwissenschaftler ihren Beitrag zu neuen Dvořák-Forschungen vorstellen werden.“
Das ist also eine Veranstaltung für Fachleute. Aber auch die Touristen, die Besucher von Nelahozeves werden in der Zukunft sicher die Möglichkeit haben, eigentlich den ganzen Tag dort zu verbringen und vieles zu erleben…
„So ist es. Das Schloss hat auch eine richtige Ausstellung, die sich natürlich mehr auf die Lobkowicz-Sammlungen bezieht. Das neue Dvořák-Museum ist natürlich ein neues Highlight. Im Dorf selber haben wir inzwischen verschiedene Restaurants. Der Fluss ist natürlich wunderschön. Und hinter dem Schloss wurde in den letzten Monaten ein alter Schlosspark wiederhergestellt, so dass man auch ein bisschen auf Dvořáks Spuren spazieren gehen und den ganzen Nachmittag dort verbringen kann.“