Migration und Asyl im EU-Wahlkampf in Tschechien
Die Flüchtlingspolitik ist eines der brennendsten Themen innerhalb der Europäischen Union und auch im derzeitigen EU-Wahlkampf. Welche Vorstellungen haben die einzelnen Parteien in Tschechien dazu? Das sagen wir Ihnen in den folgenden Minuten. Damit starten wir die erste von zwei Serien im Vorfeld der Europawahlen. In dieser Woche stellen wir Ihnen die Ansichten der tschechischen Parlamentsparteien zu ausgewählten europäischen Themen vor.
Der stärkere Schutz der EU-Außengrenzen, eine zügige Rückführungspolitik, eine intensivere Zusammenarbeit mit Drittländern, um die Migration im Voraus zu unterbinden. Das sind Maßnahmen gegen die illegale Migration, die die meisten Parteien in Tschechien befürworten. Unterschiedlich ist hingegen die Bewertung des sogenannten Migrationspakts, der von den Staaten der Europäischen Union jüngst verabschiedet wurde. Von den Oppositionsparteien wird er scharf kritisiert und abgelehnt, von den Regierungsparteien als ein Ausgangspunkt für weitere Maßnahmen bezeichnet.
Das Wahlbündnis Spolu (Zusammen) vereinigt drei Regierungsparteien, die im Europäischen Parlament zwei unterschiedlichen Fraktionen angehören. Die Partei Top 09 und die Christdemokraten sind Mitglieder der Europäischen Volkspartei, die Bürgerdemokraten (ODS) sind bei der Partei der Europäischen Konservativen und Reformisten (ECR) verankert. Dennoch konnten sie sich auf eine gemeinsame Position zur Asylpolitik einigen.
Die Bürgerdemokratin Monika Vrecionová ist Nummer zwei der gemeinsamen Kandidatenliste. Europa könne den Zustrom von Einwanderern nicht verkraften, so Vrecionová in einem Gespräch für Radio Prag International. Dieses Problem werde in der verabschiedeten Reform des Asylrechts bis auf einige partielle Fragen – wie etwa dem Monitoring von Flüchtlingen an der Außengrenze – gar nicht gelöst, sagt die Politikerin:
„Quoten sind für uns völlig inakzeptabel, und ich halte sie für die falsche Lösung. Aber was ich in der Asylreform am meisten vermisst habe, ist der Umgang mit der Rückführungspolitik.“
Vrecionová mahnt, zwischen Flüchtlingen zu unterscheiden. Die Hilfe für Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine, die die Tschechische Republik leiste, ist ihrer Meinung nach kein Problem:
„Wirtschaftsflüchtlinge sind aber etwas anderes. Europa ist zwar immer noch ein reicher Kontinent, aber es steht derzeit weiterhin für alle offen. Das wird von verschiedenen Banden ausgenutzt, die den Menschen im Nahen Osten oder in Afrika erzählen, dass Europa sie einfach mit offenen Armen empfange. Diese Leute verkaufen alles, was sie zu Hause haben, und machen sich auf den Weg. Dann sehen wir die schrecklichen Bilder, wie sie irgendwo im Meer ertrinken. Oder wir erleben, dass sie nach Europa kommen, wo sie nicht wirklich willkommen sind.“
Man wolle für einen besseren Schutz vor illegaler Migration sorgen, heißt einer der Punkte im Europawahlprogramm der Bürgermeisterpartei Stan. Dafür solle der Schutz der EU-Außengrenzen verstärkt, strenge Grenzkontrollen eingeführt, eine zügige Rückführungspolitik betrieben und mit den Herkunfts- und Transitländern zusammengearbeitet werden. Die Nummer eins der Kandidatenliste von Stan ist Danuše Nerudová. Sie begrüßt es, dass das Europaparlament das neue Asylrecht verabschiedet hat. Zugleich sagt sie:
„Ich bin etwas enttäuscht. Denn einerseits gab es, als wir in Brüssel waren, einen Protest der Linken, die sagte, dies sei das Ende der Menschlichkeit. Auf der anderen Seite gibt es den rechten Flügel, der schreit, dass diese Maßnahmen unzureichend seien und man härter durchgreifen müsse.“
Nerudová fordert dazu auf, die Emotionen beiseitezuschieben und den Migrationspakt rational zu betrachten. Wenn es diesen nicht gebe, wäre das de facto nur eine weitere Einladung an die Migranten nach Europa:
„Ich bin froh, dass das Europäische Parlament beschlossen hat, eine Festsetzung illegaler Migranten an den Grenzen einzuführen, dass wir niemanden unkontrolliert herumlaufen lassen und, wenn wir feststellen, dass jemand nicht berechtigt ist, in der EU zu bleiben, ihn sehr schnell zurückschicken. Was wir in den verabschiedeten Rechtsvorschriften vermissen, ist die Zusammenarbeit mit den Drittländern, mit den Ländern, in denen das Problem auftritt.“
Angesichts der Alterung Europas müsse man sich aber mit einer sogenannten selektiven Migration befassen, das heißt der Zuwanderung etwa von gut ausgebildeten Arbeitskräften, die auf dem Arbeitsmarkt fehlen, so die Kandidatin weiter.
Die Piraten sind die einzige Partei, die die Flüchtlingsproblematik nicht als eigenständigen Punkt in ihrem EU-Wahlprogramm hat. Im Gespräch mit Radio Prag International lehnt ihr Spitzenkandidat Marcel Kolaja das Bemühen anderer Parteien ab, den Menschen in Europa Angst vor der illegalen Migration zu machen:
„Dort, wo Menschen nicht asylberechtigt sind, müssen wir effektiv arbeiten. Das heißt, in den Konflikt- oder Problemgebieten helfen, damit die Motivation für diese Menschen, nach Europa zu migrieren, so gering wie möglich ist.“
Die Menschen, die keinen Asylanspruch haben, sollten so kurz wie möglich in Lagern an der Grenze bleiben und so schnell wie möglich zurückgeführt werden, sagt Kolaja:
„Und gleichzeitig müssen wir als ein zivilisierter Teil der Welt natürlich überall dort, wo diese Menschen asylberechtigt sind, sie aufnehmen und so gut wie möglich in unsere Gesellschaft integrieren, damit wir als Gesellschaft auch davon profitieren können.“
Die Wirtschaftsmigration sei allerdings eine gänzlich andere Frage. Es liege an den einzelnen Ländern zu entscheiden, aus welchen Regionen sie eine Wirtschaftsmigration fördern wollen, sagt der Pirat. Er erwähnt auch den ökologischen Aspekt des Problems:
„Die Verschlechterung des Klimas ist eine der Hauptursachen für Migration, und es stellt sich heraus, dass mit einer Verschlechterung des Klimas mehr Migration zu erwarten ist. Deshalb unterstützen die Piraten auch sehr die Klimapolitik. Diese dient als Präventivmaßnahme, damit diese Menschen nicht auswandern müssen, weil es in ihrem
Der EU-Migrationspakt ist für die stärkste tschechische Oppositionspartei Ano inakzeptabel. Sie stellt sich gegen die Verpflichtung, entweder illegale Migranten aus Afrika und dem Nahen Osten aufzunehmen oder eine hohe Summe als Kompensation dafür zu zahlen. In ihrem EU-Wahlprogramm steht, man werde nicht zulassen, dass die Tschechische Republik den Weg Westeuropas gehe, wo in vielen Städten No-Go-Zonen entstanden seien, in denen die Menschen Angst hätten, nachts auf die Straße zu gehen, und Frauen mit Gewalt bedroht würden.
Jaroslav Bžoch von der Partei Ano sagt zum Migrationspakt, er kritisiere nicht so sehr das, was darin stehe und was er regle, sondern das, was nicht darin stehe:
„Ich vermisse gewissermaßen die Lösungen – sei es, wie man den Ländern, aus denen die Migration kommt, finanziell helfen kann, wie man an den Grenzen mit den Einwanderern umgeht, aber natürlich auch wie man mit den Ländern zusammenarbeitet, durch die die Migrationswege gehen.“
Die Flüchtlinge passieren bei ihrer Reise nicht nur gefährliche Länder oder Länder, in denen die soziale und wirtschaftliche Lage nicht so gut sei. Sie gingen durch Länder durch, mit denen die Europäische Union zum Beispiel Handel betreibe, hielten dort aber nicht an:
„Ich kritisiere also, dass wir im Pakt keine strengeren Regeln haben, wie wir die Grenzen schützen, keine strengeren Regeln für die Rückführungspolitik. Dort wird der Schutz der Außengrenzen nicht widergespiegelt, der auf See natürlich komplizierter ist. Und der Pakt reflektiert auch nicht, wie die Menschenschmuggler härter bekämpft werden sollen. Denn es scheint mir, dass wir oft immer weniger Gebrauch von Agenturen wie Frontex oder Europol machen.“
Das Bündnis der Rechtsaußenparteien Freiheit und direkte Demokratie (SPD) und Trikolora lehnt die Migrationspolitik der EU grundsätzlich ab. Diese führe zur Schaffung von No-Go-Zonen, Islamisierung, Armut und Gewalt. Der Spitzenkandidat Petr Mach:
„Was uns am Migrationspakt stört, ist, dass er für jedes Land eine Quote festlegt: Entweder werden die Migranten entsprechend dieser Quote in den jeweiligen Mitgliedstaat umverteilt, oder der Mitgliedstaat muss zahlen. Es gibt aber vielleicht Migranten, die gar nicht nach Tschechien kommen wollen. Warum sollten wir sie also aufnehmen? Und warum sollten wir für sie zahlen?“
Die Koalition aus SPD und Trikolora lehnt vorrangig muslimische Flüchtlinge ab. Mach glaubt, dass es unter ihnen viele radikale Islamisten gebe:
„Wir sind nicht von vornherein gegen jede Art von Migration. Aber was wir auf keinen Fall wollen, ist die Fehler westlicher Staaten zu wiederholen, die mit ihrer offenen Migrationspolitik – manchmal gesteuert, manchmal ungesteuert – zur Entstehung der genannten No-Go-Zonen beigetragen sowie den Charakter der Sicherheit des Staates verändert haben.“
Das Hauptrisiko sieht Mach in den muslimischen Migranten. Selbst ihre Nachkommen, die keine Migranten mehr seien, kämen nicht wirklich mit dem Aufnahmestaat und dessen Kultur zurecht. Hingegen betont er, dass die SPD sich gegen die Auslieferung von Ukrainern aus Tschechien an die ukrainische Regierung stelle:
„Migration ist etwas ganz Natürliches, und wir treten dafür ein, dass jedes Land seine eigene Migrationspolitik selbst bestimmt. Also sollte die Tschechische Republik selbst entscheiden, wie viele Arbeitsvisa sie erteilt, wie viele Studentenvisa sie erteilt und so weiter. Das sollte einfach nur unsere Angelegenheit sein.“
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