Vom Blick in die tschechische Landschaft und dem Zauber der Aussichtstürme
Wer in Tschechien schon einmal wandern war, ist sicher auch auf einen der zahlreichen Aussichtstürme im Land gestiegen. Weil man auf die böhmischen, mährischen und schlesischen Landschaften von oben noch einmal einen ganz anderen, schönen Blick bekommt, gibt es etwa den Freundeskreis der Aussichtstürme, der sich für ihren Erhalt und auch neue Bauten einsetzt. Der Vorsitzende Vladislav Šembera weiß nicht nur, wie viele solche Türme es derzeit in Tschechien gibt. Er kann natürlich auch die besten Tipps für einen Aufstieg nach oben geben.
Vladislav Šembera ist ein hochgewachsener Mann. Der ihm von Natur aus gegebene Blick wird mittlerweile von einer Brille geschärft – reicht dem begeisterten Wanderer jedoch nach wie vor nicht aus. Wo immer Šembera einen Aussichtsturm entdeckt, muss er ihn auch erklimmen. Dank dieser Leidenschaft hat er es zum Vorsitzenden und Sprecher des tschechischen Freundeskreises der Aussichtstürme gebracht.
Wie so oft bei lebenslangen Hobbys hat auch Šembera seine Begeisterung seinen Eltern zu verdanken. Bei Ausflügen ins Gebirge oder zu verschiedenen Burgen habe er schon als Kind gespürt, dass der Ausblick aus der Höhe durch nichts ersetzt werden könne, erinnert sich der Turm-Fan in den Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks:
„Der Weg nach oben ist wie der Weg durchs Leben. Er reinigt in gewisser Weise. Man besteigt den Hügel und den Turm nur mit dem Gedanken an den Ausblick, ergötzt sich an der Schönheit und lässt die Sorgen einfach unten.“
Während man heute einen Aussichtsturm oder auch einen Kirchturm zum Vergnügen besteigt, dienten diese Bauten den Menschen in früheren Jahrhunderten eher einem Sicherheitsbedürfnis. Šembera gibt eine grobe historische Einordnung:
„Schon in keltischen Befestigungen gab es Türme, später dann auch auf Burgen. Ebenso war es bei Schlössern, die Wachtürme hatte. Erst im 19. Jahrhundert begann man, zumindest hier in Böhmen, Aussichtstürme als solche zu bauen. Das ist also ein menschengemachter Bau zu einem einzigen Zweck, nämlich sich umzuschauen. So lautet die Definition.“
Und der älteste Turm in Tschechien, auf den diese Definition zutrifft, ist jener im Schlosspark von Uherčice / Ungarschitz, weiß der Experte. Der Ort liegt keine vier Kilometer von der Grenze nach Österreich entfernt und ist daher auch ein guter Tipp für einen grenzüberschreitenden Ausflug. Besagter Aussichtsturm ist aus Stein, stammt aus dem Jahr 1801, und sein oberer Teil ist bereits dem Zahn der Zeit zum Opfer gefallen.
Bau-Boom dank EU-Fördergelder
Fängt man an, ein bisschen über Aussichtstürme in Tschechien zu recherchieren, ist hier und da zu lesen, dass es aktuell etwa 400 von ihnen gebe. Angesichts dieser Zahl wird Šembera lebhaft:
„Schon viel mehr! Aussichtstürme werden nach wie vor gebaut, und jetzt liegt ihre Zahl hierzulande bei etwa 430 bis 450. Genau lässt sich das schwer zählen. Es werden aber immer mehr, und immer noch habe ich nicht alle besucht.“
Dafür kehrt der engagierte Wanderer aber gern zu solchen Türmen zurück, die ihm besonders gut gefallen. Allen voran zu jenem auf dem Berg Jedlová / Tannenberg in der Böhmischen Schweiz, der wiederum auch gut aus Deutschland erreichbar ist. Auf 774 Metern über dem Meeresspiegel findet sich das gut erhaltene Bauwerk mit den roten Fensterumrandungen und – als rage es immer noch nicht hoch genug hinaus – einer Spitze obenauf.
Die in Tschechien wohl bekanntesten Aussichtstürme lokalisiert Šembera jedoch im Riesengebirge sowie in Westböhmen nahe der Stadt Krásno / Schönfeld:
„Da müssen unbedingt Štepánka oder Krásenský vrch genannt werden, eventuell noch der Turm auf dem Berg Boubín – und natürlich der Petřín in Prag. Der dortige Eiffelturm ist auch ein Aussichtsturm, aber er kommt mir schon ziemlich entweiht und profan vor. Interessant ist an ihm aber, dass nach oben eine andere Treppe führt als nach unten. Wer also hochläuft, trifft nicht auf die Leute, die gerade hinuntergehen. Und es gibt dort überraschenderweise einen Aufzug, aber nur für Menschen mit Behinderung.“
Nicht alle Aussichtstürme in Tschechien sind so überlaufen wie die Prager Dominante. Dafür sorgt eben ihre große Anzahl. Dieser könne sich aber nicht nur Tschechien rühmen, unterstreicht der Vereinsvorsitzende:
„In Mitteleuropa, also in unseren unmittelbaren Nachbarländern und in den Grenzgebirgen, sieht es genauso aus. Das geht unter anderem auf die deutschen Heimatvereine zurück, die viele Aussichtstürme errichten ließen. Hier in der Mitte Europas gibt es also die meisten Aussichtstürme pro Einwohnerzahl.“
Zahlreiche dieser Konstruktionen sind in Tschechien erst in den vergangenen 20 Jahren gebaut worden. Bei weitem nicht mehr alle von ihnen seien aber heute noch zugänglich, bedauert Šembera. Viele befänden sich in schlechtem Zustand:
„Für die Erklärung müssen wir in die Zeit Anfang der 2000er Jahre zurückkehren, als die Gemeinden Zugriff auf EU-Fördergelder bekamen. Solche Subventionen mussten erst einmal an kleineren Objekten ausprobiert werden und sollten nicht gleich in große Projekte fließen. Da boten sich Aussichtstürme an, denn jede Gemeinde hat im Umfeld irgendwo einen Hügel oder einen Wald. Also entstanden Projekte für kleine Türme, die ich ironisch eher größere Hochsitze nenne. Man wusste damals nicht, wie lange es etwa noch günstiges Holz gibt. Darum entstand um das Jahr 2004 herum ein Boom, der etwa bis 2011 dauerte. Dabei wurden Aussichtstürme vor allem aus Fichten- oder Kiefernholz gebaut. Aus heutiger Sicht erweist sich das als sehr unglücklich, denn diese Materialien halten nicht viel aus. Diese Bauten haben eine Lebensdauer von nur zehn bis maximal 15 Jahren – auch wenn sich gut um sie gekümmert wird.“
Welches Holz sich hingegen besser eignet, weiß der Vereinsvorsitzende auch:
„Da kann als Beispiel der Turm bei Židlochovice auf dem Berg Výhon angeführt werden oder der Doubravka-Turm in Prag-Počernice. Und auch Hamštejn, südlich von Jablonec nad Nisou, der als Aussichtsturm des Jahres 2023 ausgezeichnet wurde. Diese Bauten sind aus resistentem Akazienholz errichtet, und ihre Lebensdauer wird auf 50 Jahre geschätzt.“
Nur einen Turm zu bauen, reicht nicht
Mit all dem angesammelten Wissen seiner Mitglieder berät der Freundeskreis der Aussichtstürme, den es im Übrigen seit 2009 gibt, auch aktuelle und künftige Bauherren. Es sind zumeist Gemeinde- und Stadtverwaltungen, die sich eine Empfehlung für einen passenden Standort geben lassen. Viele Vorschriften zur Errichtung einer solchen Konstruktion gebe es nicht, betont Šembera – vor allem müsse der Turm sicher stehen. Und der eigentliche Bau sei nur das eine…
„Man muss erwägen, wie viel Geld zur Verfügung steht und inwiefern auch noch für die spätere Pflege gesorgt werden kann. Die Türme aus Holz sind am Anfang billig, aber ihr Erhalt wird dann teurer. Im Gegensatz dazu muss für Türme aus Stahl zunächst viel mehr investiert werden, die Pflege ist dann aber eben nicht mehr so teuer.“
Bei den Vorhaben gehe es heute nicht nur um den Turmbau an sich, fährt der Experte fort:
„Auch das Umfeld muss angepasst werden, damit es zum Beispiel für Kinder geeignet ist. Das bedeutet Sitzbänke, Spielplätze, vielleicht ein Imbiss. Um weitere Zielgruppen anzusprechen, sind ein Radweg in der Nähe ideal oder gute Bedingungen für Geocaching. Heute ist das also schon ein komplexes Projekt.“
Zudem habe der Verein auch immer ein Auge darauf, dass ein Entwurf nicht einen anderen kopiere, ergänzt der Vorsitzende. Und abgesehen von neuen Konstruktionen müsse so mancher alte Turm in Tschechien auch abgerissen werden…
„Leider haben manche Aussichtstürme bereits ausgedient. In letzter Zeit traf es einige in der Mährischen Slowakei, wo einst gleich sechs auf einmal gebaut worden waren. Heute gibt es nur noch drei von ihnen. Ein hoffnungsvolles Beispiel ist aber der Turm Johanka bei Hýsly. Er leistete ebenfalls keine Dienste mehr und sollte abgerissen werden. Drei anliegende Gemeinden, darunter eben auch Hýsly, taten sich dann zusammen und bauten einen neuen Aussichtsturm. Er ist dreiseitig und symbolisiert somit die Zusammenarbeit der Dörfer. Darum heißt er Sousedská.“
Übersetzt ist dies der Nachbarschafts-Turm. Mit einer solchen Geschichte könnte das Bauwerk auch gut zum Aussichtsturm des Jahres gewählt werden – bei dem Wettbewerb, den der Freundeskreis jedes Jahr veranstaltet. Der nächste Sieger wird im Februar kommenden Jahres gekürt.
Bleibt nur noch die Frage, welchen Turm ein jeder Mensch in Tschechien einmal bestiegen haben sollte. Vladislav Šembera gibt sich zunächst salomonisch – und dann modern:
„Jeder Tscheche sollte mit seiner Familie einfach auf die umliegenden Hügel steigen und den nächstgelegenen Aussichtsturm besuchen. Der Blick, der sich ihm dort bietet, ist einfach einmalig und nicht zu ersetzen. Wenn ich aber einen besonderen Tipp geben soll, ist wohl für heutige Teenager der Turm Diana in Karlsbad passend – denn dort gibt es WLAN und einen Fahrstuhl. Außerdem würde ich auf jeden Fall den Berg Krasenský vrch empfehlen. Dort steht ein Aussichtsturm aus Stein, dessen Treppe sich außen entlangwindet und der auf seine Art einmalig ist.“
Der Krasenský vrch ist ein 778 Meter hoher Berg im Slavkovský les / Kaiserwald südwestlich von Karlsbad. Oben steht der Aussichtsturm von Mitte der 1930er Jahre.
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